Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan

Science-Fiction | Deutschland 1997 | 118 Minuten

Regie: Rudolf Thome

Ein Gast aus dem fünften Jahrtausend kommt in die Gegenwart, um nach einer bestimmten Frau zu suchen. Gemeinsam mit ihr, einer Schriftstellerin, und einer weiteren Frau praktiziert er in einem Landhaus das utopische Ideal freier Liebe, bis ein eifersüchtiger Ehemann das Idyll zerstört. Der Film reflektiert im Gewand eines modernen Märchens über Lebenssinn, Harmoniebedürfnis und Todessehnsucht. Zunächst etwas schleppend, wird die Inszenierung zunehmend dichter, wobei Regisseur Rudolf Thome Motive und Konfliktkonstellationen seiner früheren Werke zitiert und paraphrasiert. Ein eigenwilliger deutscher Film. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Moana Film/WDR
Regie
Rudolf Thome
Buch
Rudolf Thome
Kamera
Carsten Thiele
Musik
Wolfgang Böhmer
Schnitt
Dörte Völz-Mammarella
Darsteller
Herbert Fritsch (Frank Mackay) · Cora Frost (Luise) · Valeska Hanel (Laura Luna) · Irm Hermann (Birgit Kirschstein, Verlegerin) · Rüdiger Vogler (Franz, Lauras Vater)
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Science-Fiction
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Er wirkt schon etwas merkwürdig, dieser Herr Frank, der plötzlich, wie aus dem Nichts, auf der Straße steht. Der feine Anzug nebst Weste und Schlips deutet auf einen kleinbürgerlichen Herrn hin, und dies um so mehr, als das Jackett nicht leger geöffnet, sondern dessen oberer Knopf wie bei einem standesbewußten Nachfahr von Knigge fest geschlossen bleibt. Auch die kerzengerade Haltung läßt Herrn Frank etwas kauzig erscheinen und seine Artikulation sowieso. Nur der strohblonde Schopf irritiert. Von straff gezogenem Scheitel keine Spur, statt dessen stehen die Haare munter ab, wie bei einem Punk, ganz im Gegensatz zum übrigen „Outfit“ des einsamen Passanten.

Ziemlich bald lüftet Rudolf Thome jedoch das Geheimnis seines Helden. Er kommt von weit her, aus einer fernen Zukunft, genauer gesagt aus dem fünften Jahrtausend, und er sucht nach einer Frau. Man kann ihn ja verstehen: In der Welt, aus der er kommt, sind zwar die Männer unsterblich, die Frauen aber vom Winde verweht, ein fataler Zustand. Hormonelle Veränderungen bleiben da im Laufe der Zeit nicht aus. Herr Frank verfügt zwar, zwischen seinen Schenkeln, noch immer über beste Manneskräfte (was sich im Laufe des Films auf wundersame Weise bestätigen wird), aber zugleich besitzt er die Sanftmut einer Frau, die Weichheit der weiblichen Stimme und eine „unmännliche“ Zärtlichkeit.

Herbert Fritsch, der an der Berliner Volksbühne öfters als knallharter Typ zu besichtigen ist (zum Beispiel in Frank Castorfs Version von „Clockwork Orange“), durfte in dieser Rolle alle Register eines liebenswerten Zwitterwesens ziehen. Das machte ihm sichtlich Spaß, wenngleich er den hinter meist unbewegter Miene verstecken mußte. „Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan“ wartet als utopisches Märchen auf. Rudolf Thome läßt es langsam, fast betulich beginnen, setzt seinen Film dann mit einem flotten kriminalistischen Intermezzo fort und kommt nach etwa einer Stunde endlich dorthin, wo der Film seine Sogwirkung entfalten kann: Eine Landvilla mit fünf Säulen – Fluchtburg und Traumhaus mitten in der Brandenburger Provinz. Es ist, wie das Auftauchen einer Schlange signalisiert, eine Art Paradies. Wobei Adam hier gleich zwei Evas an seine Seite bekommt: die Schriftstellerin Laura Luna und Luise, jenes Mädchen, das der Held gleich nach seiner Ankunft auf der Erde kennenlernte. Laura Luna ist Franks Wunschfrau; er hatte deren Roman gelesen und sich seitdem nach ihr gesehnt. Luise, obwohl frisch verheiratet, gesellt sich dem Paar dann einfach und konfliktfrei bei.

Was sich im Landhaus abspielt, könnte leicht als grüner Kitsch und Alt-Männer- Fantasie abgetan werden: Nacktbaden im See, Frühstück auf freiem Feld, Kuscheln zu dritt in sonnengelber Bettwäsche, stundenlanger Sex ohne Erschöpfungserscheinungen. Thome ist ein Barock-Mensch, man sieht es diesen Bildern an. Aber die schöne Oberfläche ist nur auf den ersten Blick glatt; bei näherem Hinsehen sind durchaus Risse, Brüche und Verwerfungen zu erkennen. Thome geht es nicht einfach darum, die Alt-68er-Utopie der freien Liebe noch einmal zu zelebrieren, sondern auch um Sinnkrisen, um das Erkennen und Korrigieren falscher Entscheidungen, um den Umgang mit dem Gefühl des Lebensüberdruß, um den Zusammenhang zwischen Harmonie und Potenz und umgekehrt – was sich nicht nur aufs Sexuelle, sondern auch aufs Ideelle bezieht. Dabei scheut sich der Regisseur nicht vor einfachsten Konstruktionen und unfreiwilliger Komik: so wird Laura Luna beispielsweise dank Franks befruchtender Anwesenheit in die Lage versetzt, in Windeseile ein neues Buch zu verfassen. Von höherem philosophischen Anspruch ist dagegen die Sehnsucht Franks, durch die Liebe wieder ein „richtiger“ Mensch zu werden, ein Sterblicher. Der Zukunftsgast erweist sich als ein Bruder der Engel in Wim Wenders’ „Himmel über Berlin“ (fd 26 452); Herbert Fritsch und Bruno Ganz betrachten die Welt sogar manchmal mit dem gleichen romantisch verklärten Augenaufschlag. Am meisten zitiert und paraphrasiert sich Thome allerdings selbst. Das Motiv der freien Liebe und der Suche nach einer totalen Idylle ist seit „Rote Sonne“ (1969, fd 17 237) fest in seinem Werk verankert. Eine Zeitreisende war erstmals in „Supergirl“ (1970) zu besichtigen: das ländliche Refugium unter anderem in „Tarot“ (1986, fd 25 802). Das hier verwendete Motiv der Wahlverwandtschaft nimmt auch in „Tigerstreifenbaby“ eine wesentliche Funktion ein: Schließlich ist es Luises gekränkter, gehörnter Ehemann, der dem Idyll ein schreckliches Ende bereitet. Rüdiger Vogler, einer der Hauptdarsteller aus „Tarot“, spielt in „Tigerstreifenbaby“ übrigens Lauras Vater, der seiner Tochter und ihren Freunden ohne Rücksicht auf die damit verbundenen finanziellen Einbußen das Landhaus überläßt. Aus den Tagen des „Jungen Deutschen Films“ zitiert Thome außerdem noch Irm Hermann herbei: für die Rolle der Verlegerin, die Lauras Produktivität glücklich-staunend zur Kenntnis nimmt.

Unmittelbar vor „Tigerstreifenbaby“ und in direktem Kontrast dazu drehte Rudolf Thome, fast mit denselben Hauptdarstellern, einen weiteren Film: „Just Married“: Eine Geschichte über das Scheitern einer Ehe an den Banalitäten und Verletzungen des Alltags. Während sich „Tigerstreifenbaby“ ausgiebig an der schönen Utopie labt, ohne etwa die Schmerzen von Luises Ehemann zu beleuchten, ist „Just Married“ aus dem Blickwinkel einer betrogenen jungen Frau erzählt: zügiger, härter, sarkastischer, aber genauso „einfach“. Mit beiden Produktionen erweist sich Thome, neben Herbert Achternbusch, als der letzte große Naive des deutschen Kinos, als ebenso eigenbrötlerischer wie freier Geist. Es ist gut, daß es sie noch gibt: diese Naiven und ihre Filme.
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