Biopic | USA 2024 | 109 Minuten

Regie: Rachel Morrison

Biopic über die Karriere-Anfangsjahre der US-Profiboxerin Claressa „T-Rex“ Shields aus der im Niedergang begriffenen Industriestadt Flint, Michigan. Die Olympiasiegerin und Weltmeisterin schrieb Boxgeschichte, hatte aber als Jugendliche mit schwierigen Startbedingungen zu kämpfen – und selbst mit Goldmedaille beim Sponsoring das Nachsehen. Mitreißend und mitfühlend zugleich erzählt das sozialkritisch eingestellte Biopic von einer unvergleichlichen Karriere entgegen allen gesellschaftlichen Vorurteilen. Ohne Schwarz-Weiß-Malerei folgt der Film dabei nicht der üblichen Sportfilm-Dramaturgie, sondern findet nach der ersten Goldmedaille zum wirklichen Kampf in einer Welt, in der Gerechtigkeit hart erkämpft werden muss. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE FIRE INSIDE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
MGM/Michael De Luca Prod./PASTEL
Regie
Rachel Morrison
Buch
Barry Jenkins
Kamera
Rina Yang
Musik
Tamar-kali
Schnitt
Harry Yoon
Darsteller
Ryan Destiny (Claressa Shields) · Brian Tyree Henry (Jason Crutchfield) · De'Adre Aziza (Mickey) · Oluniké Adeliyi (Jackie Shields) · Lanette Ware (Coach Parker)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama | Sportfilm
Externe Links
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Filmbiografie über die Anfangsjahre der Boxerin Claressa Shields, die neben dem sportlichen Aufstieg auch Kämpfe gegen gesellschaftliche Vorurteile durchstehen muss.

Aktualisiert am
01.04.2025 - 15:50:24
Diskussion

Unbeirrt rennt ein junges Mädchen über die verwaisten Straßen von Flint, Michigan. Es ist eisig, irgendwann geht es querfeldein. Claressa taucht im „Boys only“-Boxclub des Ortes auf, setzt wortlos den Kopfschutz auf und steckt die Schläge ein. Sehr zur Ver-, aber auch Bewunderung von Jason Crutchfield, dem sanft-durchsetzungsstarken Boxtrainer. Im noch gar nicht so lange zurückliegenden Jahr 2006 waren Frauen im Boxring mehr als ungewöhnlich – wie sollte es auch anders sein, fehlten doch jegliche Vorbilder. Das schwarze Mädchen möchte ihre Verletzungen, die Vernachlässigung zuhause, die Wut da draußen trotzdem in den Boxring tragen. In Claressa brennt das unlöschbare Feuer des Titels. Und das scheint, ähnlich wie das von Olympia, vielleicht einmal zu flackern, aber niemals wirklich auszugehen.

Sechs Jahre später, 2012, sollte das Frauen-Boxen als olympische Disziplin zugelassen werden. Hier setzt die Handlung wieder ein: Claressa „T-Rex“ Shields hat nach zahlreichen nationalen Boxwettkämpfen endlich die Aufmerksamkeit des US-Boxsportverbands errungen. Den bissigen Kampfnamen T-Rex trägt die 17-Jährige nicht, weil sie als aggressive Königin des Rings gilt, sondern aufgrund ihrer kurzen Arme, wie sie in einem Presseinterview unumwunden zugibt. Genau diese kurzen Arme verhindern beinahe die Teilnahme an den anstehenden Olympischen Spielen in London, als Claressa gegen die großgewachsene Britin Savannah Marshall zum ersten und einzigen Mal in ihrer Amateurkarriere verliert – ausgerechnet bei den Qualifikationen in China, zum ersten Mal ohne Trainer Jason an ihrer Seite.

Angezählt durch prekäre soziale Bedingungen

Jetzt könnte man solch eine Sportlerinnen-Karriere in den klassischen Stationen erzählen, vom Aufstieg, den Zweifeln, von Rückschlägen bis hin zum finalen Triumph. Drei Eigenschaften der mehrfachen Olympiasiegerin und Weltmeisterin, deren Geschichte hier erzählt wird, stehen dem entgegen: Claressa ist eine Frau in der Männerdomäne Boxen, sie ist schwarz und sie stammt aus Flint, dem einst florierenden Mekka der US-Automobilindustrie, deren Abstiegsgeschichte als Folie vor einem rasanten Aufstieg bemerkenswert ist. Fast die Hälfte der Häuser steht leer. 38 Prozent der unter 18-Jährigen leben unterhalb der Armutsgrenze – so auch Claressa und ihre Geschwister. Später kommt der Übergriff auf Claressa als Sechsjährige durch einen Ex-Partner der Mutter heraus, während der Vater im Gefängnis sitzt. Einmal entlassen lässt er sich vornehmlich dann blicken, wenn er Geld wittert. Kurz: Eigentlich ist Claressa bereits angezählt, bevor sie in den Ring steigt. Und die miserablen Umstände werden auch mit Goldmedaille um den Hals nicht wirklich besser.

Wo andere Sportler-Biopics aufhören, da beginnt das Regie-Debüt der renommierten Kamerafrau Rachel Morrison jedoch vom wirklichen „Fire Inside“ zu erzählen: Ihre Heldin brennt für das Boxen, vor allem aber auch für die Gerechtigkeit und das Wohlergehen der Menschen, die voller Hoffnung ihren Sieg bejubelten. Zu unterschiedlich war die Behandlung der anderen US-Olympia-Champions, um nicht als extrem ungerecht empfunden zu werden. Einen attraktiven, weißen Schwimmer wie Michael Phelps machten die Sponsoren-Verträge zu Multimillionären. Eine junge schwarze Boxerin aus prekären Verhältnissen ist als Werbeträgerin weniger gesucht, wird dem konsternierten Trainer erklärt. Jason und sein Schützling schreiben trotz ihrer anhaltenden Erfolge (erst einmal) nicht Sport-Geschichte, sondern laufen oder besser boxen gegen geschlossene Türen an, während das Leben und die familiären Verpflichtungen weiterlaufen.

Gelungene Kooperation von Rachel Morrison und Barry Jenkins

Mit Drehbuchautor Barry Jenkins („Moonlight“) und Regiedebütantin Rachel Morrison, die unter anderem im Superhelden-Film „Black Panther“ die Kamera führte, haben sich zwei Filmemacher zusammengetan, die den sozialkritischen Gestus in ihrem Werk schon oft unter Beweis gestellt haben. Jenkins hat ein packendes Drehbuch verfasst, das ohne unnötige dramatische Schlenker von Claressa Shields’ Sportlerinnen-Karriere erzählt und sich dabei angenehm der Schwarz-Weiß-Malerei entzieht.

Claressas Mutter ist zum Beispiel nicht nur die ich-bezogene, ihre Kinder vernachlässigende Partylöwin mit den wechselnden Männern. Sie ist auch besorgt und immer wieder bemüht, die Missstände wettzumachen. Der verlotterten Küche am Abend folgen am nächsten Morgen ein gemachtes Frühstück und liebevolle Worte der Zuwendung, auch wenn das Müsli ob der vergessenen Milch nur mit Wasser aufgegossen wird.

Sport-Biopic mit gesellschaftskritischem Impetus

Von der Marketingexpertin des Box-Vereins bekommt Claressa den oberflächlichen Tipp, sich „weiblicher“ zu geben: mehr Lipgloss, mehr Weichheit. In ihrer Teenager-Verweigerungshaltung ist Claressa tatsächlich nicht die Idealbesetzung eines Sponsoring-Markts, auf dem es eben nicht nur um Leistung geht. Hintergründig macht „The Fire Inside“ klar, dass in einer Gegend wie Flint ein sehr widerstandsfähiges Kraut gedeihen und wunderschön erblühen kann. Egal wie schroff die Lebensumstände sind. Man kann förmlich spüren, wie in Claressa der gerechte Zorn wächst, während sie unbeirrt ihre Street-Credibility gegen das Schönheits-Einerlei setzt. Und das macht sie zur glaubwürdigen Vorkämpferin in Sachen Gender-Pay-Gap zwischen männlichen und weiblichen Athletinnen. Was ist das für ein schöner, mitreißend und berührend erzählter Film geworden, mit dem Jenkins und Morrison ihre Fühler aus der Sportler-Erfolgsgeschichte hinausstrecken und ihrem Stoff damit deutlich mehr an Relevanz und Tiefe verleihen.

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