Identity Kills
Drama | Deutschland 2003 | 82 Minuten
Regie: Sören Voigt
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Living Films
- Regie
- Sören Voigt
- Buch
- Sören Voigt
- Kamera
- Markus Stein
- Musik
- Johnny Blender · Hannes Bieger · Markus Trockel
- Schnitt
- Gergana Voigt
- Darsteller
- Brigitte Hobmeier (Karen Lohse) · Daniel Lommatzsch (Ben Wüstkamp) · Mareike Alscher (Fanny Volant) · Julia Blankenburg (Sara) · Nicole Krämer (Susanne)
- Länge
- 82 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
„Identity Kills“ – nach „Tolle Lage“ (fd 34 890) der zweite Langfilm des dffb-Absolventen Sören Voigt – ist ein Glücksfall fürs junge deutsche Kino. Mustergültig in seiner verknappten Exposition, in seiner Erzählweise insgesamt extrem ökonomisch, lässt der Film seinen Figuren und Zuschauern gleichzeitig große Freiräume und zeigt damit, dass er beide Parteien ernst nimmt. Zustände von Kommunikationsverlust, Einsamkeit oder Aggressivität erfahren unter Ausschluss naheliegender Strickmuster eine präzise Zeichnung. Dies braucht alles nur einige Augenblicke. Kleine Gesten und Bewegungen reißen oft eine ganze Bandbreite von Emotionen bzw. Emotionsdefiziten auf. So präzise Spiel und Inszenierung, so authentisch wirken Dialoge und Setting. Voigt arbeitet diametral zu der von Romuald Karmakar in „Die Nacht singt ihre Lieder“ (fd 36 368) praktizierten Methode. Statt statuarischer Worthülsen und Einstellungen, die Sprachlosigkeit plappernd behaupten, schafft er hoch aufgeladene Spannungsfelder des Gesagten und Ungesagten, des Gezeigten und Versteckten. Karmakar huldigt einem missverstandenen Minimalismus, Voigt organisiert sein Material kontrapunktisch. Seine Tugend formuliert sich in erzählerischem Understatement – statt zu stapeln, schichtet er. Die dadurch freigesetzten Subtexte emanzipieren die Geschichte auf fast wundersame Weise von ihren genre-immanenten Untiefen. Zunächst durchläuft die fragile Heldin eine Reihe anekdotisch strukturierter Kapitel. Sie taumelt durch Spiegelfluchten einer sich feindlich artikulierenden Umwelt, an die keinerlei Annäherung möglich scheint. Ihre Versuche, sich anzupassen, führen alle zum Gegenteil; gerade dadurch wird sie immer wieder auf ihr Krankheitsbild zurück geworfen. Karens Eigentherapie setzt in dem Moment ein, als sie die Simulation zum bewussten Handlungsprinzip erklärt. Ihre Affirmation erfolgt durch ein eigenhändig ausgeübtes Verbrechen. Darin liegt die eigentlich subversive Botschaft ihres Tuns – und auch die des Films: Als Kranke erscheint Karin für ihre Umwelt erst dann gesund, wenn sie die Verhaltensmaßregeln der Normalität annimmt und auf die Spitze treibt. Ihre zunächst lediglich fixe Idee von der Dominikanischen Republik wird zum Motor einer immensen kriminellen Energie, der kaum mehr zu stoppen ist. Indem Karen zur erfolgreichen Hochstaplerin avanciert, erfüllt sie eine allgemein akzeptierte Funktionalität. Krankheit sublimiert sich durch Verbrechen zu Erfolg. Die damit einhergehende Gesundung ist nur eine scheinbare – aber unterscheidet sich die „Heldin“ darin so sehr von ihrer Umwelt? Identität tötet, wie der Filmtitel sagt. Leben kann Karen erst, indem sie anonym wird und Identitäten auslöscht; ihre eigene ebenso wie die der unglücklichen Frau, in deren Hülle sie schlüpft. In dramaturgischer Hinsicht wird der Krimi-Plot erst in der letzten Phase des Geschehens wirksam, fügt sich aber durch seine frühzeitige Anlage harmonisch in das sonst eher epische Gesamtkonzept. Es stört keineswegs, dass Karens Abreise in die Karibik kaum eine Perspektive aufzeigt. Wichtig bleibt ihre makabre Metamorphose vom kranken Opfer zum gesunden Täter.
„Identity Kills“ kommt ohne große Namen aus, wurde mit geringem Budget realisiert. Voigt hat einen kleinen, substanziell sehr reichen Film gemacht. Man wünschte sich in der deutschen Filmlandschaft mehr derartige Harmonie von Effizienz und Understatement.