Eine typische Landstraße in den Weiten Nordamerikas, genauer gesagt in Kanada; einsam gelegen, trübe Ödnis, kaum Bäume und kaum Menschen. Wer sich hierher verirrt, ist entweder auf der Durchreise oder einer der sich zumeist langweilenden Anwohner. Erst kürzlich lieferten die Coens mit „No Country For Old Men“
(fd 38 601) eine düstere Version von deren Aufeinandertreffen in einem ähnlichen amerikanischen Landschaftsbild. Bei Jennifer Lynch, deren berühmter Vater David sich dieser Thematik in „The Straight Story“
(fd 33 981) oder „Lost Highway“
(fd 32 459) auch schon mit Hingabe und Genialität genähert hat, verläuft dieses Aufeinandertreffen zwar mit etwas anderen Akzenten als bei den Coen-Brüdern, aber ebenso brutal und hoffnungslos. Ihre Geschichte erzählt die Regisseurin, die seit ihrem künstlerischen wie kommerziellen Flop „Boxing Helena“
(fd 30 902) vor 15 Jahren außer bei einer TV-Episode nicht als Filmregisseurin gearbeitet hat, in drei subjektiv gefärbten Rückblenden. Jede Rückblende entspricht der Sicht eines der drei Überlebenden einer Mordserie. Die drei Personen, eine junge drogenabhängige Frau, ein kleines Mädchen und ein Polizist, sitzen beim Verhör in einer örtlichen Polizeistation. Die dort tätigen Polizisten werden von zwei Agenten des FBI unterstützt, gespielt von Julia Ormond und Bill Pullman. Nach und nach erzählen sie in getrennten Räumen ihre Versionen der Geschehnisse, die jeweils mehr oder weniger offensichtlich Lücken und Widersprüche aufweisen.
Die subjektive Färbung dieser losen Fäden, die vor dem Zuschauer brachliegen und sich erst nach und nach zusammenzufügen scheinen, erinnert an Akira Kurosawas Meisterwerk „Rashomon“ (fd 1 875). Formal gut konstruiert, wird der Film lange von dieser Grundkonstellation getragen. Um die Spannung zu halten, werden nur einige Teile der Handlungsstränge gezeigt, werden wie bei einem Memory-Spiel die Karten kurz umgedreht, um sie dann wieder zu verdecken. Das kleine Mädchen beobachtet, als sie mit ihrer Familie im Auto über die Landstraße fährt, kurz vor dem Unglück einen verdächtigen Wagen am Straßenrand. Zwei Polizisten der Wache, von denen einer zu den drei Überlebenden gehört, schießen aus Langeweile die Reifen vorbeikommender Autos kaputt, um dann die Insassen durch sadistische und herabwürdigende Handlungen ihre Machtposition spüren zu lassen.
Doch anstatt diesen Fokus weiter zu verfolgen und diese Grundidee auszuspielen, verfällt der Film in einen fast klassischen „Whodunit“ mit allzu starkem Auflösungswillen. Nach und nach bleiben aufgenommene Stränge liegen; die Subjektivität der Episoden wird zugunsten einer forcierten und brutalisierten Täter-Opfer-Handlung aufgegeben. Der Film beraubt sich somit seines zuvor exzellent eingesetzten filmischen Mittels: der unterschwelligen Bedrohung. Er opfert die beklemmend inszenierte Atmosphäre einer drastischen Gewaltdarstellung und verliert dabei seine Charaktere aus den Augen. Ein Verlust, der leider auch die guten schauspielerischen Leistungen, allen voran Bill Pullmans und der ausgesprochen stark, weil gegen ihr Image agierenden Julia Ormond, schmälert. Die Regisseurin beraubt sich dadurch leider aller guten Ansätze. Akira Kurosawa und David Lynch haben vier Fußstapfen hinterlassen – Jennifer Lynch hat aber leider nur zwei Füße. Immerhin reicht es noch zu einem ansehnlichen, streckenweise gut inszenierten Thriller.