Den Filmkrieg der beiden „Krieg der Knöpfe“-Adaptionen, die ungefähr zeitgleich in Frankreich entstanden, hat hierzulande Christophe Barratiers Verfilmung
(fd 41 007) gewonnen: Sie hat es zu einer Kinoauswertung gebracht, während Yann Samuells Version lediglich auf DVD/Blu-ray erscheint – schade eigentlich, denn qualitativ stehen sich die Filme in nichts nach, sondern finden jeweils einen eigenen Zugang zum Kinderbuchklassiker von Louis Pergaud, in dem es um den alten Zwist zwischen den Jungen zweier französischer Dörfer geht. Samuell ist dabei etwas subtiler als Barratier: Während dieser den Roman in die Zeit des Zweiten Weltkriegs verlegt und den Kleinkrieg der Jungen aus den Provinzdörfern Longverne und Velrans sowie die Reibereien zwischen Kindern und Eltern damit enden lässt, dass sich alle gemeinsam gegen die bösen Schergen der Nazis wenden, um eine kleine Jüdin zu verteidigen, entscheidet sich Samuell für einen Ansatz, der auf klassische Filmschurken verzichtet, dafür aber den Alltagsproblemen seiner jungen Zuschauer näher liegen dürfte. Und das, obwohl auch Samuell den Roman nicht in die Gegenwart verlegt. Sein Film spielt in den 1950er-Jahren, und im Zentrum steht das Ringen des Jungen Lebrac um Unabhängigkeit – eine Spiegelung gewissermaßen des Algerienkriegs, der im weit entfernten Nordafrika gerade tobt und der in den Film dezent hinein spielt. Als Anführer der Jungs von Longverne und einziger „Mann in der Familie“, die neben ihm aus seiner Mutter und zwei kleinen Schwestern besteht, hat der Junge viel Verantwortung und viele Pflichten, aber das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen, wollen ihm die Erwachsenen und speziell seine Mutter nicht zugestehen, und das macht Lebrac sehr wütend. Vor allem gilt das für die Entscheidung seiner Mutter, ihn von der Schule zu nehmen und eine Lehre anfangen zu lassen. Eine Seelenverwandte findet er im „Tomboy“-Mädchen Lanterne, das ebenfalls gegen die Rolle rebelliert, die man ihm aufdrücken will: Lanterne streunt lieber wie die Jungs in kurzen Hosen durch die Landschaft, als im Rock und mit sauberen Kniestrümpfen bei einer Näharbeit zu sitzen. Dafür wird sie von den anderen Mädchen schief angeguckt, und auch die Jungen akzeptieren sie lange nicht als gleichwertig – bis sie ihnen und speziell Lebrac zeigt, was in ihr steckt.
Wie Barratier erfindet Samuell nicht nur eine zeitgemäß starke Mädchen-Figur dazu, sondern schafft auch in der Gestalt eines verständnisvollen Lehrers eine vermittelnde Instanz zwischen der Welt der Kinder und der Erwachsenen – das hierarchische und ziemlich gewalttätige Verhältnis der Großen zu den Kleinen, das Pergaud in seinem Roman ins Visier nimmt, wird in beiden Filmen abgemildert. Samuells Zugang zum „Krieg der Knöpfe“ erinnert manchmal fast an den „Club der toten Dichter“
(fd 28 082), in dem ein Lehrer seine Schüler zu selbstständigen Menschen erziehen will: In die kurzweilig-episodische, komödiantische Erzählung von listenreichen Finten und heroischen Attacken gegen die Jungen aus dem Nachbardorf webt Samuell Nebenstränge ein, in denen sensibel das Austarieren von Freiheit und Verantwortung, von Anpassung und Selbstverwirklichung seiner jungen Figuren verhandelt wird.