Nur für einen Moment verliert Tony Hughes (James Nesbitt) seinen fünfjährigen Sohn beim Urlaub in Nordfrankreich aus den Augen. Tony war mit Oliver schwimmen, danach will er an der Freibad-Bar etwas zu trinken kaufen. Weil dort ein Spiel der Fußball-WM übertragen wird – es ist das Jahr 2006 –, herrscht viel Trubel. Oliver wird von Tony getrennt. Und bleibt unauffindbar, auch nachdem Tony das ganze Bad abgesucht und die Polizei verständigt hat. Eine großangelegte Fahndung, bei der der erfahrene Kommissar Julien Baptiste das Kommando übernimmt, bringt keinen Erfolg. Erst Jahre später, als das Trauma längst die Ehe von Tony und seiner Frau Emily zersetzt hat, stößt Tony auf eine neue Spur. Er ruht nicht, bis er auch den schon pensionierten Julien wieder mobilisiert und eine Wiederaufnahme der Ermittlungen bewirkt.
Die von Harry und Jack Williams entwickelte Krimi-Dramaserie entfaltet ihre Wirkung daraus, dass sie auf zwei Zeitebenen spielt. Die Parallelmontage der Handlung 2006 und der Erzählgegenwart 2014 sorgt dafür, dass sich das Puzzle darum, was Oliver passiert ist, von zwei Seiten aus zum Gesamtbild fügt, wobei zwischen den Ebenen viele Spannungen entstehen: Warum ist Emily 2014 nicht mehr mit Tony, sondern mit dem britischen Polizisten Mark Walsh liiert, der 2006 als Kontaktmann zur französischen Polizei fungierte? Weswegen sitzt Khalid Ziane, einer der Ermittler um Baptiste, 2014 im Gefängnis? Und was wurde aus dem reichen Architekten Ian Garrett, der zunächst wie ein großzügiger Helfer erscheint, dann aber ins Zwielicht gerät und 2014 wie vom Erdboden verschwunden ist? „The Missing“ baut aus solchen Fragen einen ungemein fesselnden „Whodunit“, in dem es freilich nicht nur äußere Wendungen sind, die die Handlung vorantreiben, sondern die vielschichtig angelegten Figuren und ihre Entwicklungen. James Nesbitt legt als liebevoller, zunehmend verbitterter, obsessiver Vater, der am Verschwinden seines Kindes zerbricht, eine schauspielerische Glanzleistung hin. Unterstützt wird er von einem bis in die Nebenrollen überzeugenden Cast, wobei Frances O’Connor als leidgeprüfte Ehefrau, Ken Stott als undurchschaubarer Gönner, Anamaria Marinca als Kontaktfrau zur rumänischen Mafia und Titus De Voogdt als vorbestrafter, mit seinen Neigungen ringender Pädophiler hervorstechen. In ihren acht Folgen beleuchtet die Serie zahlreiche Facetten dieser menschlichen Tragödie: die psychischen Auswirkungen auf die Protagonisten, den Umgang der Presse mit dem Verschwinden des Jungen sowie die Kollateralschäden des Falls für die kleine nordfranzösische Gemeinde. Wobei sich Fragen nach Schuld und Verantwortlichkeit auf sehr vielen Ebenen stellen.