Nach den heftigen Kontroversen um „Underground“
(fd 31 644) war Emir Kusturica so in seinem Stolz verletzt, daß er beteuerte, nie wieder einen Film machen zu wollen. Was immer seinen Groll inzwischen auch besänftigt haben mag, sollte nicht den Blick darauf verstellen, daß der jugoslawische Filmemacher von jeher das Paradox und die Emphase liebte. Seine bisherigen Filme leben vom rauschhaften Rhythmus, der scheinbar unüberbrückbare Gegensätze in einen rhapsodischen Strudel zieht und unter den Klängen einer delirierenden Musik zu mythischen Gestaden trägt, wo Tote und Lebende, Opfer und Täter, Feinde und Freunde im wilden Tanz zusammenfinden. Es ist daher kaum verwunderlich, daß er sich bei seinem „Neuanfang“ nach „Time of the Gypsies“
(fd 29 069) erneut dorthin zurückwendet, wo eine seiner Inspirationsquellen zu suchen ist: zur Kultur der Zigeuner, deren außergewöhnliche Vitalität, ihren Hang zum Kitsch und die Kunst, sich über alles lustig zu machen und nichts ernst zu nehmen er als Seelenverwandtschaft empfindet. „Schwarze Katze, weißer Kater“ sei der Film eines Anfängers, kokettiert Kusturica in Interviews, mit dem er sich von allem bisherigen befreien wollte; in Wahrheit aber ist es eine Art Zwischenbilanz, ein Innehalten, bei dem er sich seiner künstlerischen Mittel versichert und seine „Handschrift“ überprüft.Den Ausgangspunkt bildete die Absicht, einen Dokumentarfilm über Zigeuner-Musiker, die auf Hochzeiten spielen, zu drehen. Aber schon bald erweiterte Kusturica dieses Konzept um für ihn so typische groteske und absurde Szenen, daß er sich der Mitarbeit von Gordan Mihic versicherte, der bereits das Drehbuch zu „Time of the Gypsies“ schrieb. Herausgekommen ist eine sprühende, ausgelassene Tragikomödie voller Witz, Ironie und märchenhafter Zügen, deren pulsierender Einfallsreichtum jede Klassifizierung sprengt. Die erdbraun-warmen Bilder entführen in eine vibrierende Atmosphäre irgendwo an den Ufern der Donau, wo der Zigeuner Matko mit Schwarzhandel ein paar D-Mark verdient. Da er weder der wiefste noch der schlauste ist, läßt er sich von Dadan übers Ohr hauen, der alles im großen Stil abwickelt: Waffen, Drogen, Frauen. Nur seine kleinwüchsige Schwester, Ladybird genannt, hat der Gangster immer noch nicht an den Mann gebracht. Dafür soll nun Matkos verträumter Sohn Zare geradestehen, obwohl dieser schüchterne Gefühle für die junge Kellnerin Ida hegt. Auch Ladybird ist von der arrangierten Ehe keineswegs begeistert, wartet sie doch seit langem auf den einen, dessen Gesicht ihr im Traum erschienen war. Doch Dadans Wille ist Gesetz, und alles, was sich ihm in den Weg stellen will, wird beiseite geschoben – und sei es der am Hochzeitsmorgen verstorbene Großvater, der kurzerhand unter dem Dach auf Eis gelegt wird.Eine solche Nacherzählung ist in Kusturicas Fall mehr als in anderen Filmen eine fast grobe Fälschung, weil sie nicht nur den erzählerischen Reichtum der Bilder unterschlägt, sondern auch die filmische Struktur ignoriert, die nur in geringem Maße an einer narrativen Linearität interessiert ist. Natürlich unterliegt auch Kusturica dem Zwang, die vielen Nebenstränge einigermaßen schlüssig miteinander in Bezug zu setzen, doch zählt bei ihm der Augenblick, die Lust an Intensität und prallen Arabesken allemal mehr, was sein Kino manchmal gefährlich nahe an den Kitsch rückt, im Grunde aber aus einer großen strukturellen Nähe zur (Zigeuner-)Musik erwächst. Das Schwein, das im Lauf der „Handlung“ einen verrosteten Trabant auffrißt, beansprucht darin dasselbe Recht wie die ausgelassenen, nicht endenwollenden Hochzeitstänze, die fast ausschließlich von Laiendarstellern gespielten, extrem pittoresken Figuren oder die irrwitzig bis makabren Gags und Slapstick-Szenen. Lust und Trauer, wüste Gelage und lyrische Momente, echte Gefühle und großmäuliges Schwadronieren wechseln darin in atemberaubender Geschwindigkeit, ohne daß je das Gefühl für den Zusammenhang verloren ginge. Ganz im Gegenteil: Je länger und breiter sich das ausgelassene Treiben auf der Leinwand entfaltet, desto williger überläßt man sich ihm und kostet noch die letzte Sekunde des Nachspanns in der Hoffnung aus, es möge nicht enden.Die suggestive Wirkung beruht jedoch nicht ausschließlich auf der orgiastischen Verschmelzung von Form und Musik: Sie resultiert ebenso aus dem magischen Glanz einer ungeheuren Lebenslust. Das Unbehagen gegenüber einer solchen – ganz und gar nicht zweckrationalen – Haltung, das sich bei „Underground“ am politischen Sujet entzündete, findet in der fantastischen Fabuliererei einer nur noch lose mit konkreten Realitäten verknüpften Traumwelt keinen Anhalt mehr. Gleichwohl schimmern in Umrissen auch inhaltliche Themen durch das rauschhaft-flirrende Geflecht, die schon in früheren Filmen zu greifen waren: die Abgeklärtheit der Alten und eine verwaiste, aber in sich ruhende Jugend, die distanziert und skeptisch auf den Größenwahnsinn ihrer schwachen Väter schaut. Daß Dagan dort endet, wo ihn jeder sehen will – im Mistloch unter dem Plumpsklo –, darf durchaus als Kusturicas Kommentar auf seine Generation verstanden werden, wohingegen er Zare und Ida erneut ein Schiff besteigen und in eine Zukunft entschwinden läßt, die mehr verheißt als grenzenlose Betrügereien. Mit „Schwarze Katze, weißer Kater“, dessen listig verschlungener Titel auf die beiden Pole Glück und Pech verweist, ist Kusturica ein aufregend-amüsanter Film gelungen, der alle, die seine Art des Filmens genießen, in ein fiebrig-wildes Arkadien entrückt.