The Piano Lesson
Drama | USA 2024 | 125 Minuten
Regie: Malcolm Washington
Filmdaten
- Originaltitel
- THE PIANO LESSON
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Lord Miller/Netflix Studios
- Regie
- Malcolm Washington
- Buch
- Virgil Williams · Malcolm Washington
- Kamera
- Mike Gioulakis
- Musik
- Alexandre Desplat
- Schnitt
- Leslie Jones
- Darsteller
- John David Washington (Boy Willie Charles) · Samuel L. Jackson (Doaker Charles) · Danielle Deadwyler (Berniece Charles) · Ray Fisher (Lymon) · Michael Potts (Wining Boy Charles)
- Länge
- 125 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Verfilmung von August Wilsons Theaterstück um eine afroamerikanische Familie und Konflikte um ein geschichtsträchtiges Erbstück.
Für Beobachter mag das zentrale Musikinstrument im Film von Regisseur Malcolm Washington auf den ersten Blick wie ein handelsübliches Klavier anmuten. Doch hinter seinen Tasten verbirgt sich weit mehr – eine ganze Familiengeschichte. Für die Afroamerikanerin Berniece Charles (Danielle Deadwyler) ist die Erinnerung an diese Geschichte enorm wichtig, sie hält – komme, was wolle – daran fest. Auch wenn es eine schmerzhafte Geschichte ist: die Charles-Vorfahren waren Sklaven, die in Mississippi auf einer Plantage schufteten. Manifest ist diese Erinnerung in einer Holzgravur, die auf dem Piano prangt. Entwendet wurde es einst der Sklavenhalterfamilie, deren Oberhaupt, so wollen es Familienerzählung und der lokale Volksmund jedenfalls, seit dem Raub die Nachfahren als Geist heimsuche. Während das titelgebende Piano für Berniece die ganze Welt zu bedeuten scheint, hat ihr Bruder Boy Willie (John David Washington) damit anderes im Sinn: Er will das Klavier verkaufen, um mit dem Geld Land zu erwerben und zu bewirtschaften, um sein eigener Herr zu werden und nicht länger im Dienst von Weißen angestellt zu sein.
Geschichtsbewusstsein vs. Zukunftsschancen
„The Piano Lesson“ kreist also um einen Konflikt zwischen Geschichtsbewusstsein einerseits und dem Ringen um Zukunftschancen andererseits – zwei Dinge, die eigentlich miteinander vereinbar sein sollten, ja müssten. Dass hier daraus ein Dilemma wird, macht schmerzhaft deutlich, was Afroamerikanern auch nach dem Ende der Sklaverei in den USA lange an Entfaltungsmöglichkeiten versagt blieb. Angesiedelt ist der Stoff während der Depressionsära der 1930er-Jahre im US-amerikanischen Pittsburgh. Der Schriftsteller und Dramatiker August Wilson widmete der Stadt in Pennsylvania und ihren Bewohnern einen ganzen Zyklus, dessen Verfilmung mit den Spielfilmen „Fences“ und „Ma Rainey’s Black Bottom“ begann – prominent produziert von Denzel Washington. Im dritten Teil des Zyklus zeigt sich nun ganzes Familienhandwerk. Denn mit Malcolm Washington als Regisseur und John David Washington in tragender Rolle sind gleich zwei von Washingtons Söhnen an der Produktion beteiligt, deren beliebte Vorlage tiefe Verwurzelung in der afroamerikanischen US-Kultur hat. Ein weiteres prominentes Ensemblemitglied ist Samuel L. Jackson; er spielt Bernieces Onkel Doaker, bei dem die junge Mutter mitsamt ihrer Tochter Maretha (Skylar Aleece Smith) unterkommt. Doaker würde sich aus dem Bruder-Schwester-Konflikt um das Klavier am liebsten heraushalten.
Das brillante Ensemble trägt trotz Unübersichtlichkeit
Als Zuschauer von „The Piano Lesson“ hat man immer wieder das Gefühl, mitten hineinzuplatzen in einen unübersichtlichen und hektischen Familienstreit. Die Orientierungslosigkeit, in die Regisseur Washington sein Publikum zwischen wortreichen Streitkaskaden, die nebenbei die Familienerzählung preisgeben, versetzt, ist Teil einer Erzählstrategie, die nahe an der Dramavorlage verbleibt. Das filmische Szenario, das die erzählerische Einheit von Handlungsort, Zeit und Geschehen des Theaterstücks über weite Strecken einhält, ist zudem bevölkert von weiteren Figuren wie dem ehemals erfolgreichen Pianisten Winning Boy (Michael Potts), der mittlerweile ein tristes, beschäftigungsloses Dasein pflegt, dem angehenden Priester Boy Charles (Stephan James) und dem nach gesellschaftlichem Erfolg und Anerkennung strebenden Lymon (Ray Fisher). Jackson, Washington und Fisher traten bereits 2022 in einer Broadwayaufführung des Stückes zusammen auf, um nun in der Filmversion erneut vereint zu sein.
Es ist über weite Strecken das glänzende Ensemble von „The Piano Lesson“, das die bisweilen zur Unübersichtlichkeit neigende Verfilmung trägt. Diese stellt sich im Laufe der Handlung als waschechte „Southern Gothic“-Story heraus. Steht man als Zuschauer den Erzählungen über den Geist Sutters, des weißen Sklavenhalters und einstigen Besitzers des Pianos, zunächst mit einer im Realismus begründeten Skepsis gegenüber, stellt sich seine Präsenz schließlich auf dem gespenstisch-furchteinflößenden Höhepunkt des Films als handfest wie real heraus. Diese Horrorelemente gehören nicht unbedingt zu den stärksten Szenen von Washingtons Verfilmung, die vielmehr von ihrer poetischen Aufladung und emotional begründeten Familienmythologie lebt, die sich stellvertretend für das Leid so vieler afroamerikanischer Familien, deren Vorfahren versklavt wurden, in das kollektive Gedächtnis der Vereinigten Staaten eingeschrieben hat.
Dieser Tradierung verhilft Washington mit „The Piano Lesson“ zu einer eindrücklichen Bildgebung, der man eine Auswertung auf der Kinoleinwand durchaus gewünscht hätte. Zu Beginn des Films sind die Klänge des Pianos und die auf ihm gespielte Musik verklungen. Seit dem Tod von Bernieces Mutter traut diese sich nicht mehr, das Instrument zu berühren. Schließlich kehrt die Musik aber zurück ins Haus der Familie Charles, und es zeigt sich die Kraft, die vom Erzählen ausgehen kann – vom innerfamiliären Erzählen ebenso wie von der (Film-)Kunst und ihrer Fähigkeit, Empathie zu schaffen. Die am Ende zu sehenden Einstellungen hallen noch lange nach dem Sehen im Gedächtnis nach.