Die Geschichte des tibetischen Bauernjungen, der als 14. Dalai Lama zum geistigen Oberhaupt des Buddhismus wird, das Land jedoch vor der Bedrohung durch das kommunistische China ins Exil verlassen muß. Faszinierende Bilder von geradezu magischer Anziehungskraft und ein selten ingeniöser Soundtrack stehen einer kühlen Hermetik des Stils und einem Drehbuch gegenüber, das unter dem Strich der geistigen Dimension des Stoffes nicht gewachsen ist.
- Ab 14.
Kundun
Biopic | USA 1997 | 134 Minuten
Regie: Martin Scorsese
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Filmdaten
- Originaltitel
- KUNDUN
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1997
- Produktionsfirma
- Cappa/De Fina Prod.
- Regie
- Martin Scorsese
- Buch
- Melissa Mathison
- Kamera
- Roger Deakins
- Musik
- Philip Glass
- Schnitt
- Thelma Schoonmaker
- Darsteller
- Tenzin Thuthob Tsarong (Dalai Lama als Erwachsener) · Gyurme Tethong (Dalai Lama, 12jährig) · Tulku Jamyang Kunga Tenzin (Dalai Lama, fünfjährig) · Tenzin Yeshi Paichang (Dalai Lama, zweijährig) · Tencho Gyalpo (Mutter des Dalai Lamas)
- Länge
- 134 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Biopic
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Amerikaner zeigen sich oft fasziniert von der philosophischen Dimension des Buddhismus, ohne sich große Mühe zu geben, dessen spirituelle Tiefen wirklich zu ergründen. Hollywood seinerseits fühlt sich angezogen von den spektakulären Manifestationen asiatischer Riten, kommt bei deren filmischer Darstellung jedoch selten über ein äußerlich farbenprächtiges Porträt hinaus. Erst kürzlich reduzierte Jean-Jacques Annauds „Sieben Jahre in Tibet“ (fd 32 838) die Begegnung des österreichischen Bergsteigers Heinrich Harrer mit dem jugendlichen Dalai Lama zu einer starorientierten, wunderschön fotografierten Abenteuergeschichte. Von Martin Scorsese, der seinen Film über den jungen Dalai Lama zur gleichen Zeit gedreht hat, erwartete man anderes. Anders, das sei zugestanden, ist der Film tatsächlich ausgefallen – doch hochgesteckte Hoffnungen erfüllt auch er nicht.„Kundun“ beginnt mit der Suche der Mönche nach der 14. Reinkarnation Buddhas unter den Menschen. Weit entfernt von Lhasa, im tibetischen Farmland nahe der chinesischen Grenze stoßen sie auf den zweijährigen Sohn eines Bauern, der in seiner kindlichen Verspieltheit deutliche Hinweise erkennen läßt, daß er der Gesuchte ist. Der Junge wird nach Lhasa gebracht und geduldig, aber unnachgiebig auf die Aufgaben vorbereitet, die ihn erwarten. Der Film braucht vier verschiedene Darsteller – alle sind Tibeter – für die verschiedenen Altersstufen, bis der Dalai Lama zum Schluß 24 Jahre alt ist und nach langem Zögern ins indische Exil geht, wo er heute noch lebt. Das kommunistische China, zu dessen Führer Mao Tse-tung der Dalai Lama skeptisch und vorsichtig Kontakt aufgenommen hatte, um das Schlimmste zu verhüten, hat das tibetische Volk brutal unterjocht, seine Klöster zerstört und seinen Glauben als „Opium für das Volk“ verhöhnt.Scorsese konzentriert sich auf die Person des heranwachsenden Dalai Lamas. Er tut das so ausschließlich, daß sogar die politischen Verhältnisse eine Randstellung einnehmen, bis schließlich deren gewalttätige Präsenz unweigerlich die Mauern von Lhasa durchdringt. Im Mittelpunkt also, wäre zu vermuten, muß die spirituelle Edukation des 14. menschgewordenen Buddhas stehen. Sie ist in der Tat das Zentrum des Films, doch auf eine merkwürdig äußerliche, nur selten in das philosophische Zentrum der buddhistischen Religion vordringende Art. Der gelungenste Teil des Films, der auch den Betrachter am stärksten einbezieht, ist der Anfang: eine ebenso bildkräftige wie geheimnisvolle Beschreibung der ersten Konfrontation eines geborgenen, alle Tugenden und Untugenden seines Alters offenbarenden Kindes mit den tieferen Dimensionen seiner persönlichen Existenz. Auch nach der Ankunft in Lhasa ist der Film immer noch voll hinreißender visueller Panoramen, voll kenntnisreicher Bezüge auf die Hintergründigkeit buddhistischer Riten, voll Aufmerksamkeit für die täglichen Irritationen eines jungen Geschöpfes zwischen Mensch und Gottheit. Doch er nähert sich dem Objekt seines Interesses mit seltsamer Kühle, fast mit der Distanz eines Dokumentaristen, der vor jeder Dramatisierung zurückscheut. Je länger der Film dauert, um so mehr fühlt man sich auf Bilder und Zeichen verwiesen, deren Magie zwar das Auge erreicht, aber nicht mehr die emotionale Anteilnahme. Es ist, als ob sich eine faszinierende Geschichte vor einem aufbaue, die man staunend wahrnehmen darf, in die man aber nicht hineingelassen wird.Viel von dieser eigenartigen Hermetik hat damit zu tun, daß zwischen Stil und Drehbuch eine Kluft besteht, die bis zum Schluß nicht überwunden wird. Die optische Magie des Films findet nämlich keinerlei Entsprechung in der vereinfachend-naiven Art, wie Melissa Mathison diese Geschichte erzählt, die nur zu Anfang offen ist für die Wunder und Mysterien, von denen sie eigentlich berichten müßte. Mathison hat sich einen Namen gemacht als Autorin von „E.T. – Der Außerirdische“ (fd 23 743) und „Der Indianer im Küchenschrank“ (fd 31 674). Mit dem ungleich komplexeren und anspruchsvolleren Sujet von „Kundun“ hat sie weitaus weniger Glück. Ihre Dialoge sind papieren, und die geistigen Dimensionen von Buddhismus und Kommunismus bekommt sie nicht einmal ansatzweise in den Griff. Es hilft nicht, daß Scorsese zudem bei einer distanzierenden Karikatur Maos Zuflucht sucht, den er darstellen läßt, als ob es sich um eine chinesische Genrekomödie handle. So stehen sich denn in der zweiten Hälfte des Films unvereinbare Gegensätze gegenüber: apokalyptische Bilder von der blutigen Unterdrückung des tibetischen Volkes und ein eitler, in Schlagzeilen daherredender Popanz, dessen historische Bedeutung an keiner Stelle erkennbar wird. Wo immer auch sonst sich der Film auf seine Dialoge verlassen muß, ist er auf verzweifelte Weise verloren. Buddhistische Philosophie erschöpft sich in Gemeinplätzen wie „Wir müssen uns selbst befreien, wir werden nicht befreit“ oder, angesichts der plärrenden, allgegenwärtigen Musik der kommunistischen Invasoren, „Sie haben unsere Stille zerstört“ (Zitate nach der Originalfassung). Letzterer Ausspruch macht nur um so deutlicher, was dem Film allzu häufig fehlt: Stille. Die introspektive Ebene und das Drama eines geknechteten Volkes, die beide auf der Leinwand nur ungenügend spürbar sind, werden allerdings auf einzigartige Weise aus den Lautsprechern nachgeliefert. Das Ereignis von „Kundun“ heißt nicht Martin Scorsese, sondern Philip Glass. Dessen Musik vermittelt all das, was der Film ansonsten vermissen läßt. Lichtjahre entfernt von den illustrativen Kompositionen eines John Williams oder John Barry entwickelt sie nicht nur eine höchst individuelle Tonsprache, sondern auch ein geistiges Konzept, das die Geschichte von „Kundun“ bewegender erzählt als der Film selbst. Es muß Scorsese hoch angerechnet werden, daß er der Musik gleichberechtigten Rang eingeräumt, ja sogar ganze Passagen nach ihrem Duktus gestaltet hat. Was freilich nichts an dem bedauerlichen Eindruck ändert, daß der Soundtrack sein Sujet besser reflektiert als der Film. (Mit Glass’ Musik beschäftigt sich der Beitrag auf Seite 40.)
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