- | Deutschland 2003 | 96 Minuten

Regie: Sylke Enders

Eine 16-Jährige, Kiezgröße im Berliner Randbezirk Wedding, dominiert mit ihrem provokanten Äußeren zumindest die Mädchen ihres Freundeskreises. Als chronische Ladendiebin liegt ihr jede Form von redlichem Broterwerb fern. Als sie ausgerechnet in einer Wohngemeinschaft für geistig und körperlich Behinderte eine Sozialstrafe ableisten muss, gerät sie in eine bis dahin völlig ausgeblendete Wirklichkeit. Ein erfrischend authentischer Berlin-Film, der vor allem dadurch glaubwürdig erscheint, dass er auf eine übertriebene Läuterung der Heldin verzichtet und ihre Veränderung eher andeutet als ausformuliert. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Luna-Film/SWR/HR/RBB
Regie
Sylke Enders
Buch
Sylke Enders
Kamera
Matthias Schellenberg
Musik
Robert Philipp
Schnitt
Frank Brummundt
Darsteller
Franziska Jünger (Kroko) · Alexander Lange (Thomas) · Hinnerk Schönemann (Eddie) · Danilo Bauer (Rolle) · Harald Schrott (Micha)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
absolut Medien (16:9, 1.66:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Stadtbezirk Wedding im Nordwesten Berlins: einst legendäre Hochburg von Kommunisten und Sozialdemokraten („Der rote Wedding marschiert!“), heute ein Problem- Kiez mit überdurchschnittlichem Anteil an Sozialhilfe-Empfängern und Migranten. Die etwa 16-jährige Julia verkörpert so etwas wie eine Berühmtheit ihres Viertels. Wasserstoffblond und Sonnenstudio gebräunt, mit bedrohlich langen Fingernägeln und schriller Garderobe, dominiert sie zumindest die Mädchen ihres zwischen den tristen Mietskasernen lungernden Freundeskreises. Aber auch Jungen haben Respekt vor ihr, ist sie doch standesgemäß die Freundin von Eddie, dem unangefochtenen Kopf der Gruppe. Julia nennt sich „Kroko“ – in Anspielung auf jene Riesenechse, die stundenlang regungslos mit eiskalten Augen am Ufer lauern kann, um dann blitzschnell zuzuschnappen. Tatsächlich scheint Kroko am Beginn einer kleinkriminellen Karriere zu stehen; als chronische Ladendiebin hat sie bereits in mehreren Geschäften Hausverbot, jede Form von redlichem Broterwerb liegt ihr fern. Nur ihr geringes Alter verhinderte bisher eine juristische Verurteilung. Als sie eines Nachts den Bogen überspannt und ohne Führerschein, betrunken und mit gestohlenem Auto einen Unfall verursacht, drohen ernsthafte Konsequenzen. Die Richterin zeigt Milde, verordnet 60 Stunden Strafarbeit in einer sozialen Einrichtung – für Kroko eine Demütigung, wie sie gravierender kaum hätte ausfallen können. Ausgerechnet in einer beschützten Wohngemeinschaft für geistig und körperlich Behinderte muss sie ihre Stunden abreißen und gerät damit in eine bis dahin völlig ausgeblendete Wirklichkeit. Behinderte waren für sie und ihre Freunde nichts als „Spastis“; sich mit ihnen zu beschäftigen, bewegte sich außerhalb des Denkbaren.

Bei Krokos erster Konfrontation mit ihrer temporären Arbeitsstelle erfüllen sich alle ihre Vorurteile: sabbernde, unverständliche Laute stammelnde Insassen, ein fusseliger Alt-Hippie mit Neil-Young-T-Shirt als Betreuer und jede Menge würdeloser Arbeit. Obwohl sie zunächst fest entschlossen scheint, auch hier ihre supercoole Nummer durchzuziehen, kommt Kroko nicht um ein Mindestmaß an Engagement herum. In ganz kleinen Schritten nähert sie sich dem neuen Umfeld an. Ein Ausflug der WG ins Brandenburger Umland bietet dafür weitere Gelegenheit. In den alten Weddinger Freundeskreis zurückgekehrt, bemerkt sie eine feine Verschiebung der eigenen Wahrnehmung: Irgendetwas hindert sie, den ewigen Gleichlauf aus Sprücheklopferei, Partys und Diebstählen wieder aufzunehmen. Als sich auf einem Rummelplatz die beiden Sphären ihres Erlebens zufällig überschneiden und es zur Konfrontation kommt, bezieht sie für die Schwächeren Partei.

Sylke Enders ist mit „Kroko“ die Erweiterung ihres gleichnamigen Kurzfilms zum abendfüllenden Spielfilm gelungen. Erfrischend unprätentiös schildert sie das soziale Milieu des „white trash“ bundesdeutscher Prägung. Indem sie auf eine übertriebene Läuterung ihrer Heldin verzichtet – deren Veränderung eher andeutet als ausformuliert –, bleibt ihre Geschichte glaubwürdig. Es ist überaus sympathisch, dass endlich eine Filmemacherin nicht die gediegenen Yuppie-Interieurs der neuen Berliner Mitte als Folie bemüht, sondern die Randzonen der Hauptstadt, die eigentlich niemand freiwillig aufsucht, geschweige denn als Wohnort wählt. In Verbindung mit der souveränen Leistung Franziska Jüngers in der Titelrolle und der übrigen präzisen Besetzung bis in die Nebenrollen hinein ergibt dies einen der authentischsten Berlin-Filme der jüngsten Zeit.

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