Drama | Frankreich/Belgien 2025 | 90 Minuten

Regie: Léonor Serraille

Nach einem Nervenzusammenbruch während des Unterrichts in einer Grundschulklasse wird ein überforderter Referendar krankgeschrieben und von seinem Vater aus dem Haus geworfen. Auf der Suche nach einem Obdach und menschlicher Nähe klopft er bei ehemaligen Freund:innen an. Als er miterlebt, dass auch andere Menschen mit dem Leben hadern, fasst er allmählich neuen Lebensmut. Der amüsante Film inszeniert ein facettenreiches Porträt verschiedener sozialer Milieus der Generation Y, das trotz der Berührung mit psychischen Krisen im Tonfall leicht und heiter bleibt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ARI | ARÏ
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2025
Produktionsfirma
Geko Films/Blue Monday Prod./ARTE France/PICTANOVO/Wrong Men
Regie
Léonor Serraille
Buch
Léonor Serraille
Kamera
Sébastien Buchmann
Schnitt
Clémence Carré
Darsteller
Andranic Manet (Ari) · Pascal Rénéric (Ari als Kind) · Théo Delezenne (Jonasa) · Ryad Ferrad (Ryad) · Eva Lallier Juan (Clara)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Im Tonfall heiteres Drama um einen jungen Lehrer, der seinen Job hinwirft und darüber zu einer Reise zu sich selbst gezwungen wird.

Aktualisiert am
19.03.2025 - 17:50:02
Diskussion

Ari (Andranic Manet) stolpert über Seepferdchen. Beim Versuch, den Kindern das Gedicht „L’Hippocampe“ von Robert Desnos näherzubringen, zieht es dem angehenden Pädagogen Ari den Boden unter den Füßen weg. „Zu viel Information“, mahnt die alarmierte Schulinspektorin, als der zunehmend panischere Referendar auf die sexuelle Uneindeutigkeit des Seepferdchens, André Breton und den Opiumkonsum der Surrealisten zu sprechen kommt. Die Kinder in der Klasse werden dabei immer lauter, Ari verliert die Nerven, und bald liegt er zusammengeklappt auf dem Fußboden.

Wie man wieder auf die Füße kommt

Auch in Debütfilm von Léonore Serraille, „Bonjour Paris“ (2017), steht eine Entgleisung am Anfang. Das Nervenkostüm der unberechenbaren Protagonistin Paula ist jedoch anders als das von Ari gestrickt. Bei dem zornigen Versuch, sich Zutritt zu der verschlossenen Wohnung ihres Ex-Freundes zu verschaffen, fängt sie sich eine Platzwunde ein. Was Ausgangspunkt für ein Borderline-Drama sein könnte, entwickelt sich zum Porträt einer jungen Frau, die mit erstaunlich biegsamen Manövern allmählich wieder Boden unter den Füßen gewinnt. Der jüngste Film von Serraille, die dazwischen auch noch das sich über zwei Jahrzehnte erstreckende Familiendrama „Mother and Son“ (2022) gedreht hat, folgt einer ähnlichen Dramaturgie. Sobald der Sturz in den psychischen Abgrund droht, meldet sich die Komik zu Wort. Der Ton bleibt auch in „Ari“ leicht.

„Eure Generation!“, stöhnt der Vater. In seinem 25-jährigen Berufsleben sei er nur drei Mal krank gewesen, hält er dem Sohn vor, als dieser von seiner Krankschreibung erzählt. Nach dem Rauswurf von zuhause driftet der junge Mann allein durch die Stadt. Unterschlupf findet er bei ehemaligen Freund:innen, zu denen er schon länger keinen Kontakt mehr hat. Serraille inszeniert diesen Reigen als ein facettenreiches Porträt verschiedener sozialer Milieus der Generation Y. Dazwischen finden sich flüchtige Erinnerungsmomente an die vergangenen Monate, die dezent eingeflochten werden.

Im Einwanderer- und Arbeitermilieu

Eine Freundin, die von Sozialhilfe lebt und den Dritten Weltkrieg nahen sieht, ist aus Überzeugung beschäftigungslos. Im Gespräch mit Ari bekommt ihr Lebensentwurf immer mehr Risse. Die Inszenierung ist darauf aus, jede Begegnung ins Schlittern zu bringen, indem sie dies an mal kritische, mal absurde Kipppunkte führt. Ein in der Finanzwelt tätiger Jugendfreund, dem Ari im Museum über den Weg läuft, kotzt sich beim gemeinsamen Essen über die Linke aus und provoziert mit Argumenten der politischen Rechten. Bei einer Party zu Hause putzt er Ari vor seinen Freunden herunter. Es kommt zum lautstarken Streit, der auf einem tiefsitzenden Klassenkonflikt gründet.

Serrailles Erzählungen entfalten sich nicht im bürgerlichen Milieu, das im französischen Kino nach wie vor bestimmend ist. Ein Einwanderer- oder Arbeiterklasse-Hintergrund ist bei der französischen Regisseurin so selbstverständlich wie die Berührung mit akademischen Kreisen. Dabei geht man unabhängig von der Herkunft ins Museum, macht Theater oder nennt sein Kind nach dem Sohn des symbolistischen Malers Odilon Redon.

Das Gespräch mit einem weiteren Freund weckt Erinnerungen an Aris verstorbene Mutter und an die kindliche Freude über Baby-Croissants. Beim Besuch einer Theaterprobe trifft Ari auch seine ehemalige Freundin Irène wieder. Die hatte er Jahre zuvor schwanger sitzengelassen, weil er sich von der plötzlichen Verantwortung überfordert fühlte. In einem Haus am Meer löst sich die Spannung. Die Erkenntnis, dass auch vermeintliche Erfolgsgeschichten auf unsicheren Egos gebaut sind und alle mehr oder weniger am Hadern sind, lässt Ari neuen Lebensmut fassen.

Ein Herz, auch außerhalb des Körpers

„Ari“ ist von einer sensitiven, mehr hingetuschten als vitalen Lebendigkeit. Die Kamera, stets nah an den Gesichtern, lässt jede noch so kleine Regung wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar werden. In Andranic Manet hat die Filmemacherin einen Darsteller gefunden, der zugleich Anmut und Kränklichkeit ausstrahlt. Ein hagerer Mann, die Wangen eingefallen, mit tief liegenden Augen, die strahlen oder ängstlich dreinblicken. Vor einem Gemälde entspinnt sich mit dem Museumswärter einmal ein schönes Gespräch über ein unidentifizierbares kleines rotes Ding. Was das nur sein könnte? Ein Stück Fleisch, eine Blume? Es könnte ein Herz sein, außerhalb des Körpers.

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