Mr. Harrigan's Phone

Horror | USA 2022 | 104 Minuten

Regie: John Lee Hancock

Ein Teenager aus einem kleinen ländlichen Ort lässt sich von einem alten, schwerreichen Tycoon für Vorlese-Treffen engagieren, wobei sich allmählich eine besondere Freundschaft entwickelt. Doch als der alte Mann stirbt und der Junge ihm als Geste des Abschieds ein iPhone mit in den Sarg legt, kippt diese Beziehung ins Unheimliche. Die in den Hauptrollen gut gespielte Adaption einer Kurzgeschichte von Stephen King gibt als Coming-of-Age-Drama mit übernatürlichen Einsprengseln der Entwicklung der ungleichen Freundschaft viel Raum und widmet sich unaufgeregt den jugendlichen Konflikten. Erst mit dem Auftauchen unheilvoller Ereignisse kommt die werkgetreue Adaption etwas ins Schwimmen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MR. HARRIGAN'S PHONE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Blumhouse Prod./Ryan Murphy Prod.
Regie
John Lee Hancock
Buch
John Lee Hancock
Kamera
John Schwartzman
Musik
Javier Navarette
Schnitt
Robert Frazen
Darsteller
Donald Sutherland (Mr. Harrigan) · Jaeden Martell (Craig) · Kirby Howel-Baptiste (Miss Hart) · Joe Tippett (Craigs Vater) · Alex Bartner (Angestellter)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Horror | Literaturverfilmung | Mystery
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Im Mystery-Drama nach Stephen King schließt ein neugieriger Teenager aus einer Kleinstadt in Maine eine seltsame Freundschaft mit einem schwerreichen alten Mann. Als dieser stirbt und der Junge ihm sein iPhone mit in den Sarg legt, kippt die Beziehung ins Unheimliche.

Diskussion

Wieder ein neuer King! Ein Ausspruch, den viele Buch- und Filmfans gemein haben. Dass in den Worten sowohl aufrichtige Vorfreude als auch hörbares Augenrollen mitschwingen können, verwundert nicht. Denn mit großer Gewissheit kommt jährlich ein neuer Roman von oder eine neue Film- oder Serienadaption nach Stephen King auf den Markt – manchmal auch beides. Mit „Mr. Harrigan’s Phone“ setzt Regisseur John Lee Hancock eine King’sche Kurzgeschichte von 2020 für den Streamingdienst Netflix um und zeigt, dass der „King of Horror“ neben seinen einträglichen Schauernovellen auch andere Töne anschlagen kann.

Wer auf der Suche nach einem kurzweiligen Gruselschocker für die dunkle Herbstzeit ist, wird bei „Mr. Harrigan’s Phone“ nicht fündig werden. Hancocks Film entpuppt sich nämlich schnell als Coming-of-Age-Drama mit übersinnlichen Einsprengseln. Beinah ehrfürchtig hangelt sich der Regisseur und Autor an der Vorlage entlang und übersetzt Kings Worte in atmosphärische Bilder. Langsam steigen wir in die Lebenswelt des jungen Craig (Jaeden Martell) ein, der in einem ländlichen Dorf im US-Bundesstaat Maine aufwächst. Behütet durch den wachsamen, seit dem Tod der Mutter alleinerziehenden Vater, lebt der Junge einen routinierten Alltag zwischen Schule, Spielen mit Freunden und sonntäglichem Messbesuch. Bei letzterem darf sich Craig gegenüber seiner Gemeinde durch die wöchentliche Bibellesung beweisen – wodurch er die Aufmerksamkeit des rüstigen, schwerreichen Mr. Harrigan (Donald Sutherland) auf sich zieht.

Ein merkwürdiges Paar

Mit ruhiger Hand zeichnet Hancock das Wurzeln und Aufkeimen der Beziehung zwischen Craig und Mr. Harrigan. Craig soll seinem Arbeitgeber aus Romanen vorlesen. Hierunter finden sich Werke wie „Lady Chatterleys Liebhaber“ von D.H. Lawrence, „Dombey & Son“ von Charles Dickens oder „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß“ von Horace McCoy. Allesamt Werke, die man in der Kinderabteilung vergebens sucht. Harrigans Absichten bleiben hierbei vorerst im Unklaren, was Craigs regelmäßigen Besuchen einen unheilvollen Unterton verpasst.

Durch den gebrechlichen Körper, das schüttere, weiße Haar sowie das eingefallene Gesicht strahlt der ehemalige Geschäftsmann kaum physische Bedrohlichkeit aus. Doch dieser Eindruck verflüchtigt sich schnell angesichts der Art seines Auftretens. Bei jedem Treffen sitzt Sutherland erhaben in einem schwarzen Ohrenledersessel, akkurat gekleidet in schwarzem Anzug, Krawatte und polierten Schuhen. Die hellen Augen strahlen gleichermaßen Wachsamkeit wie Kälte aus, als hätten sie bereits vieles gesehen und als würde ihnen nie etwas entgehen. Gestützt auf seinen versilberten Gehstock wirkt Sutherland stets wie ein ausgemergelter Jagdhund, der trotz zahlloser Treibjagden immer noch bereit für den tödlichen Sprung ist, wenn es darauf ankommt.

Seine Vergangenheit bestätigt dies, war er in der Wirtschaftsszene doch als unangenehmer, gnadenloser Konkurrent angesehen. Eine eisenhart wirkende Erscheinung, geformt von Jahrzehnten ökonomischer Rationalität und Bärbeißigkeit, sodass man ihr kaum eine empathische Ader für andere zutraut.

Der Junge wird zum Jugendlichen mit Charakter

Doch genau diese offenbart der Greis gegenüber dem Jungen, wenngleich auf seine eigene Weise. Die Erwachsenenromane nutzt Harrigan indirekt, um Craigs Auffassungsgabe mit didaktischem Feinsinn auszutesten. Die Geschichten über Wirtschaftskrisen, Kolonialisierung oder Ehebruch fesseln Craig anfangs zunächst nicht sonderlich, durch die anschließenden Gespräche mit seinem Auftraggeber über das soeben Gelesene stellt der Junge jedoch einen gesellschaftskritischen Transfer zur Gegenwart her. So entwickelt sich der Junge langsam zu einem Jugendlichen mit Charakter, der sich und seine Umwelt ständig zu hinterfragen lernt. Eine Eigenschaft, die ihm für seine spätere Journalistenkarriere zuträglich sein wird.

Im Gegenzug leistet Craig dem alten Mann im Ledersessel Gesellschaft, die dieser trotz seiner abweisenden Fassade zu vermissen scheint. In diesen intimen Momenten zeigt Hancock sein Feingefühl für diese subtile und spezielle Beziehung, die er entschleunigt im ersten Filmdrittel aufbaut. Die unheilvollen ersten Eindrücke rücken hierdurch kurzzeitig in den Hintergrund, verflüchtigen sich beinah – bis das iPhone auf den Plan tritt.

Medienkritik

Bereits in der Textvorlage ließ King seine kritische Sicht gegenüber dem globalen Medienkonsum einfließen. Die belohnungsorientierte Abhängigkeit von Technologie und dem Internet gilt inzwischen wissenschaftlich als nachgewiesen, mitunter diskutabel eingestuft auf einer Höhe mit Glücksspiel und Drogenkonsum. Jedoch stoßen genau diese eingestreuten Einsichten sauer auf: Zu konstruiert legen King wie Hancock sie Mr. Harrigan in den Mund, der nach einem unerwarteten Geschenk von Craig (ein iPhone nach einem unverhofften Rubbellosgewinn) innerhalb von Sekunden das zukünftige Mediendilemma im reflektierenden Bildschirm deutet, ähnlich einem Hightech-Wahrsager in seiner Kristallkugel.

Trotzdem schafft es Hancock, mit seiner ruhigen Erzählweise auch die Probleme des heranwachsenden Craig in diesen medienmoralischen Konflikt einzubinden. Hauptaustragungsort hierfür ist eine neue Schule, an der sich der Neuling gegenüber fiesen Schlägern und statusorientierten Mitschülern behaupten muss. Als Triebmittel der meisten Konflikte fungiert das Anfang der 2000er-Jahre brandneue Tech-Wunderwerk „Smartphone“, dessen Multifunktionalität sich scheinbar keiner der Schüler entziehen kann. Die klassischen Cliquen von „Losern“ oder „coolen Kids“ definieren sich ausschließlich durch die Logos, die auf der Rückseite ihrer Handys prangen. Als Craig zu einem damals brandneuen iPhone kommt, sichert er sich so einen Stammplatz am „coolen Tisch“.

Außer Craig bekommt allerdings kaum ein Mitschüler wirklichen Charakter abseits bekannter Stereotypen verpasst; lediglich dem Schulschläger Kenny spendiert Hancock den Ansatz einer tragischen Familiengeschichte zwischen elterlicher Vernachlässigung und proletarischer Perspektivlosigkeit. Jaden Martell muss daher die meiste Laufzeit über allein die dramaturgische Last schultern. Das gelingt dem Jungschauspieler jedoch problemlos, egal, ob er nach einer Schlägerei beim Winterball blutend auf dem asphaltierten Parkplatz kauert oder verängstigt bei Mr. Harrigans Beerdigung zum Grab der eigenen Mutter späht.

Der Tod ist nicht das Ende

Die Thematik „Tod“ zieht sich wie ein roter Faden durch alle Zeitsprünge des Films. Sei es der frühe Verlust der Mutter oder das erwartbare Ableben von Mr. Harrigan: Der Tod etabliert sich als bestimmendes Element in Craigs Leben. Verarbeiten kann er diese Verluste nie wirklich. Hier erinnert der Film an King’sche Dramen mit ähnlichen Motiven, wie etwa „Stand by Me“ oder „The Green Mile“. Craig legt dem verstorbenen Mr. Harrigan das geschenkte iPhone mit in den Sarg; in verzweifelten Situationen ruft der Junge die Mailbox an, um sich die vertraute Stimme wieder ins Gedächtnis zu rufen, als erwarte er einen hilfreichen Rat von seinem Mentor, wie er ihn sonst bei den Vorlesetreffen bekommen hatte. Eine scheinbar harmloser, wenngleich eigensinniger Memorialritus, der jedoch etwas schließlich ins Unheimliche kippt. Denn als Craig sich aufgebracht über seinen Schulpeiniger Kenny auf Harrigans Mailbox entlädt, wird Kenny kurze Zeit später tot aufgefunden.

Ab diesem Punkt verkettet „Mr. Harrigan’s Phone“ Craigs Zukunft mit einem „Draht ins Totenreich“, wobei neben kryptischen Kurznachrichten aus dem Jenseits auch Taten für sich sprechen. Beim Aufbau wirklicher Schauerstimmung kommt der Regisseur jedoch ins Schwimmen. Die Mailbox-Morde inszeniert er zwar geschickt und brutal, jedoch mangelt es gelegentlich an unterschwelliger Bedrohung. Trotzdem beweist sich Hancock als „King-Versteher“, der mit „Mr. Harrigan’s Phone“ eine der vorlagengetreusten Adaptionen abliefert und nicht in die generische Gruselfalle tappt, die viele bei Kings Werken erwarten.

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