Schau mich an!

Komödie | Frankreich/Italien 2004 | 111 Minuten

Regie: Agnès Jaoui

Um von ihrem Vater Anerkennung und Liebe zu erhalten, ist die nicht gerade schlanke Tochter eines ebenso eitlen wie umschwärmten französischen Verlegers zu vielem bereit. Doch in aller Regel erntet sie nur abfällige Kommentare. Erst als ihre Gesangslehrerin auf den Vater aufmerksam wird und für ihren Mann, einen erfolgreichen Schriftsteller, eine Chance wittert, kommt Bewegung ins Leben der Tochter. Ein Reigen emotionaler Abhängigkeiten und Bedürfnisse setzt sich in Bewegung. Solide erzählte, mit pointierten Dialogen gewürzte Gesellschaftssatire aus dem Pariser Intellektuellen-Milieu. Das Duo Jaoui/Bacri präsentiert einmal mehr eine bissig-humorvolle zeitgenössische "comédie humaine". - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
COMME UNE IMAGE
Produktionsland
Frankreich/Italien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Les FilmsA4/Canal +/Eyescreen/France 2 Cinéma
Regie
Agnès Jaoui
Buch
Agnès Jaoui · Jean-Pierre Bacri
Kamera
Stéphane Fontaine
Musik
Philippe Rombi
Schnitt
François Gédigier
Darsteller
Marilou Berry (Lolita) · Agnès Jaoui (Sylvia) · Jean-Pierre Bacri (Etienne) · Laurent Grévill (Pierre) · Virginie Desarnauts (Karine)
Länge
111 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Paramount (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Auf diesen Namen kann man sich inzwischen verlassen: Wo Agnès Jaoui draufsteht, ist auch Agnès Jaoui drin. Ein typischer Jaoui-Film spielt in der mehr oder weniger wohlhabenden französischen Bourgeoisie, sei es in der Provinz oder in Paris, und die Filmhandlung wird von einem brillanten Ensemble mit ausgeprägtem Interesse an den Nuancen der Liebe vorangetrieben. Das nach „Lust auf Anderes“ (fd 34 545) zweite Gesellschaftslustspiel von Agnès Jaoui beginnt mit einem Lied von Schubert. Eine junge pummelige Frau sitzt in einem Pariser Taxi, hört es auf ihrem Walkman und singt leise den Text mit. Dann klingelt ihr Handy, sie setzt die Kopfhörer ab und vernimmt erst jetzt das dröhnende Autoradio. Höflich bittet sie den Fahrer, den Ton leiser zu stellen. Der reagiert erst, als der Vater des Mädchens zusteigt und den Fahrer lautstark zurechtweist, nicht ohne einen vorwurfsvollen Blick auf die Tochter zu richten. Eine schlichte Szene, die aber sogleich die gestörte Familienchemie enthüllt.

Die Vater-Tochter-Beziehung zwischen Lolita und Étienne, dem ein wenig ruppigen Schriftsteller und erfolgreichen Verleger, ist schwer reparaturbedürftig. Es gibt zwar immer wieder hastige Versöhnungsszenen, zumeist beim Mittagessen im Bistro um die Ecke, aber ernsthaft beachtet fühlt sich Lolita schon lange nicht mehr von ihrem egomanischen Vater. Jean-Pierre Bacri genießt es sichtlich, den eitlen Haustyrannen in der Midlife Crisis zu mimen, um den alle anderen irdischen Kreaturen dieses typisch französischen Kinouniversums hilflos kreisen. Die schlechte Laune steht ihm fortwährend ins Gesicht geschrieben, und daran kann auch seine 20 Jahre jüngere, attraktive Frau nichts ändern. Schließlich vermutet diese hinter jedem Bissen gleich Fettsucht und vergrault damit der ohnehin nicht gerade konfliktarmen Familie regelmäßig gemeinsame Mahlzeiten. Lolita erträgt die subtilen Kränkungen, die ihr täglich zugefügt werden, nur schwer;sie resultieren allerdings nicht nur daruas, dass sie dem gängigen Schönheitsideal der Hochglanzmagazine nicht entspricht, sondern noch mehr aus dem Umstand, dass fast jeder, dem sie begegnet, die Nähe ihres berühmten Vaters sucht und nicht die der nur durchschnittlich begabten Sopranistin. Hinterlistigen Verrat vermutet sie auch bei allen Jungs, die um ihre Gunst werben, womit sie bisweilen jeglichen Instinkt für ehrlich gemeinte Zuneigung verliert. Seelisch nicht weniger versehrt, das offenbart der Film allmählich, ist ihre (von Agnès Jaoui leicht versnobt gespielte) Gesangslehrerin. Hin und her gerissen zwischen Ehrgeiz und Selbstzweifeln, entdeckt sie den pädagogischen Eifer erst, als sie von der glamourösen Herkunft ihres Zöglings erfährt.

Obwohl Lolita die plötzliche Verwandlung ihrer Lehrerin bemerkt, lechzt sie nach deren Anerkennung und stellt sie dem Vater vor. Der nimmt sich geschmeichelt sogleich ihres Ehemannes an, eines nur mäßig bekannten Literaten, der prompt zu seinem besten Freund mutiert und dafür mit unverhoffter Aufmerksamkeit seitens der Medien belohnt wird. Liebesleid undankbarer Töchter, Ehekrisen, Intrigen rivalisierender Romanciers und deren Neurosen, die sie im Schoß ihrer Familien in pittoresken Landhäusern auskurieren – die vielen Puzzleteile ergeben in ihrer Summe eine schillernde Ansammlung von Szenen aus dem Leben des zwar materiell behüteten, aber umso mehr um Aufmerksamkeit buhlenden Personals. So wächst die vielstimmige Handlung allmählich zur Satire auf die Macht der Bilder und nicht zuletzt auf die des Pariser Intellektuellen-Milieus – angesiedelt rund um die Erotik der Publizität und den konformistischen Verbiegungen, die sich für manch einen daraus ergeben. Der Film spinnt ein feines Netz um die vielen Spielarten verborgener Abhängigkeiten.

Ins Kino ist das bewährte Paar Jaoui/Bacri vor allem durch Alain Resnais gekommen, für den Jaoui „Smoking/No Smoking“ (fd 31 016) adaptierte und für den sie gemeinsam „Das Leben ist ein Chanson“ (fd 33 072) verfasst und gespielt haben. Eine explizite Nähe zur Nouvelle Vague hatten sie nie bekundet. Umso mehr überrascht im Vorspann eine Widmung an Jean-Luc Godard. Viel eher hätte man bei dem Paar eine Vorliebe für Claude Sautet oder Woody Allen vermutet, weil die Figuren viel miteinander reden, sich dabei aber niemals zuhören. Stets machen sie sich ein Bild von den anderen, sind aber nicht imstande, die eigenen emotionalen Verirrungen zu erkennen. Wohltuender Weise begnügt sich der Film mit einer konventionellen Machart – keine erzählerischen Mätzchen stören den Blick auf das Innere der Figuren, kein selbstreferenzielles Fuchteln mit Regieeinfällen, dafür aber ein Ausweis von Menschenkenntnis, der in jedem messerscharf ziselierten Dialogaustausch als Subtext präsent ist. Auch die Diagnose einer zeitgenössischen comédie humaine lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig, doch eine Neigung zur Depression deswegen versagt sich die über weite Strecken wunderbar komische Charakterstudie entschieden. Momente der Stille und die chorale Musik schaffen die nötigen Kontrapunkte zum Diktat der Oberflächenreize, die unser heutiges Dasein bestimmen: Schönheit, Schlankheit und Erfolg als einzige Richtlinien im täglichen Miteinander. So ist es kein Zufall, dass sich allein die Figur von Jaoui als souverän genug erweist, der Heuchelei ihres Umfelds zu entsagen und die Partei von Lolita einzunehmen. Da gibt sich die Autorin persönlich zu erkennen und wechselt unmerklich den Ton von der Satire zur Gesellschaftsanklage. Am Ende ist nur eines sicher: Die Dinge des Lebens bleiben nicht so, wie sie scheinen, und gehören dennoch zu unserer Welt.

Kommentar verfassen

Kommentieren