Loblied auf einen selbstsüchtigen Nazi, purifizierte Bergsteiger-Story oder spirituelles Bekehrungsdrama? "Sieben Jahre in Tibet" liefert von allem ein bißchen, kann sich aber für nichts entscheiden. Brad Pitt spielt Heinrich Harrer, den legendären und von der neuesten Forschung politisch angekratzten österreichischen Bergsteiger. Mehr als alles andere ist "Sieben Jahre in Tibet" ein Brad-Pitt-Film geworden. Mit gebleichtem Haar und (im amerikanischen Original) dickem Akzent drängt er sich in nahezu jede Einstellung, seinen Verehrern auch als arroganter Arier generös austeilend, was sie von ihm erwarten: sein unwiderstehliches Lachen und seine blanke Brust. In den Schatten verweist ihn eigentlich nur der 14jährige Sohn eines Diplomaten aus Bhutan, der die Rolle des jugendlichen Dalai Lamas spielt: eine Offenbarung an Ehrlichkeit, Spontaneität und kindlicher Spiritualität - krasser Gegensatz zu dem angelernten Glamour des Hollywood-Stars, der selbst verschmutzt und zerlumpt und angeblich am Ende seiner Kräfte immer noch Brad Pitt bleibt.Pitts Charisma steht in merkwürdigem Kontrast zu der Rolle, die er spielt. Denn der junge Heinrich Harrer ist kein Sympathieträger. Der Film führt ihn sogleich als egozentrischen Karrieristen ein, der seine hochschwangere Frau verläßt, um sich einer deutschen Expedition zum Nanga Parbat anzuschließen. Auch in der Gemeinschaft der Bergsteiger bleibt er ein Außenseiter. Die Eroberung des Berges mißlingt, und der ausbrechende Zweite Weltkrieg führt für die Expeditionsmitglieder in ein englisches Kriegsgefangenenlager. Dort in der Isolation beginnt Harrer, erste Vatergefühle zu entwickeln, und erfährt vom Scheidungsbegehren seiner Frau. Nach vielen mißlungenen Versuchen gelingt ihm die Flucht aus dem Lager. Gemeinsam mit dem ehemaligen Expeditionsleiter kommt er nach Tibet. Mit Geschick, Verstellung und mehr als ein paar Notlügen gelangen die beiden nach Lhasa, der verbotenen Stadt. Es dauert nicht lange, bis der heranwachsende Dalai Lama auf Harrer aufmerksam wird. Er hofft, der Europäer könne ihm die tausend Fragen beantworten, die ihn beschäftigen, und die nichts mit der buddhistischen Philosophie zu tun haben. Harrer erweist sich als nützlich, bastelt ein Radio und baut dem Dalai Lama sogar ein richtiges Kino. Er erliegt der Faszination seiner Umgebung und beginnt gleichzeitig, in dem jugendlichen Dalai Lama ein Surrogat für den verlorenen eigenen Sohn zu sehen."Sieben Jahre in Tibet" gibt sich Mühe, so authentisch wie möglich zu sein. Obgleich aus finanziellen und politischen Gründen in den Anden statt im Himalaya gedreht werden mußte, sieht alles ganz echt aus. Annaud ließ sogar 100 tibetanische Mönche importieren, um sein Lhasa an der argentinisch-chilenischen Grenze mit Authentizität auszustatten. Schon in seinen früheren Filmen hat er bewiesen, daß er mit Landschaften umgehen kann. Auch hier sind die Panoramen der kargen Hochgebirswelt das Beste, was der Film zu geben hat. Die Wandlung Heinrich Harrers vom arroganten Egoisten zum Menschenfreund bleibt hingegen in abstrakten Dialoghinweisen stecken. Annaud läßt die Story so ungehindert ausufern, daß der Zuschauer längst jedes Interesse an der Psychologie des blonden Helden verloren hat, bevor die eigentliche Handlung losgeht. Viel von dieser Unkonzentriertheit ist aber auch dem Drehbuch zuzuschreiben, das kaum Anlaß liefert, etwas anderes als eine Neuauflage der exotischen Hollywood-Epen der 50er Jahre zu inszenieren. All der äußere Aurwand erweist sich letztlich als verschenkt. Weder die historischen und politischen Implikationen, die zur Besetzung Tibets durch Maos chinesische Kommunisten führen, werden aufgearbeitet, noch vermittelt der Film auch nur einen Hauch von dem spirituellen Reichtum der buddhistischen Religion. Jeder Ansatz zur Vertiefung bleibt in hohlen Sprechblasen stecken, die peinlich an amerikanische Seriengeschichten vom Schlage "Kung Fu" erinnern. Wer sich für das Sujet interessiert, ist nach wie vor besser beraten mit Frank Capras 60 Jahre altem Film "In den Fesseln von Shangri-La" (wohlgemerkt nur in der ungekürzten Fassung) oder sollte lieber auf Martin Scorseses "Kundun" warten.