Krieg der Knöpfe (2011, R: Chr. Barratier)

Kinderfilm | Frankreich 2011 | 100 Minuten

Regie: Christophe Barratier

Die Jungen eines französischen Dorfs liegen mit Gleichaltrigen aus dem Nachbarort im Clinch. Der mit Verve ausgetragene "Krieg der Knöpfe" tritt in den Hintergrund, als die Kinder einer jüdischen Mitschülerin gegen Nazi-Kollaborateure beistehen. Der Film verlegt den Kinderbuchklassiker von Louis Pergaud in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Dabei wird der gesellschaftskritische Unterton der Vorlage, in der es humoristisch um alltägliche Gewaltzusammenhänge in der französischen Provinz geht, zugunsten einer nostalgischen Beschwörung des ländlichen Frankreichs und einer affirmativen Feier des Zusammenhalts neutralisiert. Dank guter Darsteller und einer mitreißenden Inszenierung, die sich rückhaltlos mit der Perspektive der kleinen Protagonisten solidarisiert, geichwohl ein gelungener Kinderfilm. - Ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
LA NOUVELLE GUERRE DES BOUTONS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
La Petite Reine/TF1 Films/Studio 37/Mars Films/Logline Studios
Regie
Christophe Barratier
Buch
Stéphane Keller · Thomas Langmann · Christophe Barratier · Philippe Lopes-Curval
Kamera
Jean Poisson
Musik
Philippe Rombi
Schnitt
Yves Deschamps · Anne-Sophie Bion
Darsteller
Laetitia Casta (Simone) · Guillaume Canet (Paul, der Lehrer) · Kad Merad (Vater von Lebrac) · Gérard Jugnot (Vater von Aztec) · François Morel (Vater von Bacaillé)
Länge
100 Minuten
Kinostart
12.04.2012
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Kinderfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
dcm/EuroVideo (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
Verleih Blu-ray
dcm/EuroVideo (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Die Kindheit in der französischen Provinz, von der Louis Pergauds 1912 erschienener Romanklassiker „Der Krieg der Knöpfe“ erzählt, ist kein Ponyhof. Aus den omnipräsenten Gewaltverhältnissen, die Pergaud sehr humorvoll, aber auch schonungslos realistisch beleuchtet, ist letztlich auch Michael Hanekes „Das weiße Band“ (fd 39 527) gewebt. Von dieser Rauheit ist in Christophe Barratiers Neuverfilmung freilich wenig zu spüren: In warmem Sonnenlicht erstrahlen die grünen Wiesen und adretten Dörfchen einer idyllisch schönen Landschaft; der herbe Unterton von Pergauds Roman wird durch viel Süßes neutralisiert. Die französische Provinz, die hier heraufbeschworen wird, ist vom milden Glanz der Nostalgie durchdrungen. Während die schwarz-weiße, mittlerweile selbst zum Klassiker avancierte Filmadaption von Yves Robert aus dem Jahr 1961 (fd 11 541) den Roman sanft an die eigene Zeit anpasste, wählt Barratier den Weg der Historisierung. Hinter dem Horizont der dörflichen Welt tobt der Zweite Weltkrieg, und der Einfluss der mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regierung ist auch in Longeverne spürbar: Jüdische Einwohner werden deportiert. Mehr als der „erwachsene“ Konflikt zwischen Kollaborateuren und Nazi-Gegnern beschäftigt die Dorfjugend allerdings ihr eigener Konflikt mit den Jungs aus dem Nachbardorf Velrans. Dieser flammt heftig auf, als drei Longverner auf eigenem Territorium von einigen Flegeln aus Velrans angegriffen und als „Schlappschwänze“ beschimpft werden. Unter dem Kommando ihres Anführers Lebrac sinnen die Longverner auf Rache. Die Streiche, Beschimpfungen und Keilereien schaukeln sich zum veritablen Krieg hoch, bei dem die Knöpfe von Hosen und Jacken eine strategisch wichtige Rolle spielen. Dann geschieht etwas, was die Perspektive der Kinder verändert: Lebracs Freundin Violette, die in diesem Jahr neu auf die Dorfschule gekommen ist, entpuppt sich als Jüdin; ihr droht die Verschleppung ins Vernichtungslager. Zeit, das Kriegsbeil zwischen den Dörfern zu begraben und sich dem wirklichen Gegner zu stellen, um Violette zu retten. Der Versuch, eine nostalgische, humor- und liebevolle Hommage an den Kinderbuchklassiker mit einer Geschichte über Nazi-Besatzung und Judenverfolgung zu verbinden, hätte ins Auge gehen können. Doch Barratiers Synthese funktioniert erstaunlich gut, was daran liegt, dass sich der Regisseur die wichtigste Tugend des Romans wie auch der Adaption von Yves Robert zu eigen gemacht hat: Er schlägt sich rückhaltlos auf die Seite seiner kindlichen Protagonisten und solidarisiert sich mit ihrer Perspektive. Getragen wird dieses Konzept von überzeugenden Kinderdarstellern, die vom komischen kleinen Gibus bis zum widerständigen Lebrac hervorragend besetzt sind. Die opulente, mitreißende Musik von Philippe Rombi verleiht den mit Fäusten, Schleudern und Stöcken ausgetragenen Gefechten eine epische Wucht, als würden sich wie in einem Monumentalfilm antike Helden gegenüberstehen – was ziemlich genau dem entspricht, wie sich die Jungen selbst sehen. Auch der Prozess, wie sich die Kinder zu der Erkenntnis durchringen, dass die eigenen Animositäten zurückstehen müssen angesichts der Bedrohung durch die Faschisten, gewinnt in diesem Rahmen an Glaubwürdigkeit und wird zum nachhaltigen Plädoyer für Zusammenhalt und Zivilcourage. Die satirisch-sarkastische Spiegelung einer im Kern gewalttätigen Gesellschaft durch einen Kinderkrieg, die Pergauds Roman und Roberts Filmklassiker ausmacht, fällt dabei freilich genauso unter den Tisch wie deren Naturalismus. Barratier macht aus dem mittlerweile als „nationales Kulturgut“ erachteten Stoff das genaue Gegenteil einer Satire, nämlich einen affirmativen Film über die „Grande Nation“, die im entscheidenden Augenblick zusammensteht und ihre Grundwerte verteidigt. Während im Buch eine tiefe Kluft zwischen der Welt der Erwachsenen und der der Kinder besteht, sind die Beziehungen hier wärmer; im jungen Lehrer Paul gibt es einen positiven Mentor, und sogar Lebracs Vater, im Buch ein wüster Schläger, erscheint hier letztlich positiv und gewinnt die Liebe seines Sohns zurück, als er sich als mutiger Partisan entpuppt. Liebhaber von Pergauds Werk mag diese diametrale Umdeutung ärgern. Für sich genommen, ist der neue „Krieg der Knöpfe“-Film aber durchaus souveräne Kinderunterhaltung, die geschickt zwischen Komödie und kindgerechter Dramatik changiert, starke Identifikationsfiguren anbietet und mit ihrer zeitlosen Solidaritätsbotschaft durchaus eine eigene Agenda hat.
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