Perfect Days

Romain Antony | 13.01.2024

cf. auch Filmblog: www.filmekommentieren.wordpress.com Der Film hat uns beiden gut gefallen. Meine Begleitung meinte, sie habe von Wenders nur gute Filme gesehen und das waren nicht wenige. Ich neigte dazu ihr zuzustimmen. Bis auf Kurz- und Episodenfilme und einige Dokus, habe ich sie auch fast alle gesehen. Und dann fielen mir doch zwei Filme ein, mit denen ich wenig anfangen konnte, und ein dritter der mich verwirrt und verstört aus dem Kino gehen ließ. Ich möchte die Titel nicht erwähnen. Ich möchte meine positive Sicht auf Filme, die mir gut gefallen haben, aufrecht erhalten. Dem Kritischen, den Negativismen wird zu viel Raum eingeräumt, dabei kommt das Positive meist zu kurz, wohl weil sich negative Emotionen tiefer in unser Gedächtnis einspeichern. Folgerichtigerweise sollte es darum gehen, notwendige Kritik gemäßigt zu veröffentlichen und sie nicht mit Empörungsäußerungen zu verbinden, denn sonst breitet sich der Negativismus weiter aus wie ein ansteckendes Geschwür und beeinträchtigt langfristig unsere Zuversicht. Ich will positiv bleiben, die Aufmerksamkeit beim Guten, Beachtenswerten belassen, so z.B. „Paris, Texas“, ein Film, nach meinem Sehverständnis über die Liebe und über den Verlust der Liebe, ein Film den man Vätern im Sorgerechtsstreit, mit Unterhaltszahlungsverweigerung und im Nachscheidungskampf um Wiederherstellung gekränkter Ehre auf Kosten der Kinder, zeigen müsste. Mir fallen Wenders frühen Filme ein: „Alice in den Städten“, „Falsche Bewegung“, „Im Lauf der Zeit“ , kann mich kaum noch an sie erinnern, aber die Erinnerung an meine Begeisterung ist jetzt noch klar präsent und wie wir sie als junge FilmliebhaberInnen gemocht haben. Ich bekomme Lust, sie mir noch einmal anzusehen.Und dann gibt es Bilder, die sofort da sind, wenn man den Titel „Der Himmel über Berlin“ hört, ein hockender Engel neben der Viktoria auf der Siegessäule, geflüsterte, verfilmte Handke-Literatur, ein Peter Falk, der sich die Hände am heißen Kaffeebecher wärmt und überzeugend das erlebbare innere Glück beim Kaffeetrinken beschwört, beeindruckende Bilder und poetische Texte die Gedanken, der flüchtig ins Bild rückenden Menschen zusammenfassend. Einfach super. Inzwischen habe ich allerdings zunehmend kritische Zeilen zum Film gelesen, von BesprecherInnen, die auch was zu sagen haben wollen, lassen wir sie nörgeln, hören wir nicht auf sie. Damals waren wir froh, dass der neue deutsche Film mit Wenders, Herzog, Fassbinder, Schlöndorff, Reitz, Kluge, Fleischmann, Sinkel, Hauff u.a. – einige hatten auch Sympathie für Pohland (super, die Böll-Verfilmung „Das Brot der frühen Jahre“), Syberberg, Praunheim, Schröter, Nekes und einige Regisseurinnen reüssierten auch dabei, May Spils mit „Zur Sache, Schätzchen“, Helma Sanders-Brahms mit der 68er-Thematik „Unter dem Pflaster ist der Strand“ (schön wär’s) und Margarete von Trotta. mit „Das zweite Erwachen der Christa Klages“, einer fiktionalen Dokumentation in Zeiten des bewegten „deutschen Herbstes“, Mitte bis Ende der 70er Jahre, das deutsche Kino auf Augenhöhe mit der Nouvelle Vague brachten. Es hatte wieder Anschluss an die genialen Produktionen der Weimarer Republik gefunden und konnte Nazi-Propaganda, lümmelnde und juckende Kumpels, Heide-Heimatge-Löns, grüne Bogenschützen mit hexenden Fröschen im Gasthaus an der Themse hinter sich lassen. Mit „Perfect Days“ wendet sich Wenders erneut dem einfachen Glück zu, dem Kaffee, der Musik, der Stille. Er beschwört das Glück, die Zufriedenheit , die sich finden lassen in dem Gefühl eine ordentliche (sic) Arbeit gut zu erledigen, der Pflege von Pflanzen und beim Zuschauen, wie sie wachsen, beim Tic-Tac-Toe-Spiel mit einer / einermUnbekannten, die / der den Spielzettel hinter einer Schrankwand in der Toilette versteckt hat, bei der Betrachtung des Lichtspiels in den Ästen des Baumes (Komorebi), fest gehalten durch Fotos, die in Dosen mit Jahresbeschriftung aufbewahrt werden. Das Lebensweise von Hirayama (Kôji Yakusho, Cannes Bester Darsteller 2023) ist gekennzeichnet durch eine Aneinanderreihung von Ritualen, die den Tag gestalten, Wiederholungen Tag für Tag des Gleichen. In den bekannterweise kleinen japanischen Wohnarealen wird das Futon zusammengelegt, werden jeden Morgen die Zähne geputzt, Nasenbart gestutzt, Gesicht rasiert, die Blumen bestäubt, der Blaumann mit der Rückenschrift Tokyo Toilets übergezogen, die Tagesaccessoirs -Schlüssel, Kleingeld, Fotoapparat… – von der Ablage in die Taschen verstaut. An der Hausschwelle wird strahlend der Blick in den Himmel gerichtet und der Tag frohgemut begrüßt. Ein Kaffee wird aus dem nahen Automaten gezogen, eine Musikkassette im Dienstwagen in den Player gedrückt. Wir hören während der Fahr auf Zubringergiganten, kilometerlang gewundenen Betontrassen, in Straßenschluchten die „Animals“ mit „The House of New Orleans“. In aller Frühe werden dann mehrere Toilettenhäuschen gereinigt, architektonisch bemerkenswerte Konstruktionen, von denen man den Eindruck hat, dass sie eigentlich nie verdreckt gewesen sind. Eine davon, aus Glas, gibt den Blick auf ihre Armaturen und die Klo-Keramik frei, verfärbt ihre Außenwand und wird undurchsichtig, wenn die Toilette von Innen abgeschlossen wird, verschwindet. Unrat wird in Plastiksäcke gestopft, Spiegel, Becken, Kloschüsseln werden geputzt, gewischt, Stangen, Ablagen, Röhren, Brausen, Wasserhähne, alles wird akribisch perfekt gesäubert. Sogar mit einem Handspiegel werden uneinsehbare Beckenrillen und Unterschränke inspiziert. Tokyos Toiletten werben im perfekten, glatt gewischten Film für eine schöne, neue Welt. Zum Schichtende taucht ein Mitarbeiter, ein Assistent Takashi (Tokio Emoto) auf, der seinen Putzrundgang an Hirayamas Toilettenareal beendet; man lernt einen Jugendlichen kennen, der es liebt, an Takashis Ohren zu ziehen, sie zu ertasten, zu fühlen und eine junge, blondierte Frau (Yumi Asō), die der Assistent gerne als Freundin gewinnen will, der er in seinem Rankingsystem eine Begehrenswertigkeit über 10 von 10 zu vergibt. Hirayama trifft fast an jeden dieser perfekten Tage einen verwahrlosten Obdachlosen, der seine Habseligkeiten mit sich führt und dem er bei Tai-Chi-Bewegungen zusieht. In seiner Mittagspause im Park blickt Hirayama auf eine junge Dame, die seinen Blick zögerlich erwidert. Eine kleine zierliche Pflanze wird ausgegraben und der Sammlung in der Wohnung zugefügt. Ein Feierabendvergnügen ist der Besuch im öffentlichen Bad mit ausgedehnter Reinigungszeremonie . Danach gibt es jedesmal ein, wie Wasser mit viel Eis, aussehendes Getränk, welches der Gastwirt, der in das Einkaufszentrum hin offenen Gaststätte, mit Fernsehübertragungen der japanischen Baseballliga, ihm unaufgefordert hinstellt, sowie ein bescheidenes Abendessen. Zuhause liest er, auf seinem Tatami liegend William Faulkner, danach Patricia Highsmith (vielleicht Hammet?). An seinem freien Tag fährt er mit seinem Fahrrad durch die Stadt, bringt die mit seiner in die Jahre gekommenen Olympus Zelluloid-Kleinbild-Kamera, geschossenen Schwarz-weiß-Bilder zum Kiosuku, holt die entwickelten Fotos ab, kauft sich wieder ein neues Buch, von Yukiko Kato (?), bringt seine Kleidung zum Waschsalon seine Kleidung und besucht Überbrückung der Wartezeit eine gegenüberliegende Bar. Dort ist er Stammgast seit über 5 Jahren. Die Besitzerin, eine ihm zugeneigte, freundliche Dame, singt auf japanisch das Lied vom Haus in New Orleans, während ein Gast sie mit seiner Gitarre begleitet. Später überrascht er sie, in die Kneipe vom Türspalt aus herein lugend, mit einem Mann im Arm, was ihn zu verstören und zum Kauf von Alkohol und Zigaretten zu verleiten scheint. Der Fremde stellt sich als ihr geschiedener Ehemann vor, der seine Ex sieben Jahre nicht gesehen hat und gekommen ist, um sich wegen einer nicht mehr behandelbaren Krebserkrankung von ihr zu verabschieden. Die beiden rauchen hüstelnd und ungewohnterweise, trinken aus mit Plop geöffneten Weißblechdosen und spielen Schattenspringen, nachdem sie geklärt haben, ob übereinander gelegte Schatten diese dunkler erscheinen lassen. Die von zuhause ausgebüchste Nichte (Arisa Nakano) taucht auf, begleitet ihn zwei Tage bei seiner Arbeit, hilft mit und fragt wann sie ihn wieder besuchen kann. Demnächst. Wann ist demnächst? Jetzt ist jetzt und demnächst ist demnächst, jetzt ist jetzt und demnächst ist demnächst, jetzt ist jetzt und demnächst ist demnächst. Die Nichte wird von ihrer Mutter, seiner Schwester abgeholt. Sie überreicht ihm für sein Bemühen um die Nichte Schokolade, die er so gerne mag und bittet ihn, den gemeinsamen Vater, dem es nicht gut geht, im Heim zu besuchen. Die akribische Erwähnung einzelner Abläufe in der Besprechung folgt dem Konzept des Films durch Wiederholungen alltäglicher und kleiner Details eine meditative Atmosphäre zu schaffen. Als Zuschauende wissen wir, was geschieht. Kleine Abweichungen durch diverse Perspektivwechsel verbunden mit gelegentlichen einmaligen Ereignissen erhalten die Spannung. Der Film lässt viel Platz für eigenes Erleben und Auseinandersetzungen mit dem Geschehen auf der Leinwand. Viele Geschichten bleiben offen. Wie geht es weiter mit der Besitzerin der Bar? Hat Takashi, der den Toilettenreiniger-Job gekündigt hat, Erfolg bei seinem Bemühen um die blonde Freundin? Weshalb weint diese, als sie Hirayama eine entwendete Musikkassette zurück gibt ? Welches Problem hat die Nichte Niko, wieso läuft sie von zuhause weg? Was ist in der Familie von Hirayama passiert, dass seine Beziehung zum Vater und zur Schwester so distanziert geworden sind? Wird es zu einem weiteren Tic-Tac-Toe-Spiel kommen oder zu einer Begegnung mit der Dame auf der Parkbank? Wir Zuschauenden sind frei uns diese Geschichten weiter zu erzählen. Und wir stellen uns möglicherweise wieder mal die Frage, was zum Glücklichsein beiträgt? Während des Nachspanns hören wir diesmal eine Instrumentalversion von Lou Reeds Song „Perfect Day“, welches vorher, so wie andere gefühlvoll ausgesuchte Songs die Abläufe im Film musikalisch paraphrasiert haben und wir werden darüber informiert, was das Spiel des Lichts in den Bäumen in Japan einen eigenen Namen trägt. Komorebi.