Wer zuerst blinzelt, hat verloren. Geschwister kennen dieses Spiel zur Vertreibung heimischer Langeweile. Mit dem Starren aus weit aufgerissenen Augen und kleinen Schocktaktiken zwischen Bruder und Schwester beginnt auch die erste Episode von Robert Rodriguez’ neuem Kinderfilm. Mit Langeweile hat dieser jedoch so wenig zu tun wie der faustgroße Stein, der in dem Örtchen Black Falls ziemlich kunterbunt vom Himmel fällt. Jeden Wunsch wird er von den Lippen seiner wechselnden Besitzer ablesen, und das nicht immer zum besten. Sein Gegenstück, ein schwarz metallener Gebäudewürfel, thront unterdessen über der idyllischen Tüftler-Siedlung mit dem düsteren Namen und der abstrusen Nachbarschaft. Hier lebt man nur, wenn die Eltern das Allround-Handy von Black Box Industries mit den neuesten Gimmicks versehen können. Drakonisch herrscht der kapitalistische Medien-Mogul Mr. Black mit der iPhone-Persiflage über seine Einwohner und Mitarbeiter, während seine Teufelsbrut Helvetica und Cole Black das bezahnspangte High-School-Dasein des Außenseiters Toe Thompson zur Hölle machen. Aber beginnen wir mit dem Filmanfang, oder besser mit dessen apokalyptischem Ende: Ein gigantischer Roboter zerschlägt den schwarz-klotzigen Firmensitz von Mr. Black, umschwirrt von einer Riesenwespe und einem Stinkekäfer. Ein Krokodil fliegt mit abgespreizten Beinchen und aufgerissenem Maul auf einen Säugling zu. Das Bild friert ein, und Rodriguez’ kleiner Erzähler Toe versucht, seine überschlagenden Gedanken in Videorekorder-Ästhetik in eine historische Reihenfolge zu bringen. Vor und zurück springt seine Erzählung um die desaströse Besitzfolge des geheimnisvollen Regenbogensteins, das Tempo raubt einem den Atem, aber nicht die Übersicht – zu geschickt arrangiert die Inszenierung ihre Chaos-trächtigen „Shorts“ (so der Originaltitel): Auf zwei Beinen aufrecht laufende Krokodile, ein aggressiver Riesenpopel, dem man mit dem Verschlucken selbst produzierter kleinen Artgenossen drohen kann, ein siamesisches Elternpaar, das sich doch nur etwas näher sein wollte, und dann fährt die Kamera wieder an den sich unentwegt anstarrenden Geschwistern vorbei. „Das Geheimnis des Regenbogensteins“ sprüht nur so vor fantastischen Einfällen; unterhaltungssüchtige Kindernerven wird das nicht verfehlen. Seine filmische Wundertüte hat Rodriguez dabei mit solcher Wucht geöffnet, dass die technikverliebten Abenteuer seiner „Spy Kids“ (fd 35 069; fd 35 778) alt aussehen. Erneut geht es um den kindlichen Traum einer Machtverschiebung – bis der Größenwahn der Erwachsenen dazwischen funkt. Erst als diese mitmischen, wächst auch die Zerstörung exponenziell an. Fromme Wünsche wie „Friede und Nahrung für die Welt“ werden nuschelnd beratschlagt, ausgesprochen werden sie im Strudel der eigenen Bedürfnisbefriedigung jedoch nie. Dabei ist Rodriguez auf der Bildebene ein ähnlicher Zitate-Jongleur wie Quentin Tarantino, mit dem er zuletzt im extremen Erwachsenenkino von „Grindhouse: Planet Terror“
(fd 38 341) Blut und Innereien verspritzte. „Das Geheimnis des Regenbogensteins“ lebt von ähnlich abgedrehten Fantasiewelten, doch Rodriguez weiß genau, was er seinem jungen Publikum zumuten und wie er dennoch Generationen übergreifend unterhalten kann. Diverse Szenen aus Abenteuer- und Kriegsfilme, Schul- und Sci-Fi-Albträume kommen einem in den Sinn, eine direkte Bezugnahme wird jedoch vermieden. Es ist eine kindgerecht verspielte Ikonografie des Unterhaltungskinos: schon oft gesehen und doch nicht billig abgekupfert. Komplettiert wird das Ganze durch eine mit William H. Macy und James Spader herrlich durchknallende Erwachsenenwelt, während Neuentdeckung Jolie Vanier als Toes größte Feindin (und Verehrerin) Helvetica wie die aggressive Schwester von Franchise- und Fashion-Heldin „Emily the Strange“ durch Schule und Ortschaft wütet. Fast scheint es, als hätte Rodriguez selbst einen Regenbogenstein in die Hand genommen und sich inständig gewünscht, dass sein Film neben all dem narrativen und kreativen Exzessen auch noch eine schöne Botschaft von Freundschaft und Demut abliefert. „Mission accomplished“, hätten die Spy Kids triumphiert.