The Handmaid's Tale - Staffel 6

Literaturverfilmung | USA 2025 | (10 Folgen)

Regie: Elisabeth Moss

In der finalen Staffel der dystopischen Serienverfilmung frei nach Margaret Atwoods gleichnamigem Roman müssen US-Amerikaner, die vor dem Gilead-Regime nach Kanada geflohen sind, darunter auch die Hauptfigur June Osborne, entscheiden, wie sie sich angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen verhalten wollen. Während mit „New Bethlehem“ eine angeblich gemäßigte Dependance des Terrorregimes Gilead entstanden ist und um die Rückkehr der Exilanten wirbt, die Frau von Junes ehemaligem Kommandanten Gilead reformieren will und in Kanada ein immer feindlicheres Klima gegen die US-Flüchtlinge herrscht, bleibt die Wahl zwischen einem Exil in Alaska, der Rückkehr nach Gilead oder dem Kampf im Widerstand. Dabei ist die Serie auch in ihrem Finale vielschichtig, hellsichtig und nah am Puls der US-Gegenwart. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE HANDMAID'S TALE - SEASON 6
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2025
Produktionsfirma
Daniel Wilson Prod./The Littlefield Co./White Oak Pic./MGM Television/Toluca Pic.
Regie
Elisabeth Moss · Natalia Leite · David Lester
Buch
Bruce Miller · Nika Castillo · Jason Holtman · Nina Fiore · John Herrera
Kamera
Colin Watkinson · Nicola Daley
Schnitt
Wendy Hallam Martin · Aaron Marshall
Darsteller
Elisabeth Moss (June Osborne) · Yvonne Strahovski (Serena Joy Waterford) · Ann Dowd (Tante Lydia) · Madeline Brewer (Janine Lindo) · Samira Wiley (Moira Strand)
Länge
(10 Folgen)
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Literaturverfilmung | Science-Fiction | Serie
Externe Links
IMDb

Die dystopische Serie nach frei nach Margaret Atwoods gleichnamigem Roman geht in ihre finale Staffel. Die vorm Unterdrückungsregime Gilead nach Kanada geflohende Heldin June Osborne muss entscheiden, welchen Weg sie nun wählt: Exil in Alaska, Rückkehr – oder den Tod im Kampf.

Aktualisiert am
09.04.2025 - 10:46:37
Diskussion

Die Serie „The Handmaid's Tale“ begann mit einem Albtraum, wie ihn sich Eltern nicht schlimmer ausmalen können: dem Entreißen des eigenen Kindes und seiner Entführung in ein Land, in dem alles außer staatlicher Gewalt, Willkür und Fremdbestimmung Mangelware ist. Das Wohlergehen ihrer Tochter Hannah wurde für June Osborne (Elisabeth Moss) und ihren Mann Luke in den letzten acht Jahren zum Dreh- und Angelpunkt von sechs erfolgreichen Serienstaffeln. Die Wiedervereinigung der Familie war der Motivator eines Überlebenskampfes, wie er an packender Dramatik in der Serien-Landschaft seinesgleichen suchte. Gleiches gilt für das Ausmalen einer mit der Realpolitik rückgekoppelten Science-Fiction-Dystopie, die sich über die Jahre gar nicht mehr so zukünftig und gar nicht mehr so fiktiv anfühlte.

Gilead nannte die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood bereits vor 40 Jahren den dystopischen Nachfolgestaat der heutigen USA, in dem sie ihren 1985 erschienenen Erfolgsroman „Der Report der Magd“, so der deutsche Titel, ansiedelte. Fünf Jahre später erschien Volker Schlöndorffs Filmadaption „Die Geschichte der Dienerin“ mit Natasha Richardson, Faye Dunaway und Robert Duvall in den Hauptrollen. Dadurch, dass Atwood Entwicklungen beschrieb, die sich angesichts der auto- und theokratischen Auswüchse der nunmehr zweiten Trump-Administration als geradezu hellsichtig erwiesen, wurde die kanadische Autorin immer wieder zur warnenden Stimme vor einem US-Amerika kurz vor dem Kipppunkt.

Gerahmt von den beiden Trump-Präsidentschaften

Das Schicksal der Produktionsgeschichte wollte es denn auch so, dass die Serie von den beiden Trump-Präsidentschaften gerahmt wurde: Im April 2017 startete die erste Staffel kurz nach der ersten Vereidigung von Donald Trump, die sechste und letzte Staffel startet Anfang April 2025 (8. April auf MagentaTV), kurz nach Trumps zweiter Vereidigung. In acht Jahren erzählt die Serie quasi in Echtzeit, von der Entführung der ungefähr sechsjährigen Hannah beim Fluchtversuch mit ihren Eltern hin zu ihrer geplanten Verehelichung ab Staffel 5, wobei der Stoff parallel zur Realpolitik in dem Land konzipiert wurde, in dem er spielt.

Margaret Atwoods fiktive Republik Gilead als Teil der zerfallenen Vereinigten Staaten von Amerika erblüht aus einer Katastrophe: Durch nukleare Verseuchungen in kriegerischen Auseinandersetzungen, nach Klima- und Umweltkatastrophen wird die gesamte Menschheit von einer global verbreiteten Kinderlosigkeit heimgesucht. Während andere Länder die demokratischen Freiheiten ihrer Bürger in der Krise zu bewahren versuchen, wird US-Amerika in großen Teilen von einer Art Militärdiktatur in Geiselhaft genommen. Der weiblichen Zivilgesellschaft wird ein Maulkorb verpasst, teils wortwörtlich aus unbeweglichem Leder oder mit zugenähten Mündern. Frauen dürfen fortan nicht mehr lesen und schreiben, sondern werden in den Dienst der Männer und der Reproduktion gestellt.

Wer nicht spurt, dem drohen Amputationen, die Verbannung in die nuklear verseuchten Arbeits-„Kolonien“ oder die Hinrichtung „an der Mauer“. Abgesehen von den ehrenwerten Ehefrauen an der Spitze einer Unterdrückungs-Hierarchie, werden Dissidentinnen zu Arbeiterinnen, zu „Marthas“ (für die Hausarbeit) oder zu den „Handmaids“ des Titels: Diese Dienstmägde dienen als Gebärmaschinen der zumeist vergeblichen Fortpflanzungsversuche – allerdings nur für die oberste Spitze des Patriarchats: Die Kommandanten.

Die Gejagte wird zur Jägerin

So auch June Osborne, die als Mutter und somit potenziell fruchtbare Frau in eine der Handmaids-Erziehungseinrichtungen unter die brutale Fuchtel von „Tante Lydia“ (Ann Dowd) gerät, dort auf ihre beste Freundin Moira (Samira Wiley) trifft und mit anderen Frauen zu „Dienstmägden“ zugerichtet wird. June wird dem Haushalt des Kommandanten Fred Waterford (Joseph Fiennes) und seiner ebenso klugen wie kaltherzigen Frau Serena Joy (Yvonne Strahovski) zugeteilt. In monatlichen, von christlicher Symbolik aufgeladenen Vergewaltigungsritualen soll die junge Frau im Beisein Serenas von Fred die „Frucht des Herrn“ empfangen und für das Paar in Leihmutterschaft austragen. Die Frau als Gefäß, selbst ihr Name ist nur noch eine Ableitung ihres Herren. June wird als Eigentum von Fred Waterford in der Folge unter dem Namen „Desfred“, also ein Teil von Fred, entpersonalisiert. Die wenigen lebend ausgetragenen Kinder dürfen die Dienstmägde nicht behalten. Stattdessen werden die Frauen an den nächsten Haushalt weitergereicht, um emotionale Komplikationen zu vermeiden. Die Rückbesinnung auf althergebrachte Männlichkeitsvorstellungen und die Reduktion der Frau auf Reproduktion und Haushaltsführung gelten als Phänomen, die in gesellschaftlichen Krisenzeiten der Verunsicherung verstärkt die Bühne betreten.

June wird sich fügen und alles erleiden, um ihrem Ziel der Wiedervereinigung mit ihrer ersten Tochter näherzukommen. Ein ums andere Mal wird ihr Hannah vor die Nase gehalten und wieder entrissen – bis sie im Lauf der Serie selbst den Aufstand probt, sich Verbündete sucht und den Spieß umdreht: Die Gejagte wird zur Jägerin, das Vergewaltigungsopfer zur Liebhaberin, die entrechtete Sklavin zur konspirierenden Mörderin. June Osborne ist die vorausstürmende Heldin in einer allgegenwärtigen gesellschaftlichen Rückwärtsbewegung – und somit doppelte Identifikationsfigur der weiblichen Zuschauerschaft: Als verwaiste Mutter voller Leid wie auch als feministische Kämpferin voller Hass gegen eine alles mit ihrer Gewalt und ihren Gelüsten überziehenden Männergesellschaft. Während Figuren wie „Tante Lydia“ und Serena Joy weicher werden, wächst in June mit den Jahren der Entfremdung vom eigenen Kind die unbändige Wut und der Wunsch nach Rache.

Schuld, Verantwortung und Sühne

Einer der geschickten Schachzüge der Serie war die Herausarbeitung dessen, was eine derart brutale Unterdrückung in den Opfern anrichtet, was den Schritt ins Unrecht, in den blinden Hass und in die Täterschaft auslöst, vielleicht sogar rechtfertigt. Die Frage von Schuld, Verantwortung und Sühne wird auch in der sechsten Staffel Thema des Freiheitskampfes und des Kampfes um die Tochter: Immer wieder trifft June in ihrem Kampf Entscheidungen, die Kollateralschäden einfordern, mit deren Konsequenzen sie umgehen muss.

Die Schuld der Täter am Tod der Zivilisten wird verlagert auf die ausweglos (re)agierenden Opfer im unmenschlichen System Gileads. Auge um Auge, Zahn um Zahn. In „The Handmaid's Tale“ beginnen die unter dem Deckmantel der Religiosität geknechteten Menschen, selbst in alttestamentarische Denkmuster zurückzufallen, während sich die gottlosen Strippenzieher ins Fäustchen lachen.

Ein bis ins Detail durchdachter Albtraum

„The Handmaid's Tale“ entwarf dabei über mehrere Staffeln ein Panoptikum der Grausamkeiten. Das Verfolgen der Serie wurde für die Zuschauer:innen stellenweise selbst zum Martyrium. Auf der einen Seite fesselte die Serien-Adaption durch ihre hochspannende, überaus stilisierte Inszenierung eines bis ins letzte (auch visuelle) Detail durchdachten Albtraums. Ebenso berührten all die Mutter-Kind-Beziehungen, die sich wie ein roter Faden in verschiedenen Figuren-Konstellationen über die Staffeln hinweg zogen. Auf der anderen Seite war das Ausmaß der willkürlichen Hinrichtungen, der perfiden Folter-Methoden körperlicher und psychischer Art und der Gegenreaktionen durch die unter Druck gesetzten, sich gegeneinander wendenden Menschen nur schwer erträglich – egal wie antagonistisch die Songhits weiblicher Interpreten den grausamen Szenen entgegengesetzt wurden.

Die Emotionen, die vorherrschten, waren Schrecken und Erschütterung angesichts einer end- und ausweglos wirkenden Aneinanderreihung von Verlust, Leid und Verzweiflung. Getragen wurde diese auf einen einzelnen Menschen fokussierte Tour de Force vom herausragenden Spiel der mehrfach preisgekrönten Schauspielerin Elisabeth Moss. Moss, die als Produzentin und Regisseurin mehrerer Folgen fungierte, wurde kurz vor Drehbeginn der letzten Staffel selbst Mutter und gestand in einem Interview, sich einige Teile der Serie nur noch schwer angucken zu können.

Exil, Rückkehr – oder Tod im Kampf

In den letzten beiden Staffeln wurde dieser Schraubstock des Schreckens mit Junes Ankommen in Kanada gelockert. Der Konflikt wurde ein innerer, bestehend aus der Zerrissenheit zwischen der zerbrochenen Familie mit Ehemann Luke und der Liebe zu Waterfords ehemaligem Chauffeur, dem „Augen“-Agenten Nick, aus der Junes zweite Tochter Holly (aka Nicole) entstand. Auch stilistisch löste sich der strenge Inszenierungswille mitsamt der in Auflösung begriffenen Handmaid-Formation auf. An deren Stelle trat das Städtchen „New Bethlehem“, um die Dissidenten in ein angeblich gemäßigtes Gilead zurückzulocken – ohne Mägde, ohne Hinrichtungen. Ersonnen wurde die Dependance von Junes Verbündetem Commander Lawrence, dem Architekten Gileads, legitimiert von der zurückkehrenden Serena Joy, die in Kanada zur Botschafterin Gileads avancierte und Gilead in Gottes Namen reformieren will.

Die ins sichere Kanada geflohenen Exil-Amerikaner lösen dort wiederum eine Anti-Migrations-Bewegung aus, wie man sie heute in vielen Teilen der Welt beobachten kann – nur dass es diesmal US-Amerikaner, keine Syrer, Afghanen oder Ukrainer sind, die aus dem Horror ihrer Herkunftsländer fliehen. Im Kanada der Serie beginnt sich in der Bevölkerung der Unmut, ja sogar der Hass gegen die US-amerikanischen Immigranten zu regen. Für die Geflüchteten bleibt nur noch das Exil in Alaska, in dessen Deportationszügen June und Serena am Ende von Staffel 5 aufeinandertrafen, oder der Anschluss an eine Widerstandsbewegung, die den Wölfen zum Fraß vorgeworfen wird. „New Bethlehem“ wird unterdessen als vermeintlich sicher deklarierter Rückkehrort zum Feigenblatt der kanadischen Regierung. Exil, Rückkehr oder Tod in Kampf um Hannah – diese drei Optionen bleiben den Helden in der finalen Staffel.

Vielschichtig und faszinierend nah am Puls der Zeit

Dass die Produktion der Serie an Aktualität nicht verloren hat, beweist die Realität: Erst im März diesen Jahres wurde eine Hebamme in Texas wegen angeblich illegal vorgenommener Abtreibungen festgenommen – der erste Mensch des US-amerikanischen Gesundheitssystems, der aufgrund des strengen texanischen Abtreibungsverbots von 2022 strafrechtlich verfolgt wird. Frauen im US-Amerika von Trumps Republikanern droht aufgrund religiöser Schriften jetzt schon der Ausschluss von wichtigen Gesundheitsvorsorgemaßnahmen und Abtreibungsangeboten.

Die Serie „The Handmaid's Tale“, der mit der Serienadaption von Margaret Atwoods Nachfolgeroman „The Testaments“ ein Spin-Off beschert wird, bleibt damit auch in der letzten Staffel vielschichtig und faszinierend nah am Puls der Zeit. Das machte die in ein realistischeres Setting überführte Serie in der Parallelisierung zu einer selbst immer unwirklicher wirkenden Realität so fesselnd wie unerträglich. Dabei blieben der Serie über all die Jahre nur zwei Gewissheiten als feste Konstanten: Der Mensch ist des Menschen schlimmster Feind. Und: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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