Es ist bewundernswert, mit welcher Leichtigkeit und Vielfältigkeit Steven Spielberg in den letzten zwei Jahrzehnten in Hollywood zwischen Mainstream und Kunst laviert, zwischen Erfolg und Herzensanliegen. Einem kommerziellen Film stellt er häufig – manchmal sogar kurz darauf – einen persönlichen entgegen. So kommt kurz nach „Die Abenteuer von Tim und Struppi“
(fd 40 710) nun Spielbergs Adaption von Michael Morpurgos Roman „Schicksalsgefährten“ (1982) in die Kinos, der ab 2007 auch als Theaterstück in London und New York lange Laufzeiten hatte. Rasch wird klar, was Spielberg an dem Roman berührt und interessiert haben muss: Da ist zum einen ein Junge, der sich, ähnlich wie in „E.T.“
(fd 23 743) oder „A.I. – Artificial Intelligence“
(fd 35 041), gegen die Erwachsenen stellt und sich einen neuen Freund sucht; da ist zum anderen die Anklage gegen den Horror und die Sinnlosigkeit der Kriege im 20. Jahrhundert, in denen Menschen, aber auch Tiere leiden und sterben. Dass hier ein Pferd symbolhaft im Mittelpunkt der Erzählung steht, erinnert an Robert Bressons „Zum Beispiel Balthasar“
(fd 15 254), in dem ein Esel stellvertretend für andere Lebewesen Gewalt erleiden musste. „Gefährten“ ist zunächst also eine Passionsgeschichte, aber auch – und das unterscheidet Spielberg von Bresson – ein Hohelied auf Freundschaft und Verbundenheit.
Es beginnt auf einer kleinen Familienfarm im englischen Devonshire. Der junge Albert Narrcott lebt mit seinem meist betrunkenen, aufbrausenden Vater Ted und seiner hart arbeitenden, liebevollen Mutter Rose in einem einsam gelegenen Cottage. Wegen der schlechten Ernte ist Ted dem Großgrundbesitzer Lyons seit langem die Pacht schuldig, was ihn nicht daran hindert, auf einer Auktion den Wallach Joey zu ersteigern – obwohl er sich nicht als Ackergaul eignet, weil er zu eigensinnig und unwillig ist. Trotzdem schließt Albert das Tier ins Herz. Geduldig und engagiert übernimmt er das Training. Bis es ihm in einer hochemotionalen Szene gelingt, im strömenden Regen, vor den Augen der Dorfbewohner und auch Lyons, den Acker zu durchpflügen. Doch dann bricht der Erste Weltkrieg aus. Ted verkauft Joey an den englischen Major Stewart – zum Entsetzen Alberts, der schwört, das Pferd nie zu vergessen. Joeys episodenhafte Odyssee beginnt in Frankreich. In einer atemberaubenden, brillant gefilmten Sequenz, die nicht von ungefähr an Spielbergs „Der Soldat James Ryan“
(fd 33 341) erinnert und mit derselben Wucht die Gewalt des Kriegs evoziert, überraschen englische Soldaten die noch schlafenden Deutschen in einem Zeltlager und richten ein Massaker an. Zwischenzeitlich gelangt Joey in den Besitz eines deutschen Soldaten, der das Pferd ebenso zu schätzen weiß wie Albert, dann bleibt er eine Weile bei einem alten Franzosen und seiner Enkelin Emily. Spielberg etabliert in diesen Szenen fast so etwas wie eine Idylle. Joey wird geliebt und umsorgt. Für mehrere Minuten hält der Film inne – bis vorbeimarschierende Deutsche den Wallach konfiszieren und ihn vor eine tonnenschwere Kanone spannen. Derweil ist Albert alt genug geworden, um in die britische Armee einzutreten. Er hat nicht die Hoffnung aufgegeben, sein geliebtes Pferd irgendwann in den Frontlinien wieder zu finden.
Zur zentralen Szene des Films, eine der visuell aufregendsten, die Spielberg je inszeniert hat, gerät Joeys kopflose und panische Flucht durch die Schützengräben, bis er im Niemandsland in einem Knäuel aus Stacheldraht gefangen wird. Der Horror der Schützengräben wurde bereits in mehreren Film beschrieben, von King Vidors „The Big Parade“ und Lewis Milestones „Im Westen nichts Neues“
(fd 24 803) über Stanley Kubricks „Wege zum Ruhm“ (fd 6371) und Peter Weirs „Gallipoli“
(fd 23 354) bis zu Jean-Pierre Jeunets „Mathilde“
(fd 36 882). Doch wie hier ein deutscher und ein englischer Soldat sich gegenseitig mit Drahtscheren und anderem Gerät versorgen, um eine unschuldige Kreatur aus seiner Misere zu befreien, das ist von großer, starker Symbolkraft. Die Absurdität des Kriegs, die Sinnlosigkeit verlorener Leben, sei es von Mensch oder Tier, ist in diesem einen Bild festgehalten, und Spielberg vermittelt den Wunsch, dass die großen Nationen so pragmatisch miteinander umgehen könnten wie diese beiden Soldaten.
Spielberg wäre freilich nicht Spielberg, wenn er „Gefährten“ – nach einer Kette zugegebenermaßen sehr großer Zufälle – nicht mit einem anrührenden, tränentreibenden, sogar sentimentalen Happy End beschließen würde; einem Happy End, das nach den Grauen des Kriegs und den Leiden des Pferds nur folgerichtig ist, weil sich die Erfahrung des Films nur so ertragen lässt. Dabei erweist Spielberg dem Hollywood-Kino der 1930er- und 1940er-Jahre ebenso seine Referenz wie seinen Vorbildern. Wenn vom rot-gelb erleuchteten Horizont ein einsamer Reiter auf die Kamera zukommt, wähnt man sich in einem John-Ford-Western, aber auch Technicolor-Filme wie „Vom Winde verweht“ (fd 2293) oder „Duell in der Sonne“ (fd 1352) kommen einem in den Sinn. Spielberg hat ein Epos inszeniert, wie es sie eigentlich gar nicht mehr gibt. Und das macht seinen neuen Film so besonders.