Strand, blaues Meer, drei spielende Geschwister und ein Großvater, der sich über seine Enkel freut. Dann, nach mehr als der Hälfte des Films, passiert etwas wirklich Krasses. Fairerweise soll hier nichts verraten werden. Nur soviel: Die vierjährige Jess vergisst ob dieses Ereignisses ihre Leidenschaft für große Steine, die sie überall mit hinschleppt und denen sie Namen wie „Eric“ und „Norman“ gibt; die neunjährige Lottie vernachlässigt ihr Notizbüchlein über die Lügen der Erwachsenen. Mickey wiederum, sechs Jahre alt, findet am Strand eine Steilvorlage für den kommenden „Was ich im Urlaub erlebte“-Aufsatz. Mickey behauptet zwar, dass seine Klassenkonkurrentin am ersten Schultag nach den Ferien „wie immer“ etwas noch Verrückteres berichten wird – aber die Sache mit Opa, die ist kaum zu toppen.
„What We Did On Our Holiday“ ist für diese leicht angeschwärzte, sehr britische Ferienkomödie ein passenderer Titel als die deutsche Spaßüberschrift „Ein Schotte macht noch keinen Sommer“. Richtig ist, dass der Film in den schottischen Highlands spielt und der Sommer dort traditionell eine eher unterkühlte Angelegenheit ist. Der Nordatlantik bietet gemeinsam mit dem Bergpanorama zwar eine malerische Kulisse, aber Badewasser fühlt sich anders an. Es ist ohnehin kein klassischer Familienurlaub, der Mickey und seine Schwestern in die Highlands führt. Ihre Eltern Doug und Abi sind seit einiger Zeit getrennt, doch als das Quintett in London aufbricht, um in Schottland den 75. Geburtstag von Dougs Vater Gordie zu feiern, wird den Kindern eingebläut, der Verwandtschaft nichts von der Trennung zu erzählen. Vorgeschobener Grund für das Heile-Welt-Spiel: Opa Gordie ist schwer krank; dies könnte sein letzter Geburtstag sein.
Die (Lebens-)Lügen der Erwachsenen und die Aufrichtigkeit der Kinder ist das zentrale Thema des Films. Schon während der Anreise der zerstrittenen Eltern mit ihrer lebhaften bis komplizierten Brut nehmen Situationskomik und Sprachwitz an Fahrt auf. Wenn die Großstadtsippe auf die Provinzverwandtschaft trifft, geht der Parforceritt durch lauter Peinlichkeiten nicht minder unterhaltsam weiter. Dreh- und Angelpunkt des Humors sind die Kinder mit ihrer erfrischenden Sicht auf die Welt.
Speziell bei den beiden Kleinen und ihrer verblüffenden Spontaneität fragt man sich: Wie inszeniert man so etwas? Das britische Regie- und Autorenduo Andy Hamilton und Guy Jenkin hat viel Erfahrung mit gut ausgearbeiteten Skripts, innerhalb derer sie ihre Kinderdarsteller mehr oder weniger „von der Leine lassen“. Seit 2007 produzierten sie fünf Staffeln der hochbeliebten Sitcom „Outnumbered“. Das Erfolgsgeheimnis der BBC-Familienserie bestand darin, die Schauspielprofis mit starken Dialogen zu füttern und die Kinder einfach lossprudeln zu lassen. Diese Doppelstrategie funktioniert nun auch vortrefflich im Spielfilmdebüt von Hamilton/Jenkins. Man weiß nie genau, wo das Drehbuch aufhört und die Improvisation anfängt. Die schnellen Schnitte und die vielen Parallelmontagen weisen allerdings darauf hin, dass die Cutter einen anspruchsvollen Job zu erledigen hatten. Das Presseheft nennt Steve Tempia, Mark Williams „und viele andere“ Editoren.
Die Kinderdarsteller sind sensationell, ohne die Großen an die Wand zu spielen: Rosamund Pike leiht ihrer scheidungswilligen Mama Abi ein wenig von der Undurchsichtigkeit ihrer Figur aus „Gone Girl“
(fd 42 515). David Tennant rührt als krisengeplagter Vater Doug mit Dackelblick. Mit Ben Miller als Dougs kontrollsüchtiger, Kilt tragender Bruder Gavin sowie Amelie Bullmore als dessen Borderlinder-Gattin Margaret sind für den schottischen Familienzweig zwei brillante Darsteller gefunden worden. Nur Margarets Amoklauf im Supermarkt, bei der die sonst zugeknöpfte Schottin mit Mehl und Riesenkürbissen um sich wirft, kommt wie ein alberner Fernsehsketch daher.
Eine Spur Shakespeare bringt Multitalent Billy Connolly in die Großvater-Rolle ein: Gordie wirkt wie Falstaffs vernünftiger Bruder, ein müde und weise gewordener Genießer, der die Heucheleien der Jüngeren mühelos durchschaut und die ganz Jungen für ihre Direktheit liebt. Einmal räsoniert er über die Lächerlichkeit der Menschen und rät den Kindern, sich über die kleinen und großen Fehler der Erwachsenen nicht den Kopf zu zerbrechen. Das klingt stark nach dem Resümmé des dicken Ritters am Ende von Giuseppe Verdis „Falstaff“-Opern-Version: „Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren“. Hamilton und Jenkin geben reichlich Anlass, über die Narren in ihrem Film zu lachen, aber sie geben sie nie der Lächerlichkeit preis.