Als „Kinder des Lichts“ werden die Schüler einer Schauspielklasse zu Beginn des Films bezeichnet. Die Bühne, auf der sie sich kurz vor dem Intendanten-Treffen versammelt haben, ist jedoch nur spärlich beleuchtet und erlaubt keinen räumlichen Überblick. Kontraste wie diese sind, zumindest visuell, das vorherrschende Motiv in Christian Schwochows Drama „Die Unsichtbare“: Dunkelheit, Unübersichtlichkeit, schummriges Licht und auf der anderen Seite der Spot, der eine Figur aus der Unsichtbarkeit herauslöst, wie auch das begehrte „innere Licht“, das ein Gesicht erst richtig zum Leuchten bringt. Dunkel, eng und mitunter bedrückend klaustrophobisch sind auch die atmosphärisch souverän inszenierten Handlungsorte des Films: die Katakomben des Theaters, die Probebühne, die Wohnung des Regisseurs Friedmann, der mit den Studenten an einer Inszenierung des Stücks „Camille“ arbeitet, die U-Bahn mit ihren unterirdischen Gängen wie auch die Wohnung, in der Fine, die Hauptfigur des Films, gemeinsam mit ihrer Mutter und der geistig behinderten Schwester zusammenlebt.
Fine ist die „Unsichtbare“, eine nervöse und etwas verhuschte Schauspielschülerin, die sich gerne in zu großen Klamotten versteckt, zu Hause dagegen extrem bestimmt auftritt und das prekäre familiäre Gefüge – die regelmäßigen Anfälle der Schwester, eine dauergestresste und frustrierte Mutter – im Grunde erst zusammenhält. Auf der Bühne droht sie jedoch zu verschwinden, und so vermasselt sie beim Vorsprechen, das über ihre Zukunft entscheiden soll, ihren Einsatz. Friedmann, ein manischer, sich zwischen Selbstzweifeln und Machthunger verheddernder Über-Regisseur, besetzt sie zur Überraschung aller dennoch für die Hauptrolle der Camille. Wohl gerade weil die Kluft zwischen Schauspielerin und Bühnen-Persona so immens ist – Fine ist sexuell gänzlich unerfahren, während Camille ein Sex-Vamp ist, der zunächst radikal autonom auftritt, sich dann aber zunehmend selbst zerstört – sieht Friedmann in Fine ein formbares Wesen, das er mit seinen Authentizitätsforderungen traktieren kann. So treibt er sie an, ihre Figur kennen zu lernen, die dunklen Seiten ihrer eigenen Persönlichkeit hervorzuholen und für die Rolle produktiv zu machen. Dass diese Grundkonstellation stark an Darren Aronofskys „Black Swan“
(fd 40 279) erinnert, ist ein sonderbarer Zufall; erstaunlich ist, wie sehr sich beide Filme auch formal ähneln. Zwar ist die Kamera in „Die Unsichtbare“ nicht ganz so entfesselt, tänzerisch und virtuos wie bei Aronofsky, doch auch sie ist konsequent auf die Hauptfigur fixiert und zeichnet, ohne in die Manierismen eines hektischen Gewackels zu verfallen, jede ihrer kleinsten Regungen auf, ohne der Figur voraus zu sein oder mehr zu „wissen“.
Dass man darüber so manchen überflüssigen Drehbucheinfall vergisst, darunter eine angedeutete und nicht weiter ausgeführte Konkurrenzgeschichte, und über den manchmal arg ins Method-Acting-Klischee abrutschenden Selbsterforschungs- und Zerstörungstrip Fines hinwegsehen kann, verdankt sich vor allem dem beeindruckend unmanierierten Spiel der Dänin Stine Fischer Christensen, die ihre Rolle mit so vielen Zwischentönen ausstattet, wie man es im deutschen Kino – zumindest wenn es um „emotionales“ Spiel geht – selten zu sehen bekommt. Schade ist nur, wie erklärbar die Figur am Ende des Films dasteht. Während Aronofsky sich die künstlerische Freiheit erlaubt, den Boden des psychologischen Dramas zu verlassen, und seinen Film in einen exzessiven Strudel aus Horror und Camp stürzt, konstruiert Schwochow ein wasserdichtes psychologisches Gerüst um seine Hauptfigur, das nicht nur die konzentrierte Interaktion zwischen Fine und Camille zugunsten von Nebenschauplätzen schwächt. Aus der anfangs rätselhaft aufgeladenen „Unsichtbaren“ geht eine Figur hervor, die kaum eine Frage mehr offen lässt. Dem Klischee des besessenen Künstlertypen Friedmann, der seiner Schauspielerin rücksichtslos die Verschmelzung mit ihrer Rolle abverlangt, steht Schwochow zwar keineswegs unkritisch gegenüber; dennoch hätte man sich an mancher Stelle einen ähnlich bissigen wie scharfsinnigen Ton gewünscht, mit dem Nikolaus Wackerbarth in „Unten Mitte Kinn“
(fd 40 791) auf die Machtverhältnisse des Theaterbetriebs und das aufgeplusterte Gebaren eines manipulativen Regisseurs geblickt hat.