- | Island/Deutschland/Dänemark/Großbritannien 2004 | 89 Minuten

Regie: Fridrik Thór Fridriksson

Als sich seine geistig behinderte Freundin nach dem Tod ihrer Katze des Lebenssinns beraubt sieht, zieht ein ebenfalls am Down-Syndrom leidender junger Mann in die Welt, um für sich und das geliebte Mädchen den Sinn des Lebens zu ergründen. Einfühlsam inszenierter, überzeugend gespielter Film als abschließender Teil einer Trilogie, der keine eindeutigen Antworten auf die angesprochenen existenziellen Fragen bietet, sondern eindrucksvoll unterstreicht, das Fragen des Herzens dem Leben abgetrotzt werden müssen. Die auf den ersten Blick naive Sinnsuche wartet mit ungeahntem Tiefsinn auf. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NICELAND (POPULATION 1.000.002)
Produktionsland
Island/Deutschland/Dänemark/Großbritannien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Nimbus Film/Tradewind Pic./Zik Zak Kvikmyndir/Film and Music Ent.
Regie
Fridrik Thór Fridriksson
Buch
Huldar Breidfjörd
Kamera
Morten Søborg
Musik
Mugison
Schnitt
Sigvaldi J. Kárason · Anders Refn
Darsteller
Martin Compston (Jed) · Gary Lewis (Max) · Kerry Fox (Mary) · Peter Capaldi (John) · Shauna MacDonald (Sandra)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Starmedia (1:1,85/16:9/Dolby Digital 2.0)
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Diskussion
Ein junges Paar lümmelt sich auf einer Couchgarnitur, umgeben von Designer-Regalen. Man redet übers Wetter, dann greift er zur Fernbedienung – doch der Fernseher springt nicht an. Rasch erweist sich das erste Bild des Films als Täuschung: Dies ist kein Zuhause, sondern ein Möbelgeschäft, und keineswegs geht es um Sprachlosigkeit in Beziehungen oder um Jugendliche, die ohne Programm in den Tag hineinleben. Chloe und Jed, Anfang 20, beide geistig behindert, sind unsterblich ineinander verliebt. Auch der polternde Verkäufer, der sie aus der Möbelhausdekoration verjagt, gehört zum Spiel, das die Liebenden spielen. „Niceland“ ist ein Film der Post-„Rain Man“-Ära, an problembehafteten Beziehungen zwischen Behinderten und Nichtbehinderten ist er nicht interessiert. Man könnte höchstens feststellen, dass Jed, Chloe und ihre geistig behinderten Arbeitskollegen aus der Kunststoff-Fabrik in einer anderen Welt als ihre Eltern leben. Aber das ist vielleicht nur eine Generationenfrage. Der Abgrund jedenfalls zwischen Jung und Mittelalt wird nirgendwo deutlicher als in der Szene, die den spielerischen Anfang auf bitterernste Weise wiederholt: Darin kommen Jeds Eltern aus dem Bannkreis des Fernsehapparats nicht mehr heraus, obwohl die defekte Mattscheibe schwarz bleibt. Er: „Wollen wir nicht spazieren gehen?“; Sie: „Draußen ist schlechtes Wetter.“ Jed sitzt lieber mit glänzenden Augen in seinem Zimmer und betrachtet die herzförmige Kerze, die ihm Chloe geschenkt hat. Nach einem gemeinsamen Kinobesuch nimmt Chloe strahlend Jeds Heiratsantrag an, doch im selben Moment verunglückt die Katze, an der das Mädchen so gehangen hat. Chloe wird krank, weil sie sich ihres Lebenssinns beraubt fühlt. Jed macht sich auf die Suche, den „Sinn des Lebens“ zu finden und so seine Freundin wieder gesund zu machen. Wie das Herzsymbol wirkt auch die Schlüsselfrage des Films, was denn der Sinn des Lebens sei, hier nicht wirklich naiv. Kehrt man die vermeintlich einfältige Frage für sich selber um – etwa: Hat mein Leben keinen Sinn? – spürt man die essentielle Bedeutung, die sie für die eigene Existenz besitzt. Dass die Antwort schwer zu finden ist, ist eine andere Geschichte – und genau die erzählt der Film. Der Isländer Fridrik Thór Fridriksson betrachtet ihn als Schlussteil einer Trilogie, die mit „Children of Nature“ (fd 29 845) begann und mit „Engel des Universums“ (fd 34 800) einen an Schizophrenie erkrankten jungen Mann in den Mittelpunkt stellte. Einfühlsam nimmt Fridriksson nun einmal mehr eine ungewöhnliche Perspektive ein. Der Blickwinkel eines jungen Mannes mit Down-Syndrom färbt und „verrückt“ in „Niceland“ die Alltagserfahrungen der Normalos, was im Wortspiel des Titels anklingt: In konkreten Locations in Island gedreht, scheint der Film doch in einer Art modernem Sagenreich zu siedeln, dessen Klima von gefühlten Temperaturen bestimmt ist. Das emotionale Thermometer pendelt zwischen „Nice“ und „Ice“, zwischen dem Hochgefühl der Verliebtheit und dem absoluten Gefrierpunkt in der Ehe von Jeds Eltern. Nur der Sohn schreitet mit anrührender Klarheit und Willenskraft durch den Film, der seinem Hauptdarsteller Martin Compston außerordentlich viel verdankt. Ken Loach hatte den Laiendarsteller für „Sweet Sixteen“ (fd 36 009) entdeckt, und offenbar suchte auch Fridriksson keinen „Method Actor“, der perfekte Down-Syndrom-Manierismen hätte vorführen können. Compston legt einfach alles in seinen fragenden, offenen Blick. Nicht zuletzt mit seinem ungekünstelten Habitus erinnert er an Parzival, den „reinen Toren“ der Rittersage, der auf den erlösungsbedürftigen Gralskönig Amfortas trifft. Der heißt hier Max und ist ein Gebrauchtwagenhändler im besten Alter. Wie schlechte Erinnerungen wirken die Wände aufgetürmter Schrottautos, die seinen Wohn- und Arbeitsort gegen die Umwelt abschotten. Jed glaubt, er könne vom ölverschmierten und von Schuldgefühlen heimgesuchten Max den „Sinn des Lebens“ erfahren. Der Jüngere besteht darauf, das Eremiten-Dasein mit Max zu teilen. Zunächst gegen dessen Willen, zieht Jed ausgerechnet in jenen verbeulten Wohnwagen, der das bedrückende Geheimnis seines Besitzers birgt. „Some things are too personal to discuss with others“ – dieser Spruch ist ein Leitmotiv des Films. Auf Fragen des Herzens darf man kaum eine direkte Antwort erwarten. Man muss sie sich auf Umwegen erschleichen, ertrotzen oder erkämpfen, und meistens findet man sie schließlich doch in sich selbst. Das gilt für Max wie für Jed – und auch Chloe wird am Ende „von allein“ wieder gesund. War Jeds Suche umsonst? Dumme Frage: Der Weg ist das Ziel – kein origineller, aber ein weiser Grundsatz. Er passt zur Weisheit des nur scheinbar einfach gestrickten Films.
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