Frankreich ist nicht nur das Land der Liebe, sondern auch das Land von Michelin, Gault Millau, Paul Bocuse, Champagner – und von Auguste Gusteau, dessen Fünf-Sterne-Restaurant, direkt an der Seine gelegen, den Blick auf den Eiffelturm versüßt. Der dickliche, sympathische Koch war zu Lebzeiten nicht nur den Reichen und Schönen sowie den mächtigen Gourmetkritikern ein Begriff, sein Einfluss reicht selbst nach seinem Tod buchstäblich bis in die kleinsten Winkel. Auch hinter den prall gefüllten Komposthaufen in einem Garten auf dem Lande, den eine alte Dame fleißig mit Leckereien von vor einer Woche füllt. Dort wohnt Remy mit seiner Familie und ein paar hundert mehr oder minder verwandten Artgenossen. Auch wenn er sich gegen seine Herkunft als Ratte nicht wirklich wehren kann, besteht er doch auf dem kleinen Unterschied, der ihn von seinen Artgenossen trennt: Er isst nichts auf sechs Beinen Dahergelaufenes oder in graugrünlichen Farben vor sich Hinschimmelndes, sondern bevorzugt gut Abgehangenes, fein abgeschmeckt und am besten mit gutem Wein dazu. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sowohl das Studieren des Kochbuchs von Gusteau als auch das Anschauen der TV-Show des Meisterkochs – Gott hab’ ihn selig – zu den Lieblingsbeschäftigungen der kleinen Ratte zählen; denn neben seinen köstlichen Kochideen ist es vor allem Gusteaus Grundeinstellung „Jeder kann kochen“, die Remy so ungemein ermutigend und sympathisch findet. So will es das Schicksal – unter maßgeblicher Mithilfe der geisterhaft aus dem Kochbuch entsprungenen „guten Fee“ Gusteau –, dass sich der nagende Gourmet von Feld und Familie trennt und direkt vor die Tür des Pariser Gourmet-Tempels gespült wird. Doch der Lack der ehrwürdigen Institution blättert seit dem Ableben des Maestros. Sein Nachfolger Skinner kann Gusteau nicht das Wasser reichen, und so purzeln die Sterne wie Herbstlaub. Es braucht eine gehörige Kraftanstrengung und viele Abenteuer, bis sich der Geister-Gusteau wieder beruhigt auf Wolke Sieben zurückziehen und der kleine Rattenfeinschmecker den Ruf von „Gusteau“ wieder herstellen kann – ausgerechnet zusammen mit dem untalentiertesten Mitarbeiter des Hauses, der Küchenhilfe Linguini.
Die Geschichten, die in den Pixar Animation Studios computergeneriert zum Leben erweckt werden („Toy Story“, fd 31 810; „Findet Nemo“, fd 36 237, „Cars“, fd 37 766), liegen alles andere als auf der Hand. Sie sind so abstrus und so schön, so weit hergeholt und so naheliegend wie die Märchen der Gebrüder Grimm – mit dem einen kleinen Unterschied, dass sie „leben“. Ihre Protagonisten – ein ungestümes Auto, ein selbstbewusster, aber unterentwickelter Fisch, ein in die Jahre gekommener Spielzeug-Cowboy – sind allesamt Helden ohne weiße Weste, deren Makel gleichzeitig Hemmschuh und Sympathietrumpf ist. Eine der größten Leistungen haben Drehbuchschreiber und Animatoren nun mit der Ratte Remy vollbracht: Der Racker ist für einen Vierbeiner, der sich normalerweise durch jeden Schlitz im Komposthaufen zwängen kann, erstaunlich groß; seine Ohren, die jeden Angriff von hysterischen Omas bereits aus sicherer Entfernung wahrnehmen können, sind trotzdem etwas überdimensioniert, sein aschgraues Fell ist viel zu kuschelig für die Kanalisation. Die riesigen Augen passen mit der zartrosa Knuddelnase perfekt in jedes Kindchenschema und ersticken jede Ratten-Phobie im Ansatz, sodass man, wenn man nach „Ratatouille“ aus dem Kino kommt, unwillkürlich nach den pelzigen Tieren Ausschau hält, um ihnen in der heimischen Küche ein neues Zuhause anzubieten. Das ist das wahre Geheimnis von Regisseur und Autor Brad Bird, der für Pixar bereits „Die Unglaublichen“
(fd 36 818) realisierte. Weniger die zugegebenermaßen wieder hinreißend perfekte 3D-Animation ist es, die den Zuschauer in den Bann zieht, als die Seele, die aus jedem Detail strömt. Hier geht es nicht um Naturalismus, hier geht es um Emotionen. Dazu gehört, neben der Beherrschung der Technik als Grundlage, auch der Mut, eine Geschichte ins Nebensächliche fließen zu lassen. „Ratatouille“ lebt von einer Leichtigkeit, die ohne Krampf und Sentimentalität unbeschwert zwischen Action, Comedy und Melodram changiert. Die beiläufige Sequenz, in der Linguini und Remy am Ufer der Seine zueinander finden, ist eine Sternstunde des Trickfilms, die alle Ingredienzien des Kinos exemplarisch auf vier Minuten komprimiert.
Ein Glück auch, dass die deutsche Synchronisation hier nicht durch prominente, aber untalentierte Star-Stimmen alles kaputtmacht – zwei Sätze von Tim Mälzer sind höchstens noch eine weitere Pointe.