Verteidigung des Originals
Jean-Pierre Melville war als Regisseur in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Ausnahmegestalt. Seine fatalistischen Filme über Gangster und andere Parias stießen auf Unverständnis bei der breiten Masse der Kinokultur. So wurden seine Arbeiten für ihre deutschen Kinopremieren regelmäßig gekürzt und teilweise im Sinn verfälscht. Der Vergleich dieser Rumpfversionen mit den Originalfassungen erlaubt bemerkenswerte Erkenntnisse über die Komplexität von Melvilles Filmen.
Von Josef Nagel
Hinaus ins Offene
Der US-amerikanische Filmemacher Robert Kramer bewegte sich zeitlebens an der Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktion, thematisierte aber auch die eigenen Befindlichkeiten und Zweifel und machte diese reiseartigen Selbstbefragungen zu seinem Grundprinzip. Sein Werk ist als Speicher von Erfahrungen und Geschichte eine Zeitkapsel, die es immer wieder zu öffnen lohnt, wie aktuell bei der „Viennale“. Dort ist eine umfassende Robert-Kramer-Retrospektive zu sehen.
Von Ralph Eue
Die Welt als Wunderkammer - Jan Švankmajer
Das Werk des 1934 in Prag geborenen Jan Švankmajer, nicht zuletzt auch seine animierten Kurz- und Langfilme, speist sich aus einem bunten Sammelsurium kulturhistorischer Elemente und treibt daraus ebenso eigenwillige wie eigenartige, oft groteske Blüten. Damit hat er andere Filmemacher wie Terry Gilliam, Henry Selick, Tim Burton oder die Quay-Brüder inspiriert und eine internationale Fangemeinde erobert. Eine Hommage anlässlich des 90. Geburtstags des surrealistischen Künstlers.
Von Claus Löser
Ein Sündenfall: G.W. Pabst und der Nationalsozialismus
Der Roman „Lichtspiel“ von Daniel Kehlmann hat den österreichischen Regisseur G.W. Pabst jüngst wieder ins Gedächtnis gerufen. In der Weimarer Republik war er einer der wichtigsten Filmemacher. Im Ausland hatte er jedoch weniger Erfolg und kehrte 1939 nach Deutschland zurück. Pabst schwieg zeitlebens über die Umstände seines Arrangements mit den NS-Machthabern. Eine Recherche in Archiven belegt jedoch, welche taktischen Manöver und Kompromisse der Rückkehrer einzugehen bereit war.
Von Michael Töteberg
Der Kino-Autor: Franz Kafka und das Medium Film
„Sich am Leben erhalten für den Kinematographen“, schrieb Franz Kafka in sein Tagebuch. Diese und viele weitere Notizen weisen den berühmten Schriftsteller als Filmbegeisterten der ersten Stunde aus. Sie bezeugen aber auch den Einfluss des frühen Kinos auf seine literarischen Werke. Die filmische Struktur seiner abgründigen Texte lässt ihre Verfilmungen naheliegend erscheinen, und auch ihr Autor selbst ist mit seinem schillernden Leben eine dankbare Filmfigur. Eine Passage durch die fruchtbare Beziehung von Kafka und dem Kino.
Von Arne Koltermann
Nach dem Alten. Jenseits des Neuen - Der tschechische Regisseur František Vláčil
Auf das Konto des tschechischen Regisseurs František Vláčil (1924-1999) geht eine ganze Reihe international anerkannter Meisterwerke. Doch obwohl er Vorläufer, Wegbereiter und Impulsgeber der tschechischen Neuen Welle war, sind seine Filme in Deutschland so gut wie unbekannt. Nur "Marketa Lazarová" erlebte als einziger von 13 Spielfilmen eine Kinoauswertung. Am 19. Februar wäre Vláčil hundert Jahre alt geworden.
Von Ralph Eue
Braune Schatten: Alfred Bauer und seine NS-Vergangenheit
Kurz vor der Berlinale 2020 deckten Nachforschungen eines Hobby-Historikers und ein „Zeit“-Artikel die NS-Vergangenheit des ersten Berlinale-Direktors Alfred Bauer (1911-1986) auf. Nun ist eine von der Berlinale in Auftrag gegebene Studie erschienen, die Details über Bauers Verstrickung in die Nazi-Verbrechen liefert und die gesellschaftlichen Umstände beleuchtet, die ihm halfen, seine Vergangenheit zu vertuschen. Doch andere Fragen bleiben offen.
Von Christian Hißnauer
Die Stille möglicherweise: Was ist das „Original“ bei Robert Bresson?
Der französische Filmemacher Robert Bresson war mit seinen asketischen, von seinem katholischen Glauben geprägten Werken ein Einzelgänger des Kinos. Noch immer herrschen in Publikationen und bei Retrospektiven eher einseitige Deutungen Bressons vor. Das ist schon deshalb verwunderlich, weil gerade bei seinen frühen Filmen oft zahlreiche, sich voneinander unterscheidende Fassungen existieren. Das erschwert die Rezeption, bietet aber auch sehr verlockende Ansatzpunkte.
Von Josef Nagel
Bela Lugosi - Schreckgestalt in der Sackgasse
Seine Verkörperung von Dracula ist ikonisch. Das Leben des aus Ungarn stammenden Hollywood-Stars Bela Lugosi (1882-1956) nahm auf dem Höhepunkt seiner Karriere jedoch eine tragische Wende. Eine Graphic Novel von Koren Shadmi zeichnet das Leben des Mimen in stilisierten Schwarz-weiß-Zeichnungen nach.
Von Christian Meyer-Pröpstl
Skizzen aus der Zauberwelt - Werner Herzog
Am 5. September 2022 wird der deutsche Filmemacher Werner Herzog 80 Jahre alt. Das war für ihn Anlass, autobiografische Skizzen zusammenzutragen, die nun als Erinnerungsbuch „Jeder für sich und Gott gegen alle“ erschienen sind. Statt eine große Bilanz zu ziehen, widmet sich Werner Herzog bekannten und weniger bekannten Episoden seines Lebens und Werks, Vorbildern und Wegbegleitern, wobei ihn insbesondere unfertige Projekte umtreiben. So ergeben sich auch für eingefleischte Herzog-Kenner immer wieder überraschende Lese-Enthüllungen.
Von Josef Schnelle