Ein deutscher Zivildienstleistender tritt seine Arbeit an der KZ-Gedenkstätte Auschwitz an, wo er mit einem ehemaligen Häftling konfrontiert wird, zu dessen Aufgaben es gehört, den Besuchern vom Holocaust zu erzählen. Der störrische Alte macht aus seiner Abneigung gegenüber dem jungen Deutschen keinen Hehl, und doch eröffnen sich Spielräume für ein gegenseitiges Verstehen. Der autobiografisch gefärbte Film meistert sein heikles Sujet spielerisch leicht und zugleich mit großer Ernsthaftigkeit. Die hervorragenden Hauptdarsteller sowie die kameratechnisch ausgefeilte Inszenierung verdichten sich zu einem Lehrstück über eine mögliche deutsch-polnische Normalität fern aller Betroffenheitsplattitüden.
- Sehenswert ab 14.
Am Ende kommen Touristen
Drama | Deutschland 2007 | 85 Minuten
Regie: Robert Thalheim
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- 23/5 Filmprod./ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
- Regie
- Robert Thalheim
- Buch
- Robert Thalheim
- Kamera
- Yoliswa Gärtig
- Musik
- Anton K. Feist · Uwe Bossenz
- Schnitt
- Stefan Kobe
- Darsteller
- Alexander Fehling (Sven Lehnert) · Ryszard Ronczewski (Stanislaw Krzeminski) · Barbara Wysocka (Ania Lanuszewska) · Piotr Rogucki (Krzysztof Lanuszewski) · Rainer Sellien (Klaus Herold)
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Dieser Film vollbringt ein Kunststück: einen leichten Ton bei einem schweren Thema zu finden und dennoch packend genug, um einen erstaunlichen Sog zu entwickeln. Das Debüt von Robert Thalheim ließ nicht gerade vermuten, dass sein nächster Film 2007 den Weg nach Cannes finden würde. „Netto“ (fd 37 032) überzeugte zwar durch dokumentarische Schärfe und genaue Zeichnung des ostdeutschen Milieus, war aber in all seiner Tragikomik zu nah an Vorbildern wie Andreas Dresen oder dem britischen Unterschichtenrealismus eines Ken Loach oder Mike Leigh, um auf ein wirklich neues Talent hoffen zu lassen. Für Hans-Christian Schmid war „Netto“ viel sprechend genug, um den 33-jährigen Thalheim unter seine Fittiche zu nehmen und die Produktion für sein Folgewerk zu übernehmen. Der Vertrauensvorschuss des erfahrenen Vorreiters eines anderen realitätsnahen deutschen Films erweist sich als berechtigt: „Am Ende kommen Touristen“ ist ein veritabler Glücksfall fürs junge deutsche Kino.
Nicht nur, dass Thalheim das intimistische Bauchnabel-Kino der Berliner Schule hinter sich lässt. Er ist der erste, der nicht nur den Fuß hinter die Oder-Neiße-Grenze setzt (wie schon Schmid vor ihm mit „Lichter“, fd 36 069), sondern sich weiter in den Osten vorwagt und sogar den Mut hat, sich an einem Ort wie Oswiecim der deutschen Geschichte zu stellen. Den 19-jährigen Sven verschlägt es als Zivi an diesen symbolträchtigen Schauplatz, der besser unter dem Namen Auschwitz bekannt ist. Eigentlich wollte er nach Amsterdam, doch die Stelle war bereits besetzt, und übrig blieb nur das polnische Städtchen, das für die heutigen Bewohner keinerlei Perspektiven, dafür eine Menge existenzielle Probleme bietet. In der Begegnungsstätte, einem sensiblen Ort, wie der keinesfalls idealistische Berliner immer wieder von den dort arbeitenden deutschen Museumspädagogen zu hören bekommt, soll er dem störrischen Alten Stanislaw Krzeminski zur Hand gehen; der ehemalige KZ-Häftling – der vor Ort eine Werkstatt für die Restaurierung von Koffern aufgebaut hat, die den Deportierten bei ihrer Ankunft im Lager abgenommen wurden – reagiert abweisend und gibt sich unzugänglich. Dabei gehört es zu seinen Aufgaben, Schülern und Reisegruppen vom Holocaust zu erzählen. Mit Vorliebe kommandiert er den um Korrektheit bemühten Eindringling auf Deutsch in einem herrischen Stakkato-Ton, der an die Befehle der KZ-Aufseher erinnert. Seine ostentative Ablehnung hindert ihn nicht daran, sich von dem übermäßig zuvorkommenden Deutschen zur verhassten Gymnastik fahren zu lassen und dabei im Wagen ausgerechnet seinen geliebten Schubert zu hören. Ein scheinbarer Widerspruch, dem Thalheim fast detektivisch auf den Grund geht, ohne sich mit Klischees zufrieden zu geben.
Stimmige und anrührende Figurenzeichnungen wie diese, die das deutsch-polnische Verhältnis in subtilen Beobachtungen einfangen, stehen neben der zaghaften Liebesgeschichte, die sich zwischen Sven und einer jungen Polin anbahnt. Die gut ausgebildete Ania arbeitet in Oswiecim als Reiseleiterin und möchte lieber früher als später nach Brüssel, um mit einem Stipendium ihre Träume von einem besseren Leben zu verwirklichen. Gemeinsam machen sie Fahrrad-Ausflüge in die das ehemalige KZ-Gelände idyllisch umschließende Natur und stoßen immer wieder auf Lagerüberreste, die sich der Unbeschwertheit ihrer Jugend in den Weg stellen. Ein konstanter Störfaktor ist auch Anias Bruder. Wenn er nicht Punk-Rock-Konzerte gibt, legt er sich an seinem von neuen deutschen Fabrikherren aufgekauften Arbeitsplatz mit der Vorgesetzten an, die ihn wegen seiner „typisch polnischen“ notorischen Unzuverlässigkeit entlässt. Der latente Hass der Polen auf ihre deutschen Nachbarn zieht sich wie ein roter Faden durch den in warmen sommerlichen Farben gehaltenen, konsequent in dokumentarischer Ästhetik mit der Handkamera gedrehten Film.
Es ist ein Genuss zu erleben, wie Thalheim auf unwahrscheinliche dramaturgische Eskalationen verzichtet und trotz des reduzierten Inszenierungsstils intensive Momente der Annäherung schafft, mit hervorragend ausgewählter Musik unterlegte kurze Oasen des Aufatmens in einem komplizierten Geflecht aus hartnäckigen Ressentiments, simulierter und echter Betroffenheit und Missverständnissen, die inmitten des neuen Europa sogleich ein Erdbeben auslösen können. Zu den großen Stärken gehört auch die leise entlarvende Zurückhaltung, mit der Thalheim die Routine und mitunter auch Absurdität des deutschen Gedenktourismus an den Ort des Grauens einfängt, wenn er etwa Krzeminski bei einer betrieblich gesponserten Mahnsteinlegung davon erzählen lässt, wie er und seine Mitgefangenen in der Tötungsmaschinerie nur nach ihrer Verwertbarkeit beurteilt wurden und die Betroffenheitsbeauftragte der Firma ihm überfordert das Wort abschneidet, nur um endlich das obligatorische Gruppenfoto am Denkmal zu absolvieren. Die Genauigkeit des auf Subtexte setzenden Ansatzes mag daran liegen, dass der Regisseur selbst in den 90er-Jahren als Zivi in Auschwitz gearbeitet hat.
Unter Verzicht auf altbekannte historische Bilder oder didaktische Wiedergutmachungsgesten bleibt er ganz in der Gegenwart und schafft so ein vielschichtiges Lehrstück über eine deutsch-polnische Normalität, die sich bis heute nicht einstellen will. Neugierig und unvoreingenommen lässt sich seine kluge Reflexion auf ein waghalsiges Abenteuer ein, an dessen Ende Erfahrungszuwachs und ein neue Räume des gegenseitigen Verstehens öffnendes Innehalten steht, das lange nachwirkt. Die Mischung aus deutschen und polnischen Darstellern, darunter der wunderbar lakonische Bühnenschauspieler Ryszard Ronczewski, dessen Filmografie wie eine Chronik des polnischen Kinos daher kommt, trägt zur Stimmigkeit des alle Risiken erstaunlich sicher bewältigenden Unternehmens bei – nicht zuletzt dank des herausragenden Hauptdarstellers Alexander Fehling. Der Abgänger der Ernst-Busch-Schule zeigt sich seiner Rolle eines so ernsten wie verunsicherten jungen Mannes, der ohne Vorbereitung mit der geballten Ladung deutscher Verbrechen konfrontiert wird, mehr als gewachsen. Sein nuanciertes, waches, an Natürlichkeit nicht zu übertreffendes Spiel gehört zum Besten, das der junge deutsche Film bisher in Sachen Schauspielkunst zu bieten hatte. Wem die frische und ungewohnte Vergangenheitsbewältigung nicht dramatisch und erschütternd genug ist, sei mit Worten von Krzeminski empfohlen: „Zeigen Sie denen Schindlers Liste“.
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