Drama | Norwegen 2024 | 120 Minuten

Regie: Dag Johan Haugerud

Eine Urologin und ein schwuler Krankenpfleger, die beide ungebunden sind, kümmern sich in einer Klinik in Oslo um Männer mit Prostatakrebs. Als sie sich auf der Fähre zwischen der Stadt und einer der Inseln im Oslofjord begegnen, erzählt der Pfleger, dass er die nächtlichen Schiff-Fahrten für flüchtige Sex-Begegnungen nutzt. Das greift die Frau auf, um herauszufinden, ob diese unverbindliche Form von Nähe besser zu ihr passt als eine neue Beziehung. Der Pfleger seinerseits wird auf unvorhergesehene Weise ins Leben eines anderen Mannes involviert. Ein feinfühliges Porträt zweier Menschen, die nach Intimität und Nähe suchen, bei dem der Fokus immer wieder entspannt wechselt. Getragen wird die Geschichte nicht von dramatischen Entwicklungen, sondern von der Präzision, mit der intime Empfindungen erfasst und vermittelt werden. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KJÆRLIGHET
Produktionsland
Norwegen
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Motlys
Regie
Dag Johan Haugerud
Buch
Dag Johan Haugerud
Kamera
Cecilie Semec
Musik
Peder Kjellsby
Schnitt
Jens Christian Fodstad
Darsteller
Andrea Bræin Hovig (Marianne) · Tayo Cittadella Jacobsen (Tor) · Marte Engebrigtsen (Heidi) · Lars Jacob Holm (Bjørn) · Thomas Gullestad (Ole Harald)
Länge
120 Minuten
Kinostart
17.04.2025
Fsk
ab 12, f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Feinfühliges Drama um eine Ärztin und einen Pfleger, die sich auf einer Fähre begegnen und durch das Zusammentreffen ihre unfreiwillige respektive bewusst gewählte Bindungslosigkeit hinterfragen.

Veröffentlicht am
08.04.2025 - 16:15:37
Diskussion

Eher widerwillig, erst unter sachtem Druck lässt sich Marianne (Andrea Bræin Hovig) von ihrer Freundin Heidi (Marte Engebrigtsen) dazu überreden, sie zu einem Besuch bei Ole (Thomas Gullestad) zu begleiten. Nur allzu offensichtlich soll die alleinstehende Ärztin mit dem Geologen, einem geschiedenen Vater, der auf der Osloer Halbinsel Nesodden immer noch direkt neben seiner Exfrau wohnt, verkuppelt werden. „Es hat mich stets gestresst, allein zu sein“, sagt die verheiratete Heidi und denkt, dass auch Marianne so empfinden müsste.

Beziehungsformen und Berufe sind etwas, das in Dag Johan Haugeruds „Oslo Stories: Liebe“ immer wieder erwähnt und diskutiert, worüber nachgedacht und was Belastungsproben ausgesetzt wird. Zu Beginn des Films führt Heidi, die in der Stadtverwaltung arbeitet, eine Gruppe entlang des Rathauses von Oslo und demonstriert ihnen wortgewandt, wie sich die einzelnen Elemente des Gebäudes und der Umgebung, die darin eingelassenen Figuren aus einer langen Stadtgeschichte, als Ausdruck von historisch gewachsener Inklusion erzählen lassen. Heidi ist Projektleiterin für die anstehende hundertjährige Feier der Gründung des Staates Norwegen, aber ihre Ideen werden als Nischenthema abgetan. Stattdessen soll lieber der populäre Autor Karl Ove Knausgård nach Oslo eingeladen und in Veranstaltungen des Zweiten Weltkriegs gedacht werden.

Wie Erwartungen sich an den Verhältnissen brechen können

Seit Ende der 1990er-Jahre dreht Dag Johan Haugerud so eigensinnige wie freigeistige Filme darüber, wie Erwartungen sich an gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Verhältnissen brechen können und wie verwirklichte menschliche Freiheit gerade darin bestehen kann, offen von diesen Erwartungen und Setzungen ablassen zu können. Gebündelt zu einer zwar thematisch eng verknüpften, inhaltlich aber voneinander gelösten Trilogie, lässt sich „Oslo Stories: Liebe“ zusammen mit „Oslo Stories: Sehnsucht“ (der im norwegischen Original deutlich zutreffender „Sex“ heißt) und „Oslo Stories: Träume“ als eine bisherige Zwischensumme seines filmischen Schaffens bezeichnen: Drei Filme, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln, unter verschiedenen Altersgruppen und in immer wieder neu zusammengefügten Konstellationen einen kaleidoskopisch aufgefächerten Blick auf körperliche und geistige Großstadt-Bedürfnisse zu Beginn des 21. Jahrhunderts werfen.

Sex, Träume und Liebe bezeichnen dabei keine wirklichen Gegensätze, sind vielmehr komplementäre Aspekte eines geglückten Lebens. Dieses kann sich beispielhaft im unverhofften Sex eines sich eigentlich als hetero begreifenden Kaminkehrers mit einem anderen Mann verwirklichen, der erotischen Schwärmerei eines Schulmädchens für ihre Lehrerin, die in Form eines langen Textes sublimiert wird, oder in „Oslo Stories: Liebe“ dem zwanglosen Cruising eines keinen Schlaf findenden Krankenpflegers auf einer Fähre: Bjørn (Lars Jacob Holm) ist ein Arbeitskollege, dem Marianne auf dem Weg zurück von Nesodden an Bord begegnet. Für ihn ist der begrenzte Raum des nachts hin und her fahrenden Schiffes der perfekte Ort für Grindr-Begegnungen, mithin sexuelle Verbindungen, die sich wieder einvernehmlich lösen lassen, wenn die Fähre anlegt. Darin erkennt auch Marianne, die sich für Nähe nicht zwangsläufig in das Leben anderer integrieren möchte, eine Möglichkeit, die eigenen Begehren und Wünsche erproben zu können.

Organisiert anhand von intimen Ideen

Mit einem immer wieder entspannt wechselnden Fokus, einer stets in Bewegung gehaltenen, geradezu anschmiegsamen Kamera folgt der Film seinen Figuren so aufmerksam wie unaufdringlich durch ein Oslo, das zwischen altem Stadtkern und neu errichteten Vierteln wie ein organisch angewachsener Schutzraum wirkt. „Ein Tagebuch ist von Natur aus unvorhersehbar. Man kann ihm keine nachträgliche Struktur aufzwingen“, sagt Marianne einmal, als sie auf die Bücher, die sie am liebsten liest, angesprochen wird. In dieser Beschreibung spiegelt sich auch die Art, wie „Oslo Stories: Liebe“ organisiert ist: anhand von intimen Ideen und Vorstellungen, die ausprobiert und wieder verworfen werden können. Weniger durch dramatische Entwicklungen.

Wie stets in seinen entschieden wortlastigen Filmen betont Haugerud, der hauptberuflich als Bibliothekar arbeitet und in Norwegen auch seit Langem als Romanautor bekannt ist, dabei zwar eine Nähe zur literaturnahen Konstruktion. Die Art und Weise, wie jedoch Gedanken formuliert werden, sich in Körper und Orte einschreiben und diese beleben, ist ganz und gar Ausdruck einer sinnlichen Sprache des Kinos.

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