Ein polnischer Jesuit wird in die Provinz versetzt, wo er mit verwahrlosten Jugendlichen in einem Erziehungscamp arbeitet. Seine gewinnende Art kommt bei den Heranwachsenden gut an, aber auch bei der Frau des Heimleiters. Doch der Priester ist homosexuell und fühlt sich zu einem stillen Bauernjungen hingezogen, der mit im Camp lebt. Ein mit flirrenden Bildern und einer kunstsinnigen Montage kraftvoll inszeniertes Drama über das Spannungsfeld von Homosexualität, Zölibat und Kirche. Die holzschnittartige Erzählung um verbotene Lust und das Ringen um Identität hintertreibt allerdings die Tragik einer Existenz, deren Koordinaten sich nicht zur Deckung bringen lassen.
- Sehenswert ab 16.
Im Namen des ...
Drama | Polen 2013 | 102 Minuten
Regie: Malgorzata Szumowska
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Filmdaten
- Originaltitel
- W IMIE ...
- Produktionsland
- Polen
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- MD4/Canal+ Polska/Shot - Szumowski/Zentropa International Poland
- Regie
- Malgorzata Szumowska
- Buch
- Malgorzata Szumowska · Michal Englert
- Kamera
- Michal Englert
- Musik
- Pawel Mykietyn · Adam Walicki
- Schnitt
- Jacek Drosio
- Darsteller
- Andrzej Chyra (Priester Adam) · Mateusz Kosciukiewicz (Lukasz) · Lukasz Simlat (Lehrer Michal) · Maria Maj (Lukasz' Mutter) · Tomasz Schuchardt (Adrian)
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- 15.05.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
Heimkino
Diskussion
Der Priester Adam joggt nachts durch den Wald. Kraftvoll, ausdauernd, mit weißen Kopfhörern im Ohr. Die Kamera aber hält Distanz, zeigt den drahtigen Mittvierziger vornehmlich in der Totale oder von oben, als einsamen Fighter in einer düsteren, nebelkalten Welt. Tagsüber ist der Jesuit von vielen Menschen umgeben, Jungs zumeist, aus einem Erziehungscamp in der polnischen Provinz, wohin ihn seine Vorgesetzten versetzt haben. Mit körperlicher Arbeit und viel Sport sollen sie auf den Weg gebracht werden.
Eine spätsommerliche Sonne taucht diese Szenen in eine betont warme Atmosphäre, die die Armut vergessen lässt und beinahe auch die seelischen Nöte. Doch es braucht nicht viel, um die Entbehrungen spürbar werden zu lassen. Schon in der Eingangsszene schlägt der Kult der Stärke in sadistische Freude um, mit der ein Schwächerer drangsaliert wird. Plötzlich ist alle Unbeschwertheit beiseite gewischt und eine Schleuse geöffnet, für die Wut und die Verletzungen eines unglücklichen Lebens.
Adam kennt das. In der Predigt erzählt er über sich und die menschlichen Abgründe, dass er selbst auch verloren war, bis er als 21-Jähriger Gott entdeckte und den unzerstörbaren Funken, der in jedem existiert. Seine Sicht auf die Welt, in der das Böse regiert, will zunächst nicht so recht zu den von goldenem Gegenlicht überfluteten Bildern und seiner sympathisch-gewinnenden Ausstrahlung passen. Was an ihm zerrt, ahnt man, wenn er in der Badewanne masturbiert. Doch die Avancen von Ewa weist er zurück: „Ich bin schon vergeben.“ Dafür steht dann Lukasz in der Tür, ein stiller Bauernjunge, der im Camp einen Platz gefunden hat. Adam tupft ihm die blutende Nase, gibt ihm Raum, lässt ihn neben sich auf der Bank ausruhen. Und schreckt fast panisch hoch, wenn der freudlose Leiter des Camps ins Zimmer poltert.
So ganz darf man den Bildern aber nicht trauen. Die Kunst der polnischen Filmemacherin Malgorzata Szumowska besteht nicht nur im elliptisch verknappten Erzählen, sondern vor allem darin, dass Traum, Wunsch, Realität und Fantasie nur schwer unterschieden werden können. War der blutende Lukasz, der nicht zufällig wie Jesus aussieht, wirklich hier? Was „erzählen“ die forcierten (Licht-)Atmosphären, die markante Akzente setzen, ohne die narrative Kontinuität aufzubrechen? Wenn Adam mit seiner Schwester skypt und „Ich bin nicht pädophil, ich bin nur schwul“ in den Computer heult, ist das weder Geständnis noch Beichte, sondern eine trotzig-treffende Zustandsbeschreibung.
Im Vergleich zu François Ozon erschöpft sich Szumowskas Ästhetik aber nicht im eleganten Verwirrspiel; ihr erzählerischer Duktus ist fast ruppig, weniger intellektuell, was eine größere Unmittelbarkeit mit sich bringt, die zugleich eine Undurchsichtigkeit ist. Adams Drama ist nicht seine Homosexualität, sondern die Widersprüchlichkeit seiner Existenz, deren Koordinaten sich nicht zur Deckung bringen lassen. Unter der Soutane trägt er ein knappes T-Shirt mit „Illinois“-Schriftzug, in der Schublade ist die Wodka-Flasche versteckt, der „Gottesfunke“ reibt sich am Recht des leidenden Individuums auf Widerstand.
Doch was in Szumowskas Vorgängerfilm „Das bessere Leben“ (fd 40 993) so grandios funkelte, das Geflecht aus individueller Schuld, Verhängnis, Struktur und Zwang, schlägt hier nur wenig Funken. Das mag am abgedroschenen Spannungsfeld von Homosexualität, Zölibat und Kirche liegen, über das man sich vielleicht noch in katholisch-konservativen Ländern, aber kaum anderswo ereifert, resultiert aber auch aus dem holzschnittartigen Plot, der mit einem weißblondierten Verführer eine geradezu parabelhafte Figur einführt und eine parallele Auseinandersetzung mit Homosexualität überdies in einem Selbstmord enden lässt. Unterm Strich bleibt so nur eine energisch-kunstsinnige Inszenierung und die flirrenden Bilder des Kameramannes Michal Englert, der Adams Ringen mit sich und der Welt ins Wechselbad extremer Zustände taucht.
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