Die erste Nacht auf der Internationalen Raumstation ISS ist die schlimmste. Die Schwerelosigkeit, die Kira Foster (Ariana DeBose) als Neuankömmling tagsüber mit spielerischer Akrobatik bewältigt, wird zum Test ihrer Anpassungsfähigkeit, als sie das erste Mal ihr Privatquartier betritt. Die Schlaf- und Wohnkabine hat die Größe einer Telefonzelle. Wer nicht frei schwebend in ihr die Nacht verbringen will, bindet sich mitsamt des Schlafsacks an die Kabinenwand. Doch auch für den fixierten Körper gibt es im zeitlosen Orbit keinen Planeten, der ihn hält.
„I.S.S.“ von Gabriela Cowperthwaite beginnt als Film der Beklemmung. So herzlich die Crew Foster und ihren Kollegen Campbell (John Gallagher jr.) auch empfängt, so schnell zeigt sich das Leben jenseits der irdischen Heimat als schauderhafte Erfahrung. Auch die Labormäuse, die Kira von der Erde mit zur Raumstation gebracht hat, zappeln hilflos in der Schwerelosigkeit. Am nächsten Arbeitstag haben sich die ersten von ihnen bereits die Gliedmaßen abgebissen. Die Lebewesen der Erde können nicht ohne ihren Planeten existieren.
Das Unvorstellbare verstehen
Von der Kuppel der I.S.S. aus ist die Heimat in all ihrer Enormität zu sehen. Für die Crew ist der Blick auf die Erde ein transzendenter. Der Planet hat in seiner Gesamtheit keine Grenzen, ist Lebensraum und Heimat für alles Leben. Kira ist die Einzige, die das nicht zu fühlen vermag. Das drei russischen Kosmonauten sind amüsiert, dass die Neue die Schönheit nicht wahrzunehmen vermag. Doch als die Unerfahrenste unter den Raumfahrer:innen ist sie noch nicht an die Apparaten-Existenz auf der Weltraumstation gewöhnt. Kira ist auch die Einzige, die nicht nur die Lebensfeindlichkeit des Weltalls spürt, sondern die auch die auf der Erde wie im Orbit existierenden Grenzen zu sehen vermag.
Als erste beobachtet sie auch winzig erscheinende Explosionen auf der Erdoberfläche. Noch während sie mutmaßt, dass es wohl Vulkanexplosionen seien, ereignen sich weitere Explosionen, und die Crew beginnt das Unvorstellbare zu verstehen. Dieselbe Menschheit, die es ermöglicht hat, ihren Planeten aus der Ferne zu betrachten, hat die Fähigkeit entfesselt, diesen auch zu vernichten.
Die Crew der I.S.S. bezeugt die Apokalypse. Alles, was die Menschheit hatte, brennt. Kommandant Gordon Barrett (Chris Messina) lässt sofort die Sichtfenster schließen, muss aber bald darauf selbst für eine Reparaturmission die Station verlassen und sich dem Anblick der Erde stellen. Entsetzt verstummt er. Der Planet unter ihm steht in Flammen. Es ist ein Bild, das alles überschreibt. Den Weltuntergang im Rücken trudelt der Astronaut in Richtung seiner Reparaturmission.
Der Freund als Feind
Es ist eine fantastische Exposition, an dessen Ende die Welt in Flammen aufgeht. Doch „I.S.S.“ folgt seiner eigenen Prämisse nicht wie erwartet. Die unvorstellbare Erfahrung, hilflos um eine brennende Welt zu kreisen, findet für den US-amerikanischen Kommandanten Gordon ein jähes Ende, als sein russischer Kollege Nicholai (Costa Ronin) den Außenkran der Raumstation nutzt, um ihn in die Leere des Alls zu stoßen. Die Raumstation, die nach dem Ende des Kalten Krieges die verfeindeten Supermächte symbolisch zusammenbrachte, verwandelt sich nun, da die Erde weitgehend vernichtet ist, zu einer Art letzter Kriegsschauplatz.
Die Frage, die sich bald stellt, ist nicht mehr „Wie umgehen mit dem Ende der Welt?“, sondern „Wie umgehen mit dem Feind, der eigentlich Freund ist?“. Gordon und Nicholai, die Anführer beider Nationen, haben Anweisung von der Erde erhalten, die Kontrolle über die Raumstation mit allen Mitteln an sich zu reißen. Einer von ihnen treibt hilflos dem Nichts entgegen, der andere lässt sich erst mal nichts anmerken. Die Crews belauern sich.
Der um dieses Misstrauen gestrickte Thriller testet die Loyalitäten der sechsköpfigen Crew aber nicht allein entlang der Nationalitäten. Gordon hat eine Liebesaffäre mit Kosmonautin Weronika (Masha Mashkova), die aber eher der einzigen anderen Frau an Bord, sprich Kira, vertraut, als dem Brüderpaar Nicholai und Alexey (Pilou Asbæk), die ihrerseits aneinandergeraten, als der eine von den brutalen Methoden des anderen erfährt. Es ist eine notwendige Verkomplizierung. Doch obschon niemand einfältig genug ist, sich ganz dem Ost-gegen-West-Kriegsaufruf zu verschreiben, der die Vernichtung aller bekannten Lebensgrundlagen mit sich gebracht hat, lässt sich das Geschehen auf der Raumstation weder spieltheoretisch noch figurenpsychologisch erschließen.
Das nukleare Feuer
Das Hauptproblem, das „I.S.S.“ als Thriller hat, der sich nicht der existentiellen Verzweiflung widmen will, die ein planetenweites Flammenmeer im Hintergrund erzwingt, ist ein anderes. Das Vordergründige, dem sich der Film verschreibt, ist schlichtweg nicht allzu spannend. Die sechs Menschen, die, zusammengepfercht in der Raumstation, sich belauern, lösen die apokalyptische Konfliktlage mit eher profanen Mitteln. Die Crew versucht, die Sache auszudiskutieren, muss sich aber eingestehen, dass selbst dort, wo die Koexistenz geklärt scheint, wo man zusammen Sandwiches schmiert, die Blicke mit Sorge und Misstrauen auf die dafür benutzten Messer fallen. Der Mensch und nicht das All ist die eigentliche lebensfeindliche Kraft. Vielleicht verdeutlicht dies das nukleare Feuer besser als das Brotmesser.