Nichts ist besser als gar nichts

Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 92 Minuten

Regie: Jan Peters

Hintergründig-ironischer Dokumentarfilm über den Selbstversuch des Regisseurs Jan Peters, als freiberuflicher Reisebegleiter im U-Bahngebiet von Frankfurt sein Auskommen zu finden. Dabei taucht er in die obskure Welt der Nebenjobs und prekären Existenzmodelle ein und erkundet humorvoll-pointiert die strukturellen Defizite einer Gesellschaft, der angeblich die Arbeit ausgeht. Ein dezidiert sanfter Film über eine harte Wirklichkeit, der seine Wirkung erst im Nachhinein entfaltet. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
filmtank/ZDF/3sat
Regie
Jan Peters
Buch
Jan Peters
Kamera
Marcus Winterbauer
Musik
Pit Przygodda
Schnitt
Nina von Guttenberg · Sandra Trostel
Länge
92 Minuten
Kinostart
04.11.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Es ist schon eine Weile her, dass Jan Peters mit seinen essayistischen Tagebuchfilmen „November 1–30“ (1998) und „Dezember 1–31“ (1999) die Aufmerksamkeit auf sich zog. Danach wurde es stiller um ihn, obwohl er auch nach der Milleniumswende den Prinzipien seiner ironisch-zeitgenössischen Selbstreflexion treu blieb und insbesondere seinen „Ich bin“-Zyklus unverdrossen weiterführte. Inhaltlich verschob sich der Fokus allerdings stärker auf gesellschaftliche Phänomene, insbesondere aus der Arbeitswelt. Peters’ künstlerisches Alter Ego steht darin weiterhin im Zentrum, doch hat sich der thematische Rahmen seines Œuvre deutlich erweitert. So „dokumentierte“ er in seinem Kurzfilm „Wie ich ein freier Reisebegleiter wurde“ (2007) eine Art Praktikum bei einem Frührentner, der seine karge Rente damit aufbesserte, dass er Reisenden am Frankfurter Flughafen gegen ein kleine Spende anbot, auf seinem Gruppenticket in der U-Bahn mitzufahren. Diesen Ausflug in prekäre Beschäftigungsverhältnisse setzt Peters nun mit einem Langfilm fort, der den „Plot“ des „Reisebegleiters“ zum roten Faden einer humorvoll-pointierten Erkundung des „vierten Arbeitsmarktes“ macht. Die narrative Klammer ist zwar etwas bemüht – die Freundin hat sein Portemonnaie mit allen Papieren versehentlich mit nach Brasilien genommen –, etabliert visuell wie dialogisch aber die Erzählebene einer experimentellen, in Wahrheit jedoch existenziellen Entwurzelung, die sich im Fortgang als bittere Realität für eine wachsende Schar von Menschen entpuppt. Während man dem Protagonisten dabei zusieht, wie er aus der Gruppenticket-Idee eine Ich-AG aufzubauen versucht, bewegt sich die Kamera meist durch anonyme Transiträume, U-Bahnhöfe, Wartehallen, Betonschächte und Glaswüsten, denen jeder Anflug von Naturwüchsigkeit, Vertrautheit oder gar Intimität zuwider ist. Diese von kaltem Neonlicht erleuchtete Sphäre wird zur schillernden Metapher eines Selbstversuchs, aus einer Lücke im Tarifsystem des Nahverkehrs einen Broterwerb zu generieren, wobei das Interesse des Films im Grunde mehr den „Kunden“ als der Geschäftsidee gilt. Peters durchläuft zwar eine beinahe prototypische Modellierung vom amateurhaften Anquatscher zum durchdesignten Dienstleister, der mit Jobkleidung, Visitenkarten, Slogan („Sei fit, fahr mit“) und mobiler Erreichbarkeit sukzessive zur Nischen-„Marke“ wird. Doch wie der Unternehmensberater Maik treffend analysiert, der Peters „Existenzgründung“ kommentierend begleitet, löst die Inszenierung den Interessenkonflikt zwischen Kunst und Kohle einseitig auf, weshalb der Reisebegleiter im wirklichen Leben schon nach kurzer Zeit bankrott wäre. Dafür entschädigt jedoch die Begegnung mit einer Handvoll skurril-authentischer Ein-Euro-Jobbern, Tagesmüttern und Harz IV-ern, die auf dem Dach eines Museums Honig produzieren, für ein bedingungsloses Grundeinkommen streiten oder Krimskrams feilbieten, ohne dass daraus je ein tragfähiges Einkommen erwüchse. Durch den unaufgeregten, eher neugierigen als entlarvenden Duktus des Films, der ironisch-satirische Untertöne erst auf den zweiten Blick erkennen lässt, wird man so der strukturellen Defizite im Schatten der Frankfurter Bankentürme gewahr, die eine wachsende Zahl von Menschen für immer ins gesellschaftliche Abseits befördern. Das Bild von den Arbeitsbienen, die ihre kurze Existenz ausschließlich ihrem Volk und dessen Königin widmen, durch ihre Bestäubungstätigkeit aber für Vegetation wie Volkswirtschaft von enormen Nutzen sind, wird zur ambivalenten Chiffre einer sich beschleunigenden Gesellschaft, in der die Verteilung von Reichtum und Lebenschancen offensichtlich immer stärker Richtung Bienenstock tendiert. So beiläufig-nüchtern wie in „Nichts ist besser als gar nichts“ wurde einem dies bislang kaum vor Augen geführt.
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