Drama | Großbritannien/USA 2018 | 115 Minuten

Regie: Richard Eyre

Filmadaption von Shakespeares Königsdrama um einen alten Monarchen, der bei der Verteilung seines Erbes aus nichtigen Gründen seine jüngste Tochter übergeht und dies büßt, als sich seine beiden anderen Töchter später nicht so seiner annehmen, wie er es gerne hätte. Der Familienkonflikt spitzt sich zu einer gewaltsamen Krise des Reichs zu. Regisseur Richard Eyre kombiniert Schauplätze aus unterschiedlichen Epochen und lässt Shakespeares Verse mit modernen Ausstattungselementen kollidieren, was die Zeitlosigkeit des Stoffs akzentuiert. Dabei verlässt er sich auf die Wirkkraft von Shakespeares Sprache und die darstellerischen Fähigkeiten eines erstklassigen Ensembles, das ungewohnte Perspektiven auf die Figuren zu eröffnen versteht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KING LEAR
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Playground Entertainment/Amazon Studios/BBC
Regie
Richard Eyre
Buch
Richard Eyre
Kamera
Ben Smithard
Musik
Stephen Warbeck
Schnitt
Dan Farrell
Darsteller
Anthony Hopkins (King Lear) · Florence Pugh (Cordelia) · Emily Watson (Regan) · Emma Thompson (Goneril) · Karl Johnson (Der Narr)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Regisseur Richard Eyre hat Shakespeares Drama um einen törichten alten König mit Anthony Hopkins in der Titelrolle verfilmt. Dank dem Zutrauen der Inszenierung in Shakespeares Verse und einem Ensemble, das durchweg interessante Rolleninterpretationen abliefert, eine gelungene Adaption.

Diskussion

Am Anfang sticht die scharfkantige Spitze des „Shard“ in den Londoner Nachthimmel; auf die Hochhaus-Silhouette des Bankenviertels mit „The Gherkin“ folgt eine Außenansicht des benachbarten Tower of London. Architekturen, die trotz aller Unterschiede demselben Zweck dienen: der Repräsentation von Macht. Regisseur Richard Eyre hält seine Adaption von Shakespeares „King Lear“ filmisch schlicht; er lässt es sich aber nicht nehmen, den tiefen Fall des alten Königs anhand einiger bezeichnender Panoramen und Settings zu visualisieren: von der stein- beziehungsweise Glas-und-Stahl-gewordenen Hochmütigkeit der Londoner Prachtbauten und gediegener Landschlösser geht es in die namenlose Tristesse grauer Provinz-Orte – matschige Felder an einer Autobahn, die Beton-Wüste einer ärmlichen Einkaufspassage.

Dass dabei Gebäude aus unterschiedlichen Epochen bunt gemischt werden, betont die Zeitlosigkeit des Stoffes, die auch die übrige Inszenierung unterstreicht: Eyres Adaption benutzt Shakespeares Anfang des 17. Jahrhunderts festgehaltene Verse (in einer auf knapp zwei Stunden Laufzeit gekürzten Version), holt sie aber mittels Kostümen und Ausstattung in die Gegenwart. Und haucht ihnen, wie bei Shakespeare-Prestige-Produktionen der BBC üblich (die hier mit dem Streaming-Anbieter Amazon zusammen produziert hat), mit einer Besetzung neues Leben ein, die sich wie ein „Who’s Who“ der britischen Schauspiel-Zunft liest: unter anderem sind Emma Thompson und Emily Watson, „Downton Abbey“-Star Jim Carter, Jim Broadbent und „Doctor Who“ Christopher Eccleston mit von der Partie. Und, allen voran, Anthony Hopkins als ein King Lear, der einen – Alter hin, Gebrechlichkeit her – das Fürchten lehrt.

Die Drehbuch-Adaption und die Regie verantwortet der 1943 geborene Richard Eyre, einer von Großbritanniens großen Theatermachern, der sich auch als Filmregisseur (unter anderem von „Stage Beauty“ (fd 37 252), „Tagebuch eines Skandals“ (fd 38 031), und zuletzt „Kindeswohl“, (fd 45 677)) einen Namen gemacht hat. Er präsentiert „King Lear“ als Narrenspiel der Macht, dem das Mitleid, das Shakespeares Drama mit dem alten, törichten Lear eigentlich evoziert, weitgehend ausgetrieben wurde: Hauptdarsteller Anthony Hopkins spielt ihn als egomanischen Autokraten, der sich auch nach seinem offiziellen Rückzug aus dem Regierungsgeschäft für das Maß aller Dinge hält und den Selbstherrlichkeit und Selbstmitleid blind gegenüber seinen Mitmenschen machen – Fehler, die sich auf fatale Weise in der neuen Herrscher-Generation fortschreiben.

Wenn Lear im ersten Akt wegen einer Lappalie die zärtlichen Gefühle für seine Tochter Cordelia in Hass umschlagen lässt – weil sie ihrer Liebe zum Vater nicht so beredt wie ihre beiden Schwestern Ausdruck verleihen kann oder will –, sie zugunsten ihrer Schwestern bei der Aufteilung seines Reiches übergeht und kurz darauf einen treuen Berater, der ihn umstimmen will, verbannt, macht der mittlerweile 80 Jahre alte Anthony Hopkins daraus eine dermaßen eisenharte verbale Hinrichtung, dass man sich unwillkürlich an seinen Hannibal Lecter erinnert fühlt. Und an die aktuellen Autokraten und ihre bei öffentlichen Auftritten und via Social Media herausgehauenen maßlosen Giftigkeiten.

Auch wenn Richard Eyre Lear nicht – wie es Akira Kurosawa in seiner freien Adaption „Ran“ (fd 25 529) getan hat – explizit mit einer Vorgeschichte als blutrünstiger Warlord ausstattet, ist man geneigt, genau das in ihm zu sehen. Schon wegen der ständigen Militär-Präsenz, mit der er sich umgibt und die hier wesentlich bedrohlicher wirkt als in anderen Lear-Inszenierungen, sodass man sich zunächst sogar mit den im Drama „bösen“ Töchtern Goneril (mit Hillary-Clinton-artiger Kühle: Emma Thompson) und Regan (Emily Watson) solidarisiert, wenn sie ihren Vater mit diesem Begleit-Trupp, mit dem er sich jeweils bei einer von ihnen einquartieren will, nicht aufnehmen wollen und ihn zurückweisen.

Eine regelrechte Umkehrung der familiären Gut-Böse-Konstellationen im „King Lear“, wie sie der Roman „Tausend Morgen“ und seine Verfilmung (fd 33 196) durch Jocelyn Moorhouse vorlegten, strebt Eyre allerdings nicht an: Bei dem in der zweiten Hälfte zunehmend eskalierenden Kampf um das geteilte Reich lassen sich die Schwestern zu einer Gnadenlosigkeit hinreißen, die der ihres Vaters in nichts nachsteht – besonders drastisch demonstriert in jener Szene, in der Regan dem Earl of Gloucester (Jim Broadbent), der Partei für den alten Lear ergriffen hat, die Augen herausreißen lässt, was der Film zwar nicht bis ins blutige Detail, aber allemal schmerzhaft genug zeigt. Lichtblicke an Edelmut gibt es kaum: Wenn Cordelia gegen Ende des Dramas wieder auftaucht, um ihren Vater gegen ihre Schwestern und deren Parteigänger zu verteidigen, lädt Eyre auch dieses Erscheinen mit Aggressivität auf, indem er aus ihr eine in Tarnuniform gewandete Soldatin macht.

Und im Nebenkonflikt um die Halbbrüder Edmund und Edgar, die Söhne des Earl of Gloucester, in deren Konflikt sich der Zwist des Königshauses spiegelt, bringt Eyre durch einen Besetzungs-Coup interessante Brechungen der Gut-Böse-Konstellation ins Spiel: Der jungenhafte John Macmillan nimmt der Rolle des schurkischen Intriganten Edmund trotz all seiner Intrigen das diabolische Flair, während der gute Edgar, der zum unschuldigen Opfer dieser Intrigen zu werden droht, von Andrew Scott verkörpert wird, der als Superschurke Moriarty in der Serie „Sherlock“ bekannt wurde und sich mit solchem Gusto in Edgars auf der Flucht angenommene Tarn-Identität eines geistig verwirrten Bettlers stürzt, dass die Figur bis zum Schluss einen beunruhigenden Drall ins Irrsinnige behält.

In seiner Inszenierung beweist Eyre ebenso viel Zutrauen zur Wirkkraft von Shakespeares Text wie zum Publikum, diese Wirkkraft zu goutieren: Er konzentriert sich darauf, seinen Schauspielern auch angesichts der gekürzten Fassung Raum zur Entfaltung zu geben und ködert die Zuschauer nicht mit aufgepumpten Action-Einlagen, sondern deutet das kriegerische Geschehen, in das der Familienkonflikt mündet, nur dezent an. Was im Drama im Off passiert, wenn es schließlich einem Familienmitglied nach dem anderen an den Kragen geht, belässt auch sein Film im Off – eine grausame Beiläufigkeit, die bestens zu dem insgesamt kühlen Tonfall dieser Inszenierung passt.

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