Dokumentarfilm | Frankreich/Japan 2022 | 109 Minuten

Regie: Nicolas Philibert

Die Adamant ist eine auf der Seine schwimmende Pariser Tagesklinik für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Im ersten Teil einer geplanten Trilogie wirft der Dokumentarfilm einen Blick auf den von kreativen Therapieansätzen bestimmten Klinikalltag. Im Zentrum des Films steht das Gespräch. Ein zugewandtes, wenn auch mitunter etwas idealisierendes Porträt, das das Miteinander von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zeigt – auf Augenhöhe und abseits der administrativen Mühlen eines Gesundheitswesens, in dem das Individuum oft nicht mehr gesehen wird. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SUR L'ADAMANT
Produktionsland
Frankreich/Japan
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
TS Prod./Longride
Regie
Nicolas Philibert
Buch
Nicolas Philibert
Kamera
Nicolas Philibert
Schnitt
Janusz Baranek · Nicolas Philibert
Länge
109 Minuten
Kinostart
14.09.2023
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Doku über den kreativen Ansatz einer Pariser Tagesklinik für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.

Diskussion

Wie eine Schachtel, die etwas Kostbares beherbergt, faltet sich die „Adamant“ allmorgendlich auf. Die 2010 eröffnete Tagesklinik für psychisch beeinträchtigte Menschen liegt am rechten Seine-Ufer vor Anker. Sobald die hölzernen Fensterverschläge des zweistöckigen Schiffs nach oben gefahren sind, treffen die ersten Patient:innen ein, um hier ihren Tag zu verbringen.

Das Miteinander von Menschen

Der Dokumentarist Nicolas Philibert interessiert sich in seiner filmischen Arbeit seit jeher für das Miteinander von Menschen und Menschen in Institutionen; das „mit“ und das „und“ sind ihm ein großes Anliegen. So gilt sein Blick nicht dem Systemtypischen (und auch nicht dem Systemischen wie bei Raymond Depardon, der gleich mehrere Filme in psychiatrischen Einrichtungen gedreht hat), sondern jenen Körperschaften, die – natürlich im Rahmen der institutionellen Möglichkeiten – das Menschliche ins Zentrum stellen. So porträtiert „Sein und Haben“ (2002) eine Dorfschule in der Auvergne. Der eigentliche Vorgängerfilm zu „Auf der Adamant“ ist jedoch „La moindre des choses“ (1995). Philibert begleitete darin in einer experimentell-psychiatrischen Klinik die Theaterproben für ein Stück, das alljährlich von Patient:innen und dem Pflegepersonal aufgeführt wird. Seine jüngste Arbeit „Auf der Adamant“, bei der Berlinale 2023 mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet, entstand in Zusammenarbeit mit der Psychoanalytikerin Linda de Zitta.

Jeden Morgen wird auf der Adamant („L’Adamant“ bedeutet: die Unnachgiebige, aber auch der Diamant) in versammelter Runde über das Tagesprogramm abgestimmt. In der Obhut des medizinischen Fachpersonals sollen die Patient:innen – Menschen aus den ersten vier Arrondissements – vor allem zu kreativen Therapie-Arbeiten angeleitet werden. Es wird gemalt, gezeichnet, genäht, gekocht, Musik gemacht und ein Filmclub betrieben, zudem gibt es ein gemeinschaftlich betriebenes Café. Wer betreut und wer betreut wird, ist nicht immer auf den ersten Blick auszumachen.

Die richtigen Stars

Philibert folgt keinem strengen Konzept und einer nur losen Dramaturgie. Seine Beobachterposition ist nicht nur wegen der begrenzten Räumlichkeiten unweigerlich teilnehmend; gleich am Anfang fragt eine Patientin neugierig nach dem Namen von Regisseur und Kameramann und verwickelt beide in ein Gespräch, bevor sie von ihrer eigenen Geschichte zu erzählen beginnt. Der möglicherweise im Raum stehenden Frage nach dem Zusammenhang von Psychiatrie und Film kommt ein Mann namens François zuvor: „Wir haben richtige Stars hier, besser als Filmschauspieler … Hier sitzen Schauspieler, die nicht merken, dass sie welche sind.“

Von den gegenwärtigen Lebensumständen der Menschen erfährt man nur wenig. Eine Frau, die Stimmen hörte, erzählt von ihrem bei einer Pflegefamilie untergebrachten Sohn, ein junger Mann berichtet über seine Sensibilität für Geräusche und erklärt die schützenden Kräfte einer um seinen Hals baumelnden Kette und eines Magneten. Anders als etwa in Sabine Herpichs ruhiger Beobachtung „Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist“ über eine Berliner Kunstwerkstatt für beeinträchtige Menschen ist „Auf der Adamant“ ein handlungs- wie wortreicher Film; nur selten sieht man die Menschen hier einmal länger in ihre Arbeit vertieft.

Das lebendige Gespräch

Philiberts Aufmerksamkeit gilt dem lebendigen Gespräch und dem Erzählen. Zwischen die Szenen montierte Einstellungen der Umgebung – Wasser, andere Schiffe, die vorbeiziehen und deren Bestimmung eine ganz andere ist – verorten die Institution in der Pariser Umgebung. Sie weisen auf eine Außenwelt hin, in der sich die schwimmende Tagesklinik ein wenig wie eine utopische Insel ausnimmt.

Auch wenn Philibert den Klinikalltag möglichst beiläufig einzufangen versucht, zieht es ihn doch immer wieder zu den charismatischen, etwas bohemistischen Künstlerfiguren. Der Maler, Musiker und Schriftsteller Frédéric erregt bereits auf dem Weg zur Einrichtung die Aufmerksamkeit der Kamera; mit unter den Arm geklemmten dicken Mappen tritt er bedächtigen Schrittes durch die Eingangstür. Schon früh hat er nach dem Vorbild von van Gogh zu malen begonnen, später kamen popkulturelle Einflüsse hinzu. Science-Fiction, Comics und Popmusik hätten ihn am Leben gehalten, sagt er; auch das Kino bedeutet ihm viel – und zu Wim Wenders Film „Paris Texas“ hat er seine ganz eigene Theorie.

Cinephilie ist auf der Adamant überhaupt ein wichtiges Moment. Bei dem zum zehnjährigen Jubiläum des Filmclubs veranstalteten Festival stehen „Achteinhalb“, „Eine amerikanische Nacht“ und „Quer durch den Olivenhain“ auf dem Programm.

Ein Plädoyer für das Miteinander

Philiberts Beobachtung eines zugewandten und offenen Psychiatriemodells lässt sich als ein Plädoyer für das Miteinander von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung verstehen – auf Augenhöhe und abseits der administrativen Mühlen eines Gesundheitswesens, in dem das Individuum oft nicht mehr gesehen wird. Wie schon in „Sein und Haben“ tendiert Philiberts Blick dabei ein wenig zur Idealisierung. Dass es in der Klinik zu Spannungen und Unzufriedenheiten kommt, wird bis zum Schluss aufgehoben. Umso leidenschaftlicher beschwert sich eine Patientin bei der Leitung über die Missachtung ihres Angebots, einen Tanzworkshop zu betreuen. Sie habe so viel zu geben.

Eine etwas umfassender Perspektive auf den Komplex Psychiatrie verspricht die angekündigte Fortsetzung einer geplanten Trilogie. In einem zweiten und dritten Film sollen einige der Protagonist:innen in psychiatrische Krankenhaus-Stationen und in ihr Zuhause begleitet werden.

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