© Concorde ("Die Hütte")

Wunder über Wunder

Religiös erbauliche Filme, die in den USA "Faith-based movies" genannt werden, finden bei strenggläubigen Christen großen Anklang. Ihre erzählerischen Strategien setzen dabei auf überkommene Muster. Annäherungen an ein Phänomen

Veröffentlicht am
03. April 2022
Diskussion

In der heutigen Gesellschaft mögen viele Menschen keine enge Bindung mehr zur Religion haben, doch im Kino sind Fragen nach Glauben, Heil und Wunder an der Tagesordnung. Eine Sonderstellung nehmen dabei die sogenannten „Faith-based movies“ ein, die in den USA unter strenggläubigen Christen große Erfolge feiern. Mit erprobten Mustern wollen diese Filme christliche Botschaften verbreiten; Auseinandersetzungen oder die Akzeptanz des Anderen sind dabei eher nicht gefragt.


Jesus ist wohl der älteste Filmstar in der mehr als hundertzwanzigjährigen Geschichte des Mediums Film. Bereits 1897 verfilmten die Gebrüder Lumière die Passion Christi. „Bei kaum einem anderen Stoff konnte die junge Kinematografie derart nahtlos an vertraute Bild- und Erzählformen anschließen und ihr Publikum über eine bekannte ‚Story‘ in das Lesen von Filmgeschichten einüben“, notiert Reinhold Zwick in einem Aufsatz über „Die Geburt des Erzählkinos“.

Heute ist die „Story“ um die Person Jesus von Nazareth zwar immer noch sehr bekannt, doch die Welt des 21. Jahrhunderts ist im Vergleich zur Zeit der Lumières deutlich pluraler geworden, auch im Blick auf Religion und Glauben. Viele Menschen in Europa bezeichnen sich nicht mehr als Glaubende und haben den Kontakt zur christlichen Tradition verloren. Allerdings ist die Situation in den unterschiedlichen Ländern nur bedingt vergleichbar. In den USA existiert beispielsweise eine starke christliche Lebens- und Glaubenshaltung, vor allem in den Südstaaten oder im „Bible Belt“ des Mittleren Westens. Gleichwohl gibt es auch in Nordamerika große Unterschiede, mitunter tun sich tiefe Gräben zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen auf.

Das Erzählen biblischer Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament oder anderen Glaubensgeschichten im Film geschieht gegenwärtig sowohl in kritischer Auseinandersetzung mit der Tradition als auch in Bestärkung bestehender Glaubensüberzeugungen. Sogenannte „Faith-based movies“ verfolgen den Weg der Bestärkung des Glaubens, mitunter auch in deutlicher Absetzung von oder Entgegensetzung zu säkularen oder nichtchristlichen Anschauungen.


„Die Passion Christi“ sorgte für neues Interesse

Nach dem für die Filmindustrie überraschenden kommerziellen Erfolg des Films „Die Passion Christi“ im Jahr 2004 wurden Filme, die explizit den Glauben thematisieren, für die großen Filmstudios finanziell wieder interessant. Der Regisseur Mel Gibson hatte im Vorfeld große Schwierigkeiten, Investoren für sein ungewöhnliches Filmprojekt zu finden, und musste den Film überwiegend mit eigenem Vermögen finanzieren. „Die Passion Christi“ spielte dann aber mehr als eine halbe Milliarde Dollar ein und war eine Zeitlang unter den 100 kommerziell erfolgreichsten Filmen zu finden. Als sich in der Folge kleinere Produktionen mit religiösen Stoffen durch kommerzielle Erfolge und die Beteiligung namhafter Schauspieler aus der ökonomischen Nische herausbewegten, gründeten immer mehr Major Studios Abteilungen, die sich auf die Produktion „christlicher Filme“ spezialisierten.

Beim Publikum ein Erfolg: "Den Himmel gibt's echt" (imago/Cinema Publisher Collection)
Beim Publikum ein Erfolg: "Den Himmel gibt's echt" (© imago/Cinema Publisher Collection)

„Nicht nur ein größerer Teil des Publikums, sondern auch die US-Filmwirtschaft merkte auf, als sich Filme wie Den Himmel gibt’s echt (2014), Gott ist nicht tot (2014) und Himmelskind (2016) einen Weg vom Land in die Städte bahnten und Summen zwischen 60 und 100 Millionen Dollar einspielten“, schrieb Franz Everschor im Jahr 2018. „Der Anteil der ‚Faith-based movies‘ im Angebot der großen US-amerikanischen Filmtheater ist seitdem beständig gestiegen und liegt zurzeit bei durchschnittlich zwölf Filmen pro Jahr.“

Aber was macht den Erfolg und die Attraktivität dieser Filme aus? Das Muster des Blockbuster-Kinos wurde schon oft untersucht; ein Erfolgsmodell von Großproduktionen liegt beispielsweise im Erzählmuster der Heldenreise begründet. Der Held/die Heldin wird in seiner gewohnten Welt gezeigt, in die unerwartet der Ruf des Abenteuers dringt. Nach Überwindung innerer Widerstände und äußerer Hürden begibt er sich auf die Reise, häufig begleitet von männlichen und weiblichen Gefährten und bestärkt durch den Rat einer Mentorenfigur. Es gilt, Prüfungen zu bestehen und schließlich in der zentralen Konfrontation einen Sieg zu erringen. Mit dem Lohn dieses Sieges erfolgt die Rückkehr in die gewohnte Welt, die nun anders erscheint, ebenso wie der Held/die Heldin gestärkt und verändert ist. Ein erneuter Ruf des Abenteuers kann zu einer weiteren Reise führen, und der Zyklus beginnt von Neuem.


Die Heldenreise im „Faith-based movie“

Dieses Erzählmuster ist von „Star Wars“, „Indiana Jones“ über „Matrix“ und „Harry Potter“ bis zu den „Tribute von Panem“ immer wieder erfolgreich umgesetzt worden. Das meist in drei Akte gegliederte Drama wird aber nicht nur in fantastischen Settings oder in Abenteuer-Genres realisiert, sondern lässt sich problemlos auch auf „kleine Geschichten“ übertragen, wie sie die meisten „Faith-based movies“ darstellen. Die gewohnte Welt ist häufig eine, in der christlicher Glaube und Glaubensleben innerhalb der Gemeinschaft einen festen Stellenwert haben. Der „Ruf des Abenteuers“ fordert Held oder Heldin nun heraus, sich in „Prüfungen“ mit Anfragen an den Glauben auseinanderzusetzen oder sich mit der vorhandenen Glaubenskraft weltlichen Herausforderungen zu stellen. Die „zentrale Konfrontation“ lässt die Kraft des Glaubens sichtbar werden, häufig durch wundersame Ereignisse oder Erkenntnisse. Neu im christlichen Glauben beheimatet oder darin bestärkt, kann anschließend die „gewohnte Welt“ als besserer Ort gestaltet werden.

Diese Art der Glaubenserzählung wird häufig in geschlossener Form dargeboten. Diese Art und Weise des Erzählens dringt auf klare Handlungsverläufe und eindeutige Lösungen. Wenn Zweifel thematisiert werden, so ist dies als „Prüfung“ nur eine Durchgangsstation, und die Zweifel werden schließlich überwunden. Wundersame Ereignisse sollen nicht auf ihre Ursachen hin geprüft werden, sondern zeigen einmal mehr das für den Menschen nicht gänzlich zu begreifende göttliche Wirken in der Welt, in das sich Mensch dankbar hineinbegeben.

Beruht ebenfalls auf "wahren" Begegenheiten: "Breakthrough" (Twentieth Century Fox)
Beruht ebenfalls auf "wahren" Begebenheiten: "Breakthrough" (© Twentieth Century Fox)

Die letzten Zweifler soll der Umstand überzeugen, dass viele „Faith-based movies“ auf „wahren Begebenheiten“ beruhen. Es handelt sich nicht um irgendeinen Drehbucheinfall, sondern um tatsächlich stattgefundene Ereignisse. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass die zugrunde liegenden Fakten zu einer fiktionalen Filmerzählung zusammengefügt wurden. Dramatisierung, Personenzeichnung und Handlungsverlauf unterliegen der künstlerischen Gestaltung. Um es noch direkter zu formulieren: Die Geschichte wird auf die Erwartungen eines Publikums hin zugeschnitten. Das „Alles wird gut“ ist ein zentrales Versprechen von „Faith-based movies“. Dagegen ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden; es sollte in solchen Filmen nur bewusst gemacht werden, dass „wahre Begebenheiten“ nicht bedeutet, dass alles Gezeigte genau so geschehen ist.


Das Gebet und die Wunderheilung: „Breakthrough“

Einer der großen Kassenerfolge im Segment „Faith-based movies“ war 2019 der Film Breakthrough von Roxann Dawson. Der Film basiert auf den Memoiren von Joyce Smith, „The Impossible: The Miraculous Story of a Mother’s Love and her Son’s Resurrection“, gemeinsam geschrieben mit der christlichen Autorin Ginger Kolbaba. Ein 14-Jähriger bricht in einer US-Kleinstadt auf einem zugefrorenen See ein und kann erst nach längerer Zeit geborgen werden. Er schwebt zwischen Leben und Tod, während seine Familie (insbesondere seine Mutter) und die Nachbarn für ihn beten. Schließlich wird er wieder ganz gesund. Früher Höhepunkt der Inszenierung ist die Szene, in der die Mutter vor dem Körper ihres als klinisch tot geltenden Jungen Gott um Hilfe anfleht und der Herzschlag des Jungen überraschend wieder einsetzt.

„Breakthrough“ enthält alle Charakteristika eines (US-amerikanischen) Glaubensfilms: Tatsächliche Ereignisse werden zuerst schriftlich verarbeitet und einer Deutung unterzogen. In dieser Deutung ist der Glaube in einer Notsituation die Ursache für die Heilung. Gott wirkt ein Wunder und schenkt neues Leben. Die filmische Inszenierung der Geschichte zielt direkt auf das Mitempfinden des Publikums: Was kann es Schlimmeres geben, als dass eine Mutter beziehungsweise Eltern ihr Kind verlieren? Was kann es Bewegenderes geben als die spontane Rettung dieses Kindes?

Die Botschaft ist damit eindeutig: Die Mutter, die Gott um das Leben ihres Sohnes anfleht und erhört wird, unterstützt von der im Gebet vereinten Gemeinde, ist der Beweis – oder mindestens das beste Beispiel – für das rettende Handelnde Gottes im Hier und Jetzt. Das Wunder, die Heilung und das Bekenntnis zu Gott greifen nahtlos ineinander. Inhaltlich ist an dieser Hoffnungsgeschichte mit positivem Ausgang zunächst auch gar nichts auszusetzen. Problematisch wird die Geschichte durch die geschlossene Erzählhaltung, die aufdringliche Inszenierung und die Überhöhung der Botschaft, dass es sich um ein Wunder handelt. Denn die Inszenierung lässt keinen Spielraum für alternative Deutungen des Geschehens.

Kein Spielraum für andere Deutungen: "Breakthrough" (Twentieth Century Fox)
Kein Spielraum für andere Deutungen: "Breakthrough" (© Twentieth Century Fox)

Wer dennoch bestreitet, dass die Ursache der Rettung beziehungsweise Heilung der feste Glaube und ein durch Gott gewirktes Wunder war, wird als entweder blind oder mindestens gefühlskalt dargestellt. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich ein Wunder im christlichen Sinne ist, wird vom Film nicht ermöglicht und ist vermutlich auch nicht beabsichtigt.


Bestärkung auf Kosten anderer Anschauungen

Das Problem dieser Einseitigkeit ist die fehlende Kommunikation mit verschiedenen Möglichkeiten der Haltung zum christlichen Glauben. Der gläubige Betrachter wird sich im Glauben bestärkt fühlen, der zweifelnde oder agnostisch eingestellte Betrachter wird sich einfach abwenden. Eine Vermittlung findet weder statt noch scheint sie gewollt zu sein.

Diese fehlende Vermittlung zwischen Glaubenden und nicht Glaubenden – die in einer pluralen Gesellschaft unbedingt notwendig wäre – kann sogar noch dadurch verstärkt werden, dass andere Haltungen als fehlerhaft oder sogar schädlich verstanden werden, es also zu einer direkten Entgegensetzung kommt. So passiert es in dem Film Gott ist nicht tot von Harold Cronk. Der Gegenspieler des an seinem Glauben „mutig“ festhaltenden Studenten ist der atheistische Professor, der nicht nur die schlechteren Argumente zu haben scheint und sich daher auf seine Autorität als Hochschullehrer verlässt, sondern der auch eindeutig als Misanthrop gezeichnet ist, welcher sich und seine Umwelt verachtet.

Die Figurenzeichnung in „Gott ist nicht tot“ vermittelt aus nahezu jeder Szene: Unglauben macht zutiefst unglücklich. Besonders krude ist dann im gleichen Film ein Nebenstrang, in dem ein muslimischer Vater seiner Tochter mit Gewalt den Übertritt zum Christentum verbieten will.

Ohne bestreiten zu wollen, dass es solche Fälle tatsächlich gibt, arbeitet die Inszenierung mit platten Schwarz-Weiß-Gegensätzen. Alle tiefgläubigen Christen sind letztlich gute Menschen, alle ungläubigen oder andersgläubigen Personen sind letztlich schlechte oder mindestens unglückliche Menschen. Die Bestärkung im christlichen Glauben erfolgt also in wesentlichen Teilen auf Kosten anderer Anschauungen und trägt mit dazu bei, vorhandene Unterschiede und Gräben weiter zu vertiefen.


Eine direkte Begegnung mit Gott: „Die Hütte“

In dem sowohl als Buch als auch als Film sehr erfolgreichen Die Hütte (2017, Regie: Stuart Hazeldine) steht das für die Religionsgeschichte bedeutsame Theodizee-Problem im Mittelpunkt, also die Rechtfertigung eines guten Gottes angesichts des menschlichen Leidens. Auch diese Geschichte um einen Familienvater, der durch den gewaltsamen Tod seiner jüngsten Tochter nicht nur an sich selbst, sondern auch an Gott zweifelt, führt als in sich geschlossene Erzählung über wundersame Ereignisse zu einer Heilung.

Das Besondere der Geschichte liegt wohl darin, dass die Hauptfigur durch eine direkte Begegnung mit Gott zu ihrer Heilung geführt wird. Zwar bleibt innerhalb der Filmerzählung offen, ob das Wochenende mit Gott in der titelgebenden Hütte tatsächlich stattgefunden hat oder nur auf einer Imagination der Hauptfigur beruht, aber die Charakterzeichnung dieses Gottes bildet den inhaltlichen Schwerpunkt des Films. Die christliche Trinitätsvorstellung wird in drei menschliche Individuen aufgelöst, deren biblische Herkunft als Gott des Exodus des Volkes Israel oder als jüdische Messiasgestalt sich nicht erschließt, sondern lediglich behauptet wird und aufgrund von Bibelkenntnis in der Rezeption ergänzt werden muss. Bei den in schöner Diversität (eine farbige und eine asiatische Frau sowie ein junger Mann mit vermeintlicher Herkunft aus dem Nahen Osten) dargestellten Gottesfiguren handelt es sich um einen Wohlfühlgott, der eher dem Wunschnachbar gleicht, der immer hilfreich mit Wort und Tat zur Stelle ist.

Die leibhaftige Trinität: "Die Hütte" (Concorde)
Die leibhaftige Trinität: "Die Hütte" ( © Concorde)

Die Attraktivität von „Die Hütte“ beruht auf der existenziellen Krise der Hauptfigur, ausgelöst durch den Verlust eines Kindes in Verbindung mit eigenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Für diese Krise wird ein geradliniger Lösungsweg hin zu Versöhnung und Heilung beschritten.

Problematisch wird der Film durch seinen unbedarften Umgang nicht nur mit dem schwerwiegenden Thema des Leidens, sondern auch durch den (fehlenden) biblischen Bezug. Das dargestellte Gottesbild wirkt eher wie eine Droge, die kurzfristig beruhigt, aber langfristig zu noch größeren Problemen führt.

Nicht gläubigen Menschen dürfte es leichtfallen, diesen Wohlfühlgott als pure menschliche Projektion abzulehnen und spätere Argumente, die auf einem christlichen Gottesbild beruhen, mit der Begründung zurückzuweisen, hier werde abermals die Welt nach den eigenen Vorstellungen neu errichtet, ohne die Wirklichkeit ernst zu nehmen.


Glauben ohne Auseinandersetzung

Fast alle „Faith-based movies“ aus dem Produktionsumfeld großer US-amerikanischer Filmstudios funktionieren nach dem Muster einer geschlossenen Erzählung, die sich durch einen naiv-existenziellen Zugang zum Glauben an Gott auszeichnet. „Naiv“ ist hier beschreibend gemeint, im Sinne von „ohne Voraussetzungen“, aber auch „ohne Auseinandersetzung oder Differenzierung“. Existenziell ist dieser Glaubenszugang, da grundlegende Situationen menschlichen Daseins angesprochen werden: (schwere) Krankheit, Verlust durch Tod, die Sinnfrage sowie das Streben nach Glück, das Theodizee-Problem und die Erfahrung menschlicher Ohnmacht.

Eines der jüngsten Beispiele für „Faith-based movies“ ist die frei im Internet verfügbare Serie The Chosen. Inhaltlich handelt es sich um einen (sehr langen) Jesusfilm. Auch dieses Genre wurde bereits in anderen „Faith-based movies“ verarbeitet, etwa in Auferstanden (2016, Regie: Kevin Reynolds) oder Der junge Messias (2016, Regie: Cyrus Nowrasteh). Diese beiden Filme versuchen eine veränderte Perspektive zu entwerfen, zum einen in Form einer detektivischen Handlung, ausgelöst durch das leere Grab, zum anderen durch das Füllen von Lücken in der Erzählung am Beispiel des Aufenthalts von Maria, Josef und Jesus in Ägypten, wie das Matthäusevangelium ihn nahelegt.

Auf den Spuren von Franco Zeffirelli: "The Chosen" (The Chosen, LLC)
Auf den Spuren von Franco Zeffirelli: "The Chosen" (© The Chosen, LLC)

„The Chosen“ folgt eher den Spuren klassischer Jesusfilme, wie beispielsweise König der Könige (1960, Regie: Nicolas Ray) oder der italienischen Fernsehserie Jesus von Nazareth (1976, Regie: Franco Zeffirelli), insbesondere auch durch eine dem Drehbuch zugrunde liegende Evangelienharmonie. Abgesehen von der Tatsache, dass „The Chosen“ auf sieben oder gar acht Staffeln angelegt ist und sich daher viel Zeit zum Erzählen von hinzuerfundenen Nebenhandlungen nimmt, die nicht im Neuen Testament zu finden sind, wandelt die Serie auf den bekannten Pfaden des Jesusfilms: lange Gewänder und Sandalen, böse Römer und freundliche Judäer, seichte Handlung und einschlägige Situationen. Durch einen lachenden und scherzenden Jesus, der eher als guter Freund in Erscheinung tritt, soll eine zeitgemäße Figur gezeichnet werden; auch die Jünger und andere wichtige Personen wirken durch Sprache und Gestus wie Menschen der Gegenwart.


Illustration von Bibeltexten ohne neue Deutung

Alles Anstößige und Herausfordernde der Evangelien wird auf diese Weise jedoch unterdrückt oder ignoriert. Es geht nur noch um die Heilung, die Jesus bringt. Wer sich öffnet, erkennt die durch ihn gewirkten Heilungen und Wunder. Es ist ein Jesus des Mittleren Westens, den eine freundliche „Alles wird gut“-Botschaft umgibt. Insbesondere die hinzugedichteten, nicht-biblischen Passagen lassen keinen Raum für Interpretation, sondern zeigen eine geradlinige Glaubensgeschichte, in der alle Widerstände irgendwann überwunden werden.

Nicht glaubende Zuschauer, die dem biblischen Text bisher schon kritisch gegenüberstanden, finden in „The Chosen“ keinerlei Anknüpfungspunkte; die Serie wirkt vielmehr so, als sei sie für den katechetisch-unterweisenden Einsatz produziert worden.

Als Fazit lässt sich deshalb festhalten, dass neben den geschlossenen Erzählungen, den naiven Gottes- und Glaubensbildern und den äußerst konventionellen Inszenierungsformen vor allem die Art und Weise des Zugriffs auf die biblische Grundlage äußert problematisch ist. Das für gläubige Bibelleser Bekannte wird nur illustriert, nicht neu gedeutet. Formal verzichtet „The Chosen“ immerhin auf Pathos; jedoch stehen unmittelbare Emotionen klar im Zentrum der Dramaturgie, welche nur aufs Mitfühlen, nicht aufs Nachvollziehen ausgerichtet ist.


Das Gegenmodell: Filme, die Fragen stellen

Ein mögliches filmisches Gegenmodell markieren Filmerzählungen, die Fragen stellen, Distanz erzeugen und Reflexion zu fördern. So stellt Maria Magdalena (2018, Regie: Garth Davis) nicht nur das traditionell männlich geprägte Bild der Jünger in Frage, sondern zeigt einen immer wieder auch anstößig wirkenden Jesus und setzt sich mit den individuellen Herausforderungen von Nachfolge auseinander. Das Historiendrama Silence (2016, Regie: Martin Scorsese) zeigt hingegen die Grenzen der christlichen Nachfolge auf, indem die Theodizee-Frage zugespitzt wird: Kann es Gottes Willen entsprechen, wenn Menschen für ihr christliches Bekenntnis durch andere Menschen beständig Leid erfahren? Oder gibt es nicht vielmehr auch alternative Wege des Glaubens. Die den monotheistischen Religionen innewohnende Wahrheitsfrage wird in „Silence“ durch ein historisches Beispiel illustriert – aber dem Titel gemäß gerade nicht beantwortet.

Ein Film, der Fragen stellt: "Silence" (Concorde)
Ein Film, der Fragen stellt: "Silence" (© Concorde)

Auch der französische Film Von Menschen und Göttern (2010, Regie: Xavier Beauvois) kann als Beispiel für eine ganz andere Form von „Glaubensfilm“ genannt worden. Die Geschichte der französischen Mönche im Kloster von Tiberine in Algerien zeigt statt Wunder und Heil eher eine sehr kontroverse Auseinandersetzung über die Frage, was die Nachfolge Jesu konkret bedeutet. Die Szenen, die das spirituelle Leben der Mönche vergegenwärtigen, wirken vor dem Hintergrund der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Algerien zwischen Regierung und Islamisten jedoch umso eindrücklicher.


Der verweigerte kritische Blick

Die Thematisierung von Glauben, Heil oder Wundern im Film kann nicht auf das Phänomen „Faith-based movies“ beschränkt werden; das „Faith-based“ stellt vielmehr eher eine Randerscheinung innerhalb der internationalen Filmproduktion dar. In Deutschland schaffen es die wenigsten Produktionen dieser Richtung auf eine Kinoleinwand; sie werden zumeist als Streaming-Angebot oder auf DVD ausgewertet. Selbst der Film Die Passion Christi erzielte in Deutschland und Europa kein annähernd vergleichbares Ergebnis wie in den USA, wo allein im Kino 370 Millionen Dollar eingespielt wurden, in der internationalen Auswertung insgesamt aber nur 240 Millionen.

Das Phänomen der „Faith-based movies“ mag in der für bestimmte Zuschauerkreise neuen Attraktivität christlicher Inhalte in Filmerzählungen liegen. Die Art und Weise der Darstellung dieser christlichen Inhalte ist aber nicht nur ein formaler Rückfall in die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Zeiten der biblischen Monumentalfilme; er wirkt vor allem wie eine Weigerung, sich in einer pluralen Gesellschaft mit kritischen Anfragen an den Glauben und an die biblischen Quellen auseinanderzusetzen.

Die Freheit des Andersdenkenden: "Von Menschen und Göttern" (nfp)
Die Freheit des Andersdenkenden: "Von Menschen und Göttern" (© nfp)

Gegen eine streng zielgruppenorientierte Produktionsweise von Filmen lässt sich kaum etwas einwenden, doch die Rezeption entsprechender Filme zeigt, dass mühsam erreichte Verständigungsprozesse im Glauben dadurch oft in Entgegensetzung und Gesprächsverweigerung umschlagen. Das Erzählen einer frohen Botschaft durch Heilung und Wunder sollte in Offenheit für die Begegnung mit dem Anderen geschehen. Die Freiheit des Glaubens erweist sich gerade in der Anerkennung der Andersdenkenden. Gegenseitiger Respekt und die Suche nach dem menschlich Gemeinsamen von Glaube, Agnostizismus oder Atheismus wäre ein echtes Wunder.

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