An guten Ratschlägen herrscht kein Mangel. Im Freundeskreis zücken die Überlebenden des Anschlags auf die Bataclan-Konzerthalle ihre Handys und präsentieren einander ihre Textnachrichten. Es ist eine Konkurrenz der wohlgemeinten, aber am Kern ihrer Gefühle vorbeizielenden Sprüche, die im direkten Vergleich ihre ganze Absurdität offenbaren. Da wird es pseudo-philosophisch mit Hinweis auf die positive Urbedeutung des Wortes „Krise“ im Griechischen, da wird eine Vulgär-Theodizee mit „Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade“ bemüht oder auch „Was einen nicht umbringt…“. Vorläufig getoppt nur durch „The show must go on.“
Die Männer und Frauen, die den islamistischen Anschlag am 13. November 2015 überlebt haben, können in dieser Situation nur ungläubig auflachen. Was Familienmitglieder, Freunde und Kollegen ihnen auf diese Weise geschickt haben, führt ihnen ihre Hilflosigkeit nur noch schmerzhafter vor Augen. Denn auch denen, die den Terror am eigenen Leib erfahren haben, fehlen die Worte, um ihren Zustand auszudrücken. Auch der berühmte „Meinen Hass bekommt ihr nicht“-Kommentar bei Facebook ist kein Trost, selbst wenn ihn einige in der Gruppe beeindruckend finden. „Auf jeden Fall bekommen die meinen Hass!“, bricht es aus dem Spanier Carlos heraus, während sein Landsmann Ramón ihn vergeblich in den Arm zu nehmen versucht. Beständig wiederholt Ramón das Wort „Love“, doch das erreicht Carlos definitiv noch nicht.
Sobald er die Augen schließt
Die Hauptfigur Ramón in „Frieden, Liebe und Death Metal“ von Isaki Lacuesta beruht auf dem Bericht „Paz, amor y death metal" des Bataclan-Überlebenden Ramón González, dessen Titel dem Film seinen deutschen Namen gibt. Im Original lautet er wesentlich lapidarer „Un año, una noche“, was den Aspekt des Einschnitts deutlicher hervorhebt; auch Ramóns Existenz zerfällt seither in eine Zeit vor und eine nach dem Abend im Bataclan. Ramón ist nur knapp mit dem Leben davongekommen; doch bei ihm ist nicht Zorn das beherrschende Gefühl. Für ihn hat die Bedrohung nie aufgehört; noch immer sieht er das Bild eines Attentäters, sobald er die Augen schließt. Seit dem Anschlag überfällt ihn urplötzlich Panik, sodass ihn seine Freundin Céline aus einem Café bugsieren muss oder ihn im Taxi daran hindert, bei der Fahrt die Tür aufzureißen; vor seiner Therapiestunde hält sie seine Hand. Mit hinein geht sie aber nicht, denn Céline will nicht über die Stunden der Angst im Bataclan sprechen. Weder ihren Eltern noch ihren Kollegen in einem Wohnheim für Jugendliche aus der Banlieue hat sie etwas davon gesagt, dass sie eine Überlebende des Anschlags ist. Célines einziges Ziel besteht darin, die Erlebnisse zu vergessen. Immerhin bleiben ihr so die faden Aufmunterungen erspart, die ihre Leidensgenossen so aufwühlen.
Unter den 2022 in den Kinos gestarteten filmischen Auseinandersetzungen mit den Anschlägen vom 13. November 2015 sticht der Film des baskischen Regisseurs Isaki Lacuesta durch die Konsequenz heraus, mit dem er sich auf die Opfer und ihre unterschiedlichen Bewältigungsversuche einlässt. Anders als Kilian Riedhof in „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ weitet er die Perspektive auf konträre Strategien aus, und im Gegensatz zu „November“ von Cédric Jimenez wird Vergeltung hier nie als befreiende Option vorgestellt. Bei Ramón und Céline deuten sich ihre unterschiedlichen Reaktionen auf das Erlebte schon am Morgen danach an, wenn Céline pragmatisch einen Internet-Einkauf in Angriff nimmt, während Ramón schon die Fassung verliert, als er seine Freundin nicht im Bett vorfindet; wenig später durchzuckt ihn der erste Erinnerungssplitter und damit die erste Panikattacke. Und obwohl Céline ihm in diesen sich regelmäßig wiederholenden Momenten beisteht, beginnt das Paar auseinanderzudriften. Auch die Bildsprache verdeutlicht dies: Einmal umarmen sich Ramón und Céline vor einem Spiegel, doch die Kamera von Irina Lubtchansky zeigt dies nicht als Akt der Vereinigung, sondern wählt einen Winkel, der die Körper der beiden zersplittert erscheinen lässt. Ihre Trennung ist absehbar.
Die Erinnerungen sind unzuverlässig
Gewissenhaft begleitet Lacuesta die Hauptfiguren durch die Monate nach dem Anschlag. Für Ramón ist es eine schmerzliche Zeit, in der er sich seinen bedrückenden Gefühlen überlässt und immer wieder von ihnen überwältigt wird; das Trauma erscheint so mächtig, dass er dem Rat seiner Therapeutin, das Erlebte aufzuschreiben, akribisch nachzukommen versucht. Doch falsche Erinnerungen, Hinzudichtungen und die Suche nach kleinsten Details belasten die Schreibkur. Zudem bricht Ramón aus seinem bisherigen Leben aus, kündigt seinen Bürojob, denkt an einen Neustart als Musiker, an eine Rückkehr nach Spanien oder auch an ein Kind. Das alles lässt die Konfrontationen mit Céline immer noch stärker werden, die sich an die Illusion klammert, den bewussten Tag einfach vergessen zu können. Mit wachsender Verzweiflung, denn ihre individuelle Opfererfahrung drängt sich mit Gewalt in die Versuche hinein, ihr altes Leben weiterzuführen.
Der Film zeigt auch nachinszenierte Bilder des Anschlags, ohne diese für Spannungsvoyeurismus auszubeuten. Zuerst nur als Sekundenflashs, werden die Rückblicke allmählich ausführlicher und klarer, bleiben als Erinnerungsschübe von Ramón und Céline aber fragmentarisch und teils auch widersprüchlich. Denn je mehr sich in der Beziehung der beiden die Frage nach der Verlässlichkeit der Erinnerungen und den aus ihnen zu ziehenden Schlüssen stellt, umso deutlicher greift das auch auf die Bilder selbst aus. Die tatsächliche Abfolge der Ereignisse bleibt in der Schwebe, was zu den mutigen Entscheidungen des Dramas gehört. Ähnlich wie die, die Überforderung der Überlebenden durch den Druck immer präsent zu halten und selbst zum Schluss hin nicht aufzulösen.
Kaum noch wiederzuerkennen
Das surreale Gefühl, in einen Bereich jenseits des menschlichen Verständnisses geraten zu sein, manifestiert sich in der wiederkehrenden Erinnerung an ein Bild, das zuerst unwirklich schön anmutet, obwohl sich hinter ihm eine grausame Realität verbirgt: In der Luft im Bataclan schwirren Partikel umher, die an friedlich fallenden Schnee denken lassen, tatsächlich aber dem Schießpulver und dem Dunst der Leichen entstammen. Unsentimental, aber ergreifend führt Isaki Lacuesta vor, welch brutaler Einschnitt ein Terroranschlag ist und wie unentrinnbar er die Überlebenden zeichnet, allen psychischen Fortschritten zum Trotz. Sie sehen, hören, atmen, leben nun anders, so zerbrochen wie das Monteverdi-Madrigal „Lamento della ninfa“, das den Beginn des Films in großer Klarheit untermalt. Als es im Abspann wiederkehrt, klingt es verzerrt und ist kaum noch wiederzuerkennen.