Es gibt Tabus, die zerstört werden müssen, wenn wir nicht ewig daran würgen sollen." Falsches Betroffenheitspathos oder ästhetische Verbote haben George Tabori nie in Bann geschlagen. Sein erstes Theaterstück auf deutschen Bühnen,
"Die Kannibalen" 1969 in Berlin, handelte von der Ermordung seines. Vaters Cornelius im Konzentrationslager,
"My Mother's Courage" 1979 in München davon, wie es seiner Mutter Elsa gelang, aus dem Todeszug nach Auschwitz zu entkommen. Statt elegischer Trauer oder wütender Attacken setzte der 1914 in Budapest geborene Tabori auf Ironie und Sarkasmus, provozierte mit seiner Verbindung von Tragikomödie und Judenvernichtung, die nicht nur bürgerlichem Kunstgenuß schwer im Magen lag. Wenn man anerkenne, daß der Inhalt eines jeden Witzes eine Katastrophe sei, so Tabori, läge die Umkehrung nicht fern: Todernstem im Witz und mit (Galgen-)Humor zu begegnen. Die ironisch-skeptische Distanz, die eine solche Haltung der Wirklichkeit gegenüber erlaubt, hat den Stoff wohl auch für Michael Verhoeven interessant gemacht, der Taboris 1981 veröffentlichte Erzählungfassung
"Mutters Courage" für die Leinwand adaptierte. Mit "Die weiße Rose"
(fd 23 649) und "Das schreckliche Mädchen"
(fd 28 168) teilt dieser Film die Beschäftigung des Regisseurs mit der Nazi-Zeit, geht aber weit darüber hinaus, als er dem Grauen hier nicht mit realistischen Mitteln, sondern denen der Groteske und des Slapsticks begegnet: Die erste deutsche "schwarze Komödie über den Holocaust".Ein Sommertag 1944 in Budapest: Elsa Tabori wird auf dem Weg zu ihrer Schwester von zwei alten, gebrechlichen Geheimpolizisten verhaftet. Sie sollen die liebenswürdige, herzensgute Frau von 60 Jahren zum Westbahnhof bringen, wo 4000 weitere Juden für die Deportation nach Auschwitz zusammengepfercht sind. Getreu ihrer Überzeugung, daß alles gut werde, wenn man nur brav sei, schlägt sie die Möglichkeit zur Flucht aus, als nur sie, nicht aber die Polizisten in der überfüllten Straßenbahn Platz finden. Auch in der dichtgedrängten Bahnhofshalle verliert Elsa ihre Gemütsruhe nicht, sondern ordnet sich folgsam in die Schar der Wartenden ein und beruhigt ein junges Mädchen namens Maria, das behauptet, keine Jüdin zu sein. Während die letzten Vorbereitungen für den Abtransport in Viehwaggons getroffen werden und der befehlende SS-Offizier dem Treiben gelangweilt beiwohnt, mustern Ärzte die Verhafteten und sondern Zwillinge und Behinderte für Menschenversuche aus. Parallel zur Beladung der Viehtransporter macht sich ein Zug mit Urlaubern reisefertig, die in die Sommerfrische fahren und bei Elsa wehmütige Erinnerungen wecken: an sonnendurchflutete Tage mit ihrer Familie, an ihren schon lange verhafteten Mann Cornelius, ihre Kindheit und ihren gütig-strengen Vater. Ohne Halt fährt der Todeszug dann bis zur Grenze, wo die unschuldigen Opfer in einem aufgelassenen Getreidespeicher auf den Weitertransport durch die Reichsbahn warten müssen. Obwohl sich Elsa keinen Illusionen über ihr Schicksal mehr hingibt, will sie den Schutz der Leidensgenossen nicht aufgeben, als sie von einem Bekannten zum Entkommen gedrängt wird. Erst als dieser sie vor das Gebäude schubst, ergreift sie ihre Chance und kann unter dem Vorwand, einen internationalen Schutzausweis zu besitzen, den SS-Offizier bewegen, sie und Maria mit nach Budapest zurückzunehmen. Dort ermöglicht er ihnen die Gelegenheit zur Flucht.Verhoevens Film beginnt mit der Sichtung von Verhöraufnahmen des SS-Offiziers und wahrt auch in seinem erzählerischen Teil die historische Distanz: durch Film-im-Film-Sequenzen der Dreharbeiten in Babelsberg, durch Tabori selbst, der die Geschichte seiner Mutter nicht nur schildert, sondern als Erzähler gelegentlich persönlich durch die Landschaft spaziert. Authentische Leidenserfahrung, erzählt und literarisch geformt vom Sohn, gebrochen in der Imagination des Regisseurs: Beide Elemente, die filmisch-fiktive wie eine quasi dokumentarische Vergegenwärtigung sind gleichermaßen akzentuiert. Mit großem Aurwand wurden historische Schauplätze rekonstruiert, mit Akribie und Detailverliebtheit die Atmosphäre der alten K.u.K.- Metropole beschworen, Taboris Erzählung um einige passende zeitgenössische Episoden erweitert, ohne daß dies besonders ins Auge fallen würde. Wesentlich auffälliger, gelegentlich auch fragwürdig, sind dagegen Verhoevens künstlerische Signale: die Anspielung auf Chaplins "Der große Diktator" (fd 7373), die Inszenierung von Bildern von George Grosz und Karl Hubbuch, optische Spielereien wie der Eindruck vom Judenstern-Meer, eine mitunter allzu erdrückende Filmmusik. Es sind dies Irritationen in der Art von Stolpersteinen, die einem bloß emotionalen Eintauchen in die Filmerzählung hemmend entgegenstehen und zur Reflexion auffordern. Was aber die grotesken Komödienmittel betrifft, so ist dies wahrscheinlich eine Frage des Humors: Nicht jeder kann oderwill darüber lachen, wenn Mitläufer asthmatisch und herzkrank sind, einem besonders pflichtversessenen Nazi-Schergen Wasser in die Tasche geleert wird, aus der er Kreidestücke verteilt, oder manche Vertreter der "Herrenrasse" ihrer eigenen Karikatur zur Ehre gereichen. Ohne das Wissen um die "jüdische" Autorenschaft Taboris und den authentischen Hintergrund der "Geschichte", die auf den Aufzeichnungen seiner Mutter beruht, wäre ein Maß an Banalisierung zu beklagen, das nichts mit der des Bösen, viel aber mit Trivialität zu tun hätte. So aber und durch die beeindruckenden darstellerischen Leistungen von Pauline Collins und Ulrich Tukur fällt das Komische nicht weiter ins Gewicht, ermöglicht vielleicht sogar wie die anderen Stolpersteine eine gebrochenere, emotionsfreiere Sicht: auf das noch immer Unbegreifliche, daß Millionen Menschen grundlos, aber mit eiskalter Systematik ermordet wurden. Vom komplizierten Räderwerk dieser Maschinerie jedenfalls, von schäumenden Rassisten, Kriegsgewinnern, schuldsüchtigen SS-Offizieren bis hin zu lammfrommen Opfern, die durch Erziehung und Sozialisation jeder Gegenwehr beraubt widerstandlos zur Schlachtbank geschleift wurden, vermittelt Verhoeven eine bedrückende Ahnung.