Hab mich lieb!

- | Deutschland 2003/04 | 102 Minuten

Regie: Sylke Enders

Eine 23-jährige Krankenpflegerin findet in ihrem zermürbenden Arbeitsalltag Halt bei ihrer Kollegin, einer extrovertierten Transsexuellen. Doch die strapazierfähige Freundschaft gerät durch einen Mann ins Stolpern. Mit verhaltener Dynamik und großer Sensibilität für die Darstellung von Subkulturen umschreibt der improvisationsfreudige Film das konfliktreiche Leben einer jungen Frau, die sich auf der Suche nach privatem Glück im Wege steht. Zwar ist die hyperrealistische Kameraführung nicht immer auf der Höhe der sorgfältig gezeichneten Figuren, doch beeindruckt der Film durch die Präsenz der Hauptdarstellerin. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003/04
Produktionsfirma
Alfredfilms Krueger & Wiesner/dffb/WDR/arte
Regie
Sylke Enders
Buch
Sylke Enders
Kamera
Frank Amann
Musik
Marc Riedinger
Schnitt
Frank Brummundt
Darsteller
Franziska Jünger (Kalli) · Torsten Schwick (Christel) · Lennie Burmeister (Norman) · Paul Faßnacht (Paul) · Rainer Zipke (Rainer)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Der Titel könnte fürs junge deutsche Kino nicht programmatischer sein. Wie schon in „Katze im Sack“ (fd 37 010), „Allein“ (fd 37 161), „Identity Kills“ (fd 36 424), „Egoshooter“ (fd 36 916), „Der Wald vor lauter Bäumen“ (fd 36 880) oder anderen aktuellen Langfilmdebüts geht es um das Alleinsein der Generation zwischen 16 und 30, die Sehnsucht nach Geborgenheit und vielleicht sogar Liebe, das Unvermögen, unliebsame autistische Verhaltensweisen abzulegen. „Hab mich lieb!“ bildet da keine Ausnahme, wagt der Film doch erneut den Griff ins konfliktreiche Leben einer jungen Frau, die sich auf der Suche nach privatem Glück selbst im Wege steht. Anstrengend genug ist der Arbeitsalltag der 23-jährigen Altenpflegerin Kalli ohnehin. Die Kolleginnen hacken auf der Jüngsten herum, die widerspenstigen Senioren geben sich launisch und streitlustig. Wäre da nicht Kallis einzige Bezugsperson Christel, eine extrovertierte Transsexuelle mit flottem Mundwerk, gäbe es in ihrem tristen Leben wenig Grund zur Freude. Dennoch fällt alles Grobe und Verletzende im Umgang mit der einzigen Freundin nur selten von ihr ab. Kalli spottet über Christels unglücklich verlaufende Zufallsbekanntschaften und rächt sich mit purer Gewalt für die Demütigungen, die der Freundin wegen ihres androgynen Auftretens immer wieder widerfahren. Ihre eigenen emotionalen Defizite verbirgt sie hinter einer Fassade aus Abgebrühtheit und notorischem Misstrauen. Manchmal vergisst die Kamera ihre nervösen Bewegungen, fixiert das schmerzhaft verzerrte Gesicht der vereinsamten Heldin und weidet sich an dem Anblick dieses viel zu früh verhärmten Kinderantlitzes. „Hab mich lieb!“ ist der Abschlussfilm von Sylke Enders an der dffb und nach dem viel beachteten und mehrfach preisgekrönten Jugenddrama „Kroko“ (fd 36 379) bereits ihr zweiter Spielfilm mit Franziska Jünger in der Hauptrolle. Eigentlich könnte die Reihenfolge genau umgekehrt sein, denn formal fällt „Hab mich lieb!“ weit hinter „Kroko“ zurück, begnügt sich mit einer hyperrealistischen Kameraführung, die nicht immer auf der Höhe der mit viel Liebe gezeichneten Figuren ist. So wie die erstaunlich präsente Laiendarstellerin Franziska Jünger als Kroko dem neudeutschen Phänomen gewalttätiger Vorstadtgören ein authentisches Gesicht gab, so verleiht sie ihrer charakterlich ähnlich angelegten Kalli-Figur diesmal eine bemerkenswerte psychologische Komplexität. Beide bewegen sich nah am ausgefransten Rand der Gesellschaft, setzen der sozialen Stigmatisierung jedoch andere Überlebensstrategien entgegen. Während Kroko in kriminellen Stärkeritualen so lange Halt findet, bis ihr von außen Grenzen gesetzt werden, drohen Kallis Verweigerungsgesten in selbst auferlegter Isolation leer zu laufen: Die Fürsorge ihrer Mutter lehnt sie kaltschnäuzig ab, den unterbezahlten Job erledigt sie lustlos und so lange auf Konfrontation bedacht, bis ihr gekündigt wird. Da erstaunt es kaum, dass sie auf Christels Identitätskonflikt erschreckend gefühllos reagiert, ihr sogar zur Geschlechtsumwandlung rät, nur um Aufmerksamkeit für ihre eigenen Nöte zu erzwingen. Spätestens als der schüchterne Norman auftaucht, kommt die strapazierfähige Beziehung der ungleichen Freundinnen doch noch ins Stolpern. Während einer Silvesternacht finden sie den jungen Mann im Drogenrausch bewusstlos auf dem Bürgersteig. Christel wittert sogleich einen neuen Lover und nimmt Norman gegen den Widerstand der sichtlich eifersüchtigen Kalli bei sich auf. Das traumatisierte Heimkind gibt sich mal apathisch und willensschwach, mal sensibel und voller Menschenkenntnis. So irritierend für Norman Christels Avancen sind, so eindeutig ist sein Interesse für Kalli. Deren Gefühlsumschwünge werden von nun an zum Erlebnis: Die Freude über die unerwartete Zuneigung mündet schnell in sexuelle Forderungen, die Norman nicht zu erfüllen vermag. Gnadenlos lässt ihn Kalli ihre Verachtung spüren und tröstet sich mit dem kurzen Glücksversprechen von Kokain und zufälligem Sex. Von später Reue erfasst, zerfließt sie in Selbstmitleid und bemerkt zu spät, dass Christel ihr Leben längst auf ein neues Fundament gestellt hat und mit ihrem Liebhaber, einem wohlhabenden, 30 Jahre älteren Schriftsteller einen Neuanfang in Irland plant. Beim Abschiedsessen verliert Kalli den Boden unter den Füßen und ist gezwungen, ihren Panzer der vermeintlichen Autarkie fallen zu lassen. Doch zuvor lässt sie ihren Aggressionen freien Lauf. Der verhaltenen Dynamik dieser klassischen Entwicklungsgeschichte entspricht die lineare Erzählhaltung und eine Regie, die sich ganz dem Blickwinkel der Figuren unterordnet. Mit Sensibilität für die Darstellung von Subkulturen und Milieus variiert Sylke Enders – in Brandenburg geboren und fast 20 Jahre älter als ihre Darsteller – ihr Schlüsselthema einer jugendlichen „éducation sentimentale“, an deren Ende wenn nicht der Zwang zur Anpassung, so zumindest die Bereitschaft zum Kompromiss steht. Trotz der Freude an Improvisation und einem großen Hang zur Unmittelbarkeit des Ausdrucks schafft es die Regisseurin nicht durchgehend, ihrer Dreiecksgeschichte die nötige Fallhöhe zu verleihen, die ihr in „Kroko“ mühelos gelang. Vielleicht liegt das daran, dass Enders allzu ausgiebig eine Ästhetik der Hässlichkeit und Hoffnungslosigkeit bemüht – sei es in dem muffigen Blümchentapeten-Dekor oder mit Nebenfiguren, die in ihrer Spießigkeit und gedanklichen Begrenztheit der Adenauer-Ära entsprungen sein könnten. Diese allzu leicht konstruierten Reibungsflächen schadet dem ansonsten ausgesprochen intensiven Film mehr, als sie nützen, weil das offensichtliche Bestreben der Regisseurin nach Authentizität mit einem Griff in den Fundus abgelebter Bilder umgesetzt wird, die eines frühen Ken Loach würdig sind, in der bundesdeutschen Gegenwart aber leicht antiquiert wirken.
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