© imago/Montage FD (G.W. Pabst)

Ein Sündenfall

Wie sich der Filmregisseur G.W. Pabst mit den Nazis arrangierte. Eine Recherche im Bundesarchiv-Filmarchiv

Veröffentlicht am
26. Juni 2024
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Der Roman „Lichtspiel“ von Daniel Kehlmann hat den österreichischen Regisseur G.W. Pabst jüngst wieder ins Gedächtnis gerufen. In der Weimarer Republik war er einer der wichtigsten Filmemacher. Im Ausland hatte er jedoch weniger Erfolg und kehrte 1939 nach Deutschland zurück. Pabst schwieg zeitlebens über die Umstände seines Arrangements mit den NS-Machthabern. Eine Recherche in Archiven belegt jedoch, welche taktischen Manöver und Kompromisse der Rückkehrer einzugehen bereit war.


Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel“ hat einen heute fast nur noch unter Cineasten bekannten Spielregisseur wieder in den Fokus gerückt: G.W. Pabst. Seine Werke gehören zum Kanon des klassischen deutschen Films und stehen gleichberechtigt neben denen von Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau und Ernst Lubitsch. Sein Platz in der Filmgeschichte hat jedoch einen braunen Fleck: Mit seinen im „Dritten Reich“ gedrehten Filmen ruinierte Pabst sein Renommee.

Wie konnte es dazu kommen, dass dieser Mann, der das Glück hatte, sich Anfang 1933 zu Dreharbeiten in Frankreich aufzuhalten, 1939 nach Deutschland zurückkehrte und seine Kunst dem nationalsozialistischen Film zur Verfügung stellte?

Porträt von G.W. Pabst im Jahr 1950 (imago/Charles Steinheimer)
Porträt von G.W. Pabst im Jahr 1950 (© imago/Charles Steinheimer)

Pabst teilte das Schicksal vieler Emigranten: In ihrer Heimat berühmt und hofiert, konnten sie ihre Karriere im Exil nicht fortsetzen. Sein einziger Hollywood-Film „A Modern Hero“ (1935) wurde ein Flop. Trotzdem beschloss er, endgültig in die USA zu gehen. Davor wollte er sich aber von seiner Mutter auf dem Familiengut Fünfturm in der Steiermark verabschieden. Doch Österreich gab es plötzlich nicht mehr; es war nach dem „Anschluss“ zur „Ostmark“ geworden. Pabst wurde am 1. September 1939 vom Kriegsausbruch überrascht. Er saß in der Falle, kam nicht mehr raus. Aber war er gezwungen, Filme in Nazi-Deutschland zu drehen?


Kein Bekenntnis zum Nationalsozialismus

Daniel Kehlmann macht in seinem Roman Pabst nicht zum Nazi-Sympathisanten, der er wohl auch nicht war. Ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus, gar eine Ergebenheitsadresse für Hitler, hat Pabst nie abgegeben. Propagandafilme drehte er nicht. Er wählte stattdessen historische Stoffe. Man konnte jedoch, auch wenn Pabst dies glauben mochte, in der NS-Diktatur keine unpolitischen Filme drehen; es gibt kein richtiges Leben im falschen. Davon handelt das Buch „Lichtspiel“.


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Kehlmann hat einen Roman geschrieben, es ist ein Werk der Fiktion. Hier soll anhand überlieferter Dokumente die dunkle Phase im Pabsts Filmschaffen nachgezeichnet werden. Er selbst hat nichts getan, um sie aufzuhellen. In seinem umfangreichen Nachlass, der in der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin aufbewahrt wird, sucht man vergeblich. Alles, was etwas über Pabsts Verstrickung mit dem Regime aussagen könnte, wurde sorgsam entfernt. Kein Schreiben der Reichsfilmkammer, des übergeordneten Propagandaministeriums, auch nicht des Reichsfilmintendanten Joseph Goebbels. Um darüber etwas zu erfahren, muss man sich ins Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde begeben.

Obenauf in der Akte der Reichsfilmkammer liegt ein Schreiben von Walter Müller-Goerne, dem engsten Mitarbeiter von Hans Hinkel, der seit 1935 als Sonderbeauftragter für „Kulturpersonalien“ im Propagandaministerium amtierte. Müller-Goerne wandte sich am 2. November 1939 an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Graz, mit der Bitte um Auskunft über die politische Zuverlässigkeit und den Leumund von Pabst. „Der Genannte hat sich vor 1933 in Deutschland als Filmregisseur betätigt. Er ist offenbar kurz vor 1933 nach Frankreich ausgewandert, da er in Deutschland fast ausschließlich in jüdischen Kreisen verkehrte. Er selbst gilt als Arier. Nach Ausbruch des Krieges ist Pabst aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt und es ist zu erwarten, daß er sich im deutschen Filmwesen wieder betätigen will.“

G.W. Pabst und Albin Skoda am Set von "Der letzte Akt" (imago/United Archives)
G.W. Pabst (r.) und Albin Skoda am Set von "Der letzte Akt" (© imago/United Archives)

Mit den „jüdischen Kreisen“ dürfte der Filmproduzent Seymour Nebenzahl gemeint sein. Pabst hatte in den 1920/1930er-Jahren eng mit ihm zusammengearbeitet und sechs Filme mit der Nero Film realisiert, darunter „Die Büchse der Pandora“, „Die Dreigroschenoper“ und „Kameradschaft“. Nebenzahl hatte auch, nach dessen Zerwürfnis mit der Ufa, Fritz Lang produziert. „Das Testament des Dr. Mabuse“ wurde als erster Film, kurz vor der Uraufführung, von den Nazis verboten. Nebenzahl schmuggelte die Filmkopie aus dem Land. Auch die Filme von Pabst konnten im „Dritten Reich“ nicht gezeigt werden.


Zurück ins deutsche Filmwesen

Die Erwartung, dass sich Pabst wieder im deutschen Filmwesen betätigen wollte, sollte sich rasch bestätigen. Er kannte von früher viele Filmleute, Produzenten und Darsteller. Die Schauspielerin Henny Porten brachte Pabst bei der Majestic-Film wieder ins Gespräch. Mit ihr hatte er 1930 „Skandal um Eva“ gedreht, ein Star-Vehikel, mit dem der Lieblingsliebling der Stummfilm-Zeit sein Tonfilm-Debüt gab.

Pabst schloss am 26. Februar 1940 einen mehrere Filme umfassenden Rahmenvertrag mit der Majestic ab, Regiegage pro Film 30.000 Reichsmark, plus 10.000 Reichsmark für die Mitarbeit am Drehbuch. Ein paar Tage später hätten diese Konditionen einer Genehmigung bedurft. Denn am 1. März 1940 trat eine Bestimmung in Kraft, dass alle Gagen zuvor dem „Sondertreuhänder der Arbeit für die kulturschaffenden Berufe“ vorzulegen waren.

Aber zunächst einmal musste Pabst Mitglied in der Reichsfilmkammer werden. Vorher war ihm jegliche Tätigkeit im deutschen Film untersagt. Er stellte einen Antrag auf Aufnahme in die Kammer. In dem beigefügten Lebenslauf machte es sich gut, dass er seinen ersten Film 1921 bei Carl Froelich gedreht hatte: Der Filmpionier war seit Juni 1939 Präsident der Reichsfilmkammer. Pabst übersprang sein Filmschaffen in der Weimarer Republik, erwähnte, dass er im Rahmen einer eigenen Gesellschaft in Paris gearbeitet hatte, und schloss: „Dann zog ich aus dem inzwischen durchgeführten Anschluss Österreichs die Konsequenz und kehrte nach Deutschland zurück.“

Auf dem Fragebogen der Reichsfilmkammer trug er unter „rassische Abstammung und Religion“ für sich „arisch, röm kath.“ und für seine Frau „arisch, evangelisch-luth.“ ein, ansonsten in den Spalten für Vater und Mutter, die Großeltern väterlicherseits wie mütterlicherseits jedes Mal „arisch, röm kath.“. Ein Stempel bescheinigte ihm: „Nachweis der arischen Abstammung und der Deutschstämmigkeit“ erbracht am 15. Dezember 1939.


Kein roter Teppich für Rückkehrer

Pabst hatte nun alle Voraussetzungen erfüllt, doch sein Antrag auf Aufnahme blieb monatelang ohne Antwort. Es gab offenbar Vorbehalte. In der Akte Pabst der Reichsfilmkammer befindet sich ein nicht datiertes, nicht gezeichnetes Blatt: „Nach einer mir zugegangenen Mitteilung, sollen wegen der arischen Abstammung des Pabst Zweifel bestehen. Ferner soll Pabst ausgedehnte internationale Verbindungen haben.“ Im „Philo-Lexikon“, auch noch in der dritten Auflage 1936, wurde er als jüdischer Filmregisseur geführt. Nach dem Verlust so vieler Talente, die aus Nazi-Deutschland geflohen waren, sollte es doch einen Triumph für das Regime darstellen, den berühmten Regisseur wieder im Lande zu haben. Goebbels war aber nicht gewillt, Rückkehrern den roten Teppich auszurollen. „Geht jemand nach Hollywood, wird er nicht wieder nach Deutschland zurückkehren können, wenn er dort keinen Erfolg hat“, hatte er 1938 auf der Jahrestagung der Reichsfilmkammer postuliert. „Wir sind keine Versorgungsanstalt für verkrachte Existenzen aus Hollywood.“

Werner Krauß in "Paracelsus", den Pabst 1943 inszeniert (imago/United Archives)
Werner Krauß in "Paracelsus", den Pabst 1943 inszeniert (© imago/United Archives)

Pabst brauchte die Zulassung; an diese Bedingung war sein Vertrag mit der Majestic gebunden. Am 15. Februar 1940 wandte er sich an Carl Froelich persönlich. Er habe niemals der kommunistischen Partei angehört, erklärte er. „Ich habe mich, was Ihnen als Künstler durchaus verständlich ist, von praktischer Politik immer ferngehalten und namentlich diesen Gedanken in meiner ausländischen Tätigkeit keinen Raum gewährt, trotzdem hierfür sicherlich Gelegenheit genügend gewesen wäre.“ Niemals habe er etwas unternommen, was das Ansehen seines Vaterlandes hätte schädigen können – derartige Angebote von französischen oder amerikanischen Produzenten habe er stets abgelehnt.

Es fand sich ein Umweg. Pabst wurde am 1. April 1940 in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen, schließlich war er Mitautor an Drehbüchern. Für die Tätigkeit als Regisseur erhielt er eine – jederzeit widerrufbare – „Sondergenehmigung“. Inzwischen hatte sich das ursprünglich projektierte Filmvorhaben „Mutter Steding“ verflüchtigt. Die Majestic wollte Pabst nun für einen Film mit dem Titel „Mutter und Kind“, frei nach Friedrich Hebbel, anstellen. Doch auch dabei blieb es nicht. Die Tobis Filmkunst, bei der Henny Porten unter Vertrag stand, gab die Schauspielerin für den Film „Die Neuberin“ frei, den die Bavaria vorbereitete. Sie sollte die Titelrolle der Theaterprinzipalin Caroline Neuber (1697-1760) spielen. Der Vertrag sah vor, dass ihr Name gleichberechtigt neben dem der jugendlichen Liebhaberin stehe. In einer Zusatzvereinbarung verpflichtete Porten die Bavaria, sich zu bemühen, Pabst für ihren Film zu gewinnen.


Eingeklemmt zwischen zwei Welten

„Ich fühle, dass ich es hier schwer haben werde“, schrieb Pabst seiner Frau Gertrude. „Ich bin beruflich zwischen zwei Welten eingeklemmt. Die alte Welt der Mülleneisen und Fritsche und Janningse. Und der neuen der Nationalsozialisten, die jede Persönlichkeit aufheben wollen um der Einordnung ins Allgemeine willen. Individuelles, Geistiges ist ihnen verhasst. Mit Recht, da für ihre Ziele nur die Tat gilt. Aber das von mir seit 30 Jahren ersehnte kollektive Wollen ist – in Erscheinung tretend – meinem schöpferischen Wollen feindlich, da dieses rein menschlich zu sein sich bemüht“, philosophierte er. Auseinandersetzungen mit Produzenten war er gewohnt. Wer jetzt das Sagen hatte, sollte Pabst bald erfahren.

Er musste Henny Porten, der er sein Engagement verdankte, mitteilen, dass sie die Hauptrolle in „Komödianten“ abgeben müsse. In einem gewundenen Schreiben vom 11. Oktober 1940 schrieb er von „dieser leidigen Angelegenheit“ und „bestimmten äußeren Tatsachen“. Pabst vermied es, die Dinge beim Namen zu nennen. Der Name wäre gewesen: Joseph Goebbels. Porten weigerte sich standhaft, sich von ihrem jüdischen Mann scheiden zu lassen, obwohl sie dazu immer wieder aufgefordert wurde. Goebbels rächte sich, indem er ihr Steine in den Weg legte. So durfte die Presse eine Zeitlang nicht über sie schreiben. Dass sie die Hauptrolle in dem Film „Komödianten“ spielte, ließ er nicht zu.

Für Porten blieb nur die Rolle der Herzogin Amalia von Weißenfels, was sie erbost ablehnte. Pabst beschwor sie, die Rolle anzunehmen. Der Öffentlichkeit sei bekannt, dass sie in den Film spielen soll, doch nur wenige wüssten, dass sie für die Neuberin vorgesehen war. „Scheiden Sie jetzt aus der Besetzung des Films vollkommen aus, ja, wird diese Frage vor die größere Öffentlichkeit gezogen, so glaube ich, daß Ihnen dadurch eher Schaden als Nutzen entsteht.“ Er versicherte ihr, die Szenen der Amalia werde er besonders liebevoll ausbauen. Dann wurde er ernst: „Ich wiederhole, daß ich es für eine Katastrophe hielte, wenn Sie sich gegen alle Logik für eine Auseinandersetzung entscheiden würden.“ Porten fügte sich.

Hilde Krahl, Kurt Müller-Graf, Käthe Dorsch in "Komödidanten" (DFF)
Hilde Krahl, Kurt Müller-Graf, Käthe Dorsch in "Komödianten" (© DFF)

„Wiedersehen mit G.W. Pabst“, freute sich die „Filmwoche“ in der Ausgabe vom 24. September 1941. Die Formulierungen in diesem Gespräch lassen aufhorchen: Keine Spur von Nazi-Jargon. Pabst verweist auf das französische „‚réalisateur“, das viel treffender die Tätigkeit des Regisseurs beschreibe – dabei war das Wort aus dem Fachvokabular längst eliminiert worden; offiziell heißt es jetzt „Spielmeister“. Und statt die Errungenschaften des deutschen Filmschaffen zu loben, lautet Pabsts Diagnose: „Wir sind seit etwa zehn Jahren filmkünstlerisch stehengeblieben.“ Dass er Goebbels’ Propaganda nach dem Mund redete, kann man Pabst nicht vorwerfen.

Am 20. November 1940 besuchte Goebbels die Bavaria in München und ließ sich Muster von „Komödianten“ vorführen: „Dorsch und Krahl. Pabst als Regisseur. Er meistert die Sache gut“, notierte er im Tagebuch. Henny Porten erwähnte er mit keinem Wort. Der Minister besprach die Neuorganisation des Filmstudios. „Die Bavaria fügt sich jetzt unseren Anordnungen“, notierte er zufrieden. „Es bleibt ihr auch nichts anderes übrig.“


Kein Regisseur der Bescheidenheit

Bescheidenheit war Pabsts Sache nicht. Regierungsrat Dr. Kobe, „Sondertreuhänder der Arbeit für die kulturschaffenden Berufe“ und zuständig für die Überwachung der Gagengestaltung, versagte zunächst die Genehmigung für 10.000 Reichsmark als Honorar für die Mitarbeit am Drehbuch. Am Ende bekam er, auf Grund von Mehrarbeit und Verzögerungen, zusätzlich zum Regiehonorar weitere 30.000 RM. Pabst war ein schwieriger Regisseur; er hatte Ansprüche, auch in finanzieller Hinsicht. Reichsfilmintendant Fritz Hippler fand sein Verhalten „mit den heutigen Pflichten eines Filmschaffenden nicht vereinbar“.

Manche Projekte konnten nicht realisiert werden, weil das von dem Regisseur verlangte Budget sich nicht finanzieren ließ. Was Pabst nicht daran hinderte, sich die Vorarbeiten gut bezahlen zu lassen. Ein signifikantes Beispiel: Leni Riefenstahl, die seit Jahren an ihrem Film „Tiefland“ arbeitete, brauchte offensichtlich Hilfe. Man kannte sich; Pabst hatte 1929 die Schauspielerführung bei „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ von Arnold Franck übernommen. Nun sollte er als Regisseur die Atelieraufnahmen von „Tiefland“ inszenieren und für einen Monat die exorbitante Gage von 50.000 RM plus 12.000 RM für die Mitarbeit am Drehbuch erhalten. Riefenstahl war ein besonderer Fall; da konnte auch Regierungsrat Kobe seine Zustimmung nicht versagen. Doch bald kam es zum Streit. Pabst beendete die Zusammenarbeit, die erste Honorarrate verblieb jedoch bei ihm.

Pabst inszenierte die Spielszenen in "Die weiße Hölle von Piz Palü" (imago/Prod. DB)
G.W. Pabst inszenierte die Spielszenen in "Die weiße Hölle vom Piz Palü" (© imago/Prod. DB)

Ordentliches Mitglied der Reichsfilmkammer war Pabst aber noch immer nicht. Er stand weiterhin unter Beobachtung. Am 10. Februar 1941 wandte sich der Landeskulturverwalter, Gau Steiermark, an die Reichsschrifttumskammer: Eine eingehende Nachforschung würde in diesem Fall sich als ratsam erweisen. Als Nachbar von Pabsts zwischen Kittenberg und Kreuzkogel liegendem Familiensitz habe er in der Gegend das Gerücht vernommen, dass die Leute in Fünfturm Juden und Kommunisten seien. „Ich erhielt dann eines Tages plötzlich Besuch von ganz fremden Leuten, die in meinem Park spazierten und den Physiognomien nach Juden anrüchigster Art waren. Es stellte sich heraus, daß diese Leute sogenannte ‚Sommergäste‘ von Fünfturm seien. Ein zweites Mal tauchte ein Jude in meinem (baulich sehr sehenswerten) Hause auf und als ich ihn mit der Bemerkung fortwies, daß ich in meinen vier Wänden keinen Juden zu sehen wünschte, erklärte er erbost, er sei kein Jude, sondern Protestant und verwandt mit den Besitzern von Fünfturm. Indessen ließ er sich den Vorwurf gefallen und verschwand schweigend.“ Unterzeichnet hat das Schreiben Paul Anton Keller, ein Schriftsteller, über den es bei Wikipedia lakonisch heißt: „Während der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch danach, war er sehr produktiv.“


Eine schützende Hand über Pabst

Solche Denunziationen konnten im „Dritten Reich“ schlimme Folgen haben, doch Pabst blieb davon unbetroffen. Irgendjemand musste seine schützende Hand über ihn gehalten haben. Die Reichsschrifttumskammer forderte von der Gestapo „Tatsachen mit Zeit und Beweismittel“. Monatelang wurde ermittelt. Dann teilte die Gestapo am 31. Oktober 1941 der Kammer mit, „daß über Pabst bisher nichts Nachteiliges festgestellt werden konnte. Er soll in politischer Hinsicht als indifferent anzusehen sein“. Ordentliches Mitglied der Reichsfilmkammer wurde Pabst auf Beschluss von Hippler am 4. Februar 1942.

Aber konnte es das überhaupt geben: einen unangepassten, unpolitischen Filmregisseur in Nazi-Deutschland? Der sich keineswegs mit billigen Unterhaltungsfilmchen, die eventuell unter dem Radar liefen, begnügen wollte, sondern große, aufwendige, hoch budgetierte Historienepen drehte?

Letztlich hat Pabst nur zwei Filme im „Dritten Reich“ realisiert (ein dritter blieb unvollendet). Beides sind Historienschinken: „Komödianten“ (1941) über die Schauspielerin Caroline Neuber und die Entwicklung des deutschen Nationaltheaters, und „Paracelsus“ (1943) über den mittelalterlichen Arzt, der gegen Konventionen und Kommerz die moderne Medizin durchsetzen muss. Große Deutsche, Führergestalten in ihrer Zeit – da verstand sich die Parallele von selbst. Beide Filme wurden mit den Prädikaten „staatspolitisch und künstlerisch wertvoll“ ausgezeichnet; „Komödianten“ war überdies, ein eher selten vergebenes Prädikat, „Staatspolitisch besonders wertvoll“. In Venedig, bei den Filmfestspielen 1941, erhielt Pabst die Goldmedaille für die beste Regie. Er war zum Starregisseur des „Dritten Reiches“ geworden – nicht so kompromittiert wie Wolfgang Liebeneiner oder gar Veit Harlan, aber doch ein internationales Aushängeschild.


Schweigen statt Rechtfertigung

Es war ein Sündenfall. Pabst hat später nie versucht, seine Filmarbeit in Nazi-Deutschland zu rechtfertigen; er verweigerte vielmehr die Auskunft zu diesem Thema. Einmal jedoch sah er sich genötigt, sein Schweigen zu brechen. Da er wieder in den USA arbeiten wollte, musste er zu dort kursierenden „Gerüchten“ Stellung beziehen. In Briefen an die Filmproduzenten Arnold Pressburger und Seymour Nebenzahl – alte Bekannte aus den Tagen der Weimarer Republik, die nun in Hollywood zu Hause waren – erklärte er sich. Pressburger gegenüber blieb er allgemein: „Meine Stellung war in der ganzen Zeit eindeutig und nicht ein einziges Mal beging ich irgendeine Handlung, die ein Kompromiss mit dem System hätte bedeuten können.“

Ausführlicher wurde er in einem Schreiben an Nebenzahl. „Ich hatte den Plan, in Fünfturm zu bleiben und die Hoffnung, in diesem weltabgeschiedenen Winkel in Ruhe gelassen zu werden. Leider wurde mein Aufenthalt bekannt und ich nach Berlin gerufen. Dort machte man mir klar, dass ein Aufenthalt im Dritten Reich eine Arbeitsverpflichtung für mich bedeute. Bei der entscheidenden Unterredung mit dem Reichsfilm-Intendanten v. Reichmeister bezog ich die für mich einzig tragbare Stellung mit der offiziellen Erklärung, ‚dass Arbeit nur für mich in Frage käme, mit der Anerkenntnis der Tatsache, dass ich nie ein Nationalsozialist war, keiner sei und nie einer werden würde.‘ Diese Bedingung wurde akzeptiert und – um gerecht zu sein – eingehalten.“

G.W. Pabst-Stern im "Boulevard der Stars" in Berlin (imago/eventpress)
G.W. Pabst-Stern im "Boulevard der Stars" in Berlin (© imago/eventpress)

Das klingt nach einem „Gentlemen's Agreement“ zwischen zwei noblen Herren. Überzeugend ist diese Darstellung nicht. Der SS-Hauptsturmführer Carl-Dieter von Reichmeister war Reichsfilmdramaturg. Von seiner Begegnung mit Goebbels, der wirklich Reichsfilmintendant war, erzählte Pabst nichts.

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