Drama | Portugal/Deutschland 2010 | 120 Minuten

Regie: Hugo Vieira Da Silva

Ein Vater und sein Sohn reisen aus Lissabon nach Berlin zur Mutter, von der der eine lange getrennt ist und die der andere kaum kennt. Die Frau liegt im Wachkoma und hat kaum Chancen auf Genesung. Am Krankenbett und in der fremden Stadt kristallisieren sich die ganze Sprachlosigkeit und die Distanz der Familienmitglieder heraus. Kühl, aber atmosphärisch außerordentlich dicht, entwickelt der Film mit präziser Kamera und wirkungsvoller elektronisch-elegischer Musik eine Studie männlicher Abwehrmanöver gegen emotionale Erschütterungen, die in ihrer existenziellen Schwere zutiefst bewegt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SWANS
Produktionsland
Portugal/Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Flying Moon/Contracosta Prod./The Post Republic
Regie
Hugo Vieira Da Silva
Buch
Hugo Vieira Da Silva
Kamera
Reinhold Vorschneider
Schnitt
Andrea Wagner
Darsteller
Kai Hillebrand (Manuel) · Ralph Herforth (Tarso) · Maria Schuster (Petra) · Vasupol Siriviriyapoon (K.) · Eva Kryll (Ärztin)
Länge
120 Minuten
Kinostart
14.07.2011
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Die Hände in den Plastikhandschuhen kennen die Bewegungsabläufe gut. Jeder Griff sitzt und folgt im Takt des Herzschlag-Monitors einer bewährten Choreografie. Das Objekt, das enthüllt, gedreht, gewaschen, eingecremt und wieder eingepackt wird, ist ein menschlicher Körper im Wachkoma. Gerade noch fähig zum Atmen. Fleisch gewordene Hilflosigkeit ohne Mitspracherecht, in Erwartung eines Herzstillstands, der sich nicht einstellen will. Die von Reinhold Vorschneider in ihrer klinischen Exaktheit meisterlich fotografierte Szene ist pures Kino. Sie dringt so konzentriert in das Mysterium Leben ein, dass es eine Weile dauert, bis man den anderen bei ihren banalen Alltagsverrichtungen wieder folgen möchte. Inszeniert hat dies ein junger Regisseur, der in seinem nach „Body Rice“ (2006) gerade mal zweiten Spielfilm eine existenzielle Schwere an den Tag legt, die schlicht umwerfend ist. Der in Wien und Berlin lebende Portugiese Hugo Vieira da Silva (Jahrgang 1974) beweist zudem großes Talent im Aufspüren von emotionalen Blockaden. Diese äußern sich zunächst in Dialogen, die vor dem Hintergrund eines langsam sterbenden Angehörigen in ihrer Ungerührtheit das Blut gefrieren lassen. Vater und Sohn reisen ins winterliche Berlin, um von der Ex-Geliebten und kaum gekannten Mutter Abschied zu nehmen. Sie kommen aus Lissabon, wo Tarso seit 15 Jahren Autos mit Gewinn verkauft, die er zuvor in Deutschland abholt. Seine Einnahmen reichen für ein sorgenfreies Mittelstandsleben, inklusive einer Wohnung für den Filius. Der verschlossene Manuel gibt sich am liebsten den Ritualen einer in die Jahre gekommenen Jugendkultur hin, vom nächtlichen Sprayen auf Züge bis zum Dauerkonsum einer chronisch nörgelnden Rap-Musik, deren Unterschichtstexte nichts mit seinem eigenen sozialen Status zu tun haben. Sein Berufsziel ist professionelles Skaten, dementsprechend häufig sieht man ihn auf dem Brett balancieren. Die familiäre Kommunikation ist unterkühlt, als das Duo zur Reise in die Vergangenheit aufbricht, in die Untiefen erschreckend kalter Beziehungen, für die „Swans“ neben einer übermächtigen Technik im Stadtbild diffuse Fortbewegungsbilder findet, untermalt mit einer elektronisch-elegischen Musik, die unwillkürlich Assoziationen an ähnlich suggestive Fahrten in Tarkowskis „Solaris“ (fd 20 140) weckt. Mit der Ankunft auf der Intensivstation, wo die Enddreißigerin nach einer aggressiven Chemotherapie ums Überleben kämpft, strukturieren Krankenhausbesuche den Tagesablauf der beiden. An ihrem Bett herrscht eisiges Schweigen; weder Sohn noch Vater sind in der Lage, eine der Situation entsprechende Regung zu zeigen. Die Abende verbringen sie vor dem Fernseher in der Hochhauswohnung, die sich die Frau mit einer Stewardess teilt. Am Anfang dominiert pure Überforderung ihre dumpf um Sport und Computer kreisenden Gespräche. Das Leben geht in der Gropius-Stadt so unaufgeregt weiter, als wäre die an die Decke starrende, kahl geschorene Fremde längst begraben. Dann versetzt Tarso die Todesnähe der von den Ärzten inzwischen aufgegebenen Ex-Frau doch noch in Angst und Schrecken. Er bestellt heimlich einen Heilpraktiker, der den komatös verkrampften Körper mit Akupunkturnadeln traktiert, und behandelt seine Schlaflosigkeit mit grotesk optimistischen Entspannungs-CDs. Ralph Herforth läuft zu unerwarteter Hochform auf, wenn er der altersbedingten Exzentrik seines Sohns mit moralischer Entrüstung begegnet, nur um wenig später selbst beim Versuch der Sterbehilfe kläglich zu versagen. Wenn Manuel nicht beim Skaten die Zeit tot schlägt, halbherzig Kontakt zu Gleichaltrigen sucht oder an den frei zugänglichen Geschlechtsorganen des mütterlichen Torso seine sexuelle Neugier auslebt, lässt er sich von der androgynen Ausstrahlung der Mitbewohnerin autoerotisch stimulieren. Die Asiatin schwebt wortlos durch das Krankenhaus, entpuppt sich als kompetente Masseuse und mutiert im heimischen Badezimmer zum Zwitter, dessen Unterwäsche es als Fetisch zu klauen gilt. Mit dieser Figur dekliniert der Film zwar seinen modischen Körper-Diskurs allzu deutlich durch, schafft aber die Kurve, um Manuels haptische, auf Distanz angelegte Wahrnehmung der Welt zu brechen. Seine letzten Besuche bei der offenbar uneingestanden doch vermissten Mutter sind von tiefer Trauer und Zärtlichkeit bestimmt. Eine Erleichterung angesichts der verwehrten Empathie, deren unerklärliche Abwesenheit den Betrachter bis zum Schluss in einer Schockstarre aus Ambivalenz und Fassungslosigkeit verharren ließ. „Swans“ ist eine grandiose Studie männlicher Abwehrmanöver, atmosphärisch dicht trotz unterkühler Kameraführung, reich an nachhallenden Momenten und kontroversem Diskussionsstoff.
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