Drama | USA/Großbritannien 2022 | 136 Minuten

Regie: Noah Baumbach

Eine giftige Wolke stört Anfang der 1980er-Jahre den Alltag einer US-amerikanischen Akademikerfamilie. Der schöne Schein ihrer Vorstadtidylle ist damit dahin. Allerdings will das niemand so recht wahrhaben, weil sich die Situation beängstigend schnell wieder beruhigt. Die kongeniale Adaption des gleichnamigen Romans von Don DeLillo kreist erzählerisch und formal um einen bewegten Stillstand, bei dem viel passiert, obwohl kaum etwas geschieht. Ein groteskes Gesellschaftsbild, das mehr auf schlaglichtartige Verdichtungen und satirische Reflexionen als auf narrative Stringenz setzt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WHITE NOISE
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Passage Pic./A24/BB Film Prod./Heyday Films/Netflix Studios
Regie
Noah Baumbach
Buch
Noah Baumbach
Kamera
Lol Crawley
Musik
Danny Elfman
Schnitt
Matthew Hannam
Darsteller
Adam Driver (Jack Gladney) · Greta Gerwig (Babbette) · Don Cheadle (Murray Siskind) · Raffey Cassidy (Denise) · Jodie Turner-Smith (Winnie Richards)
Länge
136 Minuten
Kinostart
08.12.2022
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Komödie | Literaturverfilmung | Mystery
Externe Links
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Kongeniale Romanadaption um eine US-amerikanische Akademikerfamilie, die Anfang der 1980er-Jahren mit den Folgen eines Chemieunfalls ringt.

Diskussion

Es ist durchaus überraschend, dass ausgerechnet Noah Baumbach die Regie von „Weißes Rauschen“ übernommen hat. Mit seinem leichtfüßig inszenierten Drama „Frances Ha“ eroberte der Regisseur 2012 die Herzen der Großstadthipster auf der ganzen Welt. Da schien es einen Filmemacher zu geben, der die Außenseiter verstand, sie mit all ihren Schwächen umarmte und ihnen das Gefühl gab, dass es okay ist, wenn man am Ende des Tages wieder mal gescheitert ist. Die Millennials konnten in Baumbach ihren zeitgemäßen Woody Allen sehen.

Auch die anderen Werke von Noah Baumbach hatten etwas von dieser liebenswerten Nebensächlichkeit. Nie dominierte in ihnen ein abgehobener Intellektualismus. Immerzu fühlte man die Herzenswärme eines Geschichtenerzählers, der seine Figuren gernhat, egal ob er sich den bittersüßen Leiden der Adoleszenz widmete („Der Tintenfisch und der Wal“) oder Ben Stiller durch die Midlife-Crisis schickte („Greenberg“).

An die Wand gefahren

Dass ausgerechnet dieser Regisseur sich eines Romans von Don DeLillo angenommen hat, verblüfft allerdings. Schließlich ist der US-Schriftsteller nicht gerade für eine emotionale Figurenzeichnung bekannt; Gefühle sind nicht DeLillos Sache. Er ist ein Autor der grandios kühlen Analyse, die große gesellschaftliche Tiefenbewegungen in kongeniale Literatur übersetzt. Die Akteure seiner Bücher sind weniger Figuren als vielmehr Träger geschliffener Dialoge, die in ihrer präzisen parataktischen Reduktion über sich hinausweisen. Alles kann bei ihm als Meta-Kommentar gelesen werden.

Damit steht DeLillos Ästhetik quer zum bisherigen Werk von Noah Baumbach, dessen Geschichten eher um Identifikationsfiguren und ihre Neurosen herum gebaut waren. Auch in „Weißes Rauschen“ finden sich noch Reste dieser Neurosen, das Aufblitzen der typischen Baumbach-Figuren. Doch all das wird in die analytische Distanz einer Satire gerückt. Um es im Bild zu sagen: Dieser Film ist ein Unfall, der sich selbst an die Wand fährt und dabei lachend im Feuerball seiner nicht eingelösten Versprechen tanzt. Wir sollen beobachten, schauen und staunen, aber keineswegs fühlen.

Wer eine emotionale Ebene im Kino braucht, der wird mit diesem grotesken Gesellschaftsbild nicht glücklich werden. Wer sich allerdings auf schlaglichtartige Verdichtungen, satirische Reflexion und postmoderne Philosophie einlassen kann, der wird bei diesem Aufprall auf die Oberfläche der US-Gesellschaft durchaus etwas mitnehmen und überdies seinen Spaß haben.

Kaum von der Stelle gekommen

Um was es geht? Das lässt sich nur schwer zusammenfassen, weil die Geschichte ansetzt, abbricht, Nebenfiguren emporhebt und wieder fallen lässt, nur um sich am Ende kaum von der Stelle bewegt zu haben. Dieser bewegte Stillstand ist dann auch der Clou des ganzen Treibens.

Wenn man für einen Augenblick so tut, als gäbe es den Kern einer Geschichte, dann ginge es um eine ziemlich bürgerliche US-Familie Anfang der 1980er-Jahre und um eine Katastrophe, die ihren Alltag aushebelt. Da ist der Vater Jack (Adam Driver), der als Professor für Geschichte an der Universität lehrt. Er ist Hitler-Spezialist, hat die „Hitler-Studies“ begründet und steigert sich in seinen Vorlesungen in eine Rockstar-Prediger-Rolle hinein, die in den besten Momenten des Films die unheimliche Verführungskraft des Totalitären aufblitzen lässt.

Zu Hause fällt diese Exzentrik komplett von Jack ab. Oben auf dem Hügel, wo sich die Lehranstalt findet, schillert er. In den eigenen vier Wänden ist er hingegen nur der einfache Dad einer Patchwork-Familie, der seinen Bauch durch den Alltag schiebt. Die Beziehung zu seiner vierten Ehefrau Babette (Greta Gerwig) ist liebevoll, aber unaufgeregt geordnet.

Dann entgleist ein mit Chemikalien gefüllter Zug. Eine extrem giftige Rauchwolke wird freigesetzt, was die Evakuierung der Kleinstadt nach sich zieht. Die Folge davon ist ein eskalierender Stau, der gleichzeitig an Godards berühmte Plansequenz aus „Weekend“, aber auch an die Unfall-Ästhetik in David Cronenbergs „Crash“ erinnert, wenn die Protagonisten durch Glassplitter, verbogenes Blech und Menschenkörper wandern.

Im Grunde passiert nichts

Doch wer glaubt, dass fortan ein klassisches Narrativ durchgespielt wird, dem zieht der Film den Boden unter den Füßen weg. Denn es passiert im Grunde nichts. So schnell die Lage eskaliert, so unaufgeregt beruhigt sich alles wieder. Zwar glaubt Jack aufgrund des Giftes bald sterben zu müssen, und Babette nimmt weiterhin irgendwelche geheimnisvollen Tabletten, während sie unter tiefgreifender Vergesslichkeit leidet. Doch solange es noch den Supermarkt gibt, scheint alles in Ordnung zu sein. Oder etwa nicht?

Selbstverständlich lässt sich „Weißes Rauschen“ auch als Konsumkritik lesen, was dann allerdings nicht weit über kritische Allerweltsweisheiten hinausreicht. Der eigentliche Schlüssel für diesen Affront von einem Film, der nie zu einer Auflösung kommt, ist das Prinzip des Spektakels. Gleich in der ersten Szene doziert ein Popkultur-Professor über die erhabene Schönheit von Autounfällen in Spielfilmen. Deren Essenz liege nicht im Tod, sondern in der Versinnbildlichung der US-amerikanischen Sehnsucht nach Wachstum – der Unfall ist das Spektakel, der Pop, die schillernde Oberfläche. Alles muss immer und immer wiederholbar sein – nur dann kann man Geld verdienen. Das süße Versprechen dabei lautet: Die Kultur, the American Way of Life, kann selbst den Tod in Schönheit aufgehen lassen.

Dass das nicht so einfach ist, dass dieses Spektakel eine inwendige Angst erzeugt, eine Schattenwirtschaft aus Drogensucht und existenzieller Leere, davon handelt der Film „Weißes Rauschen“, der gleichzeitig clever genug ist, selbst das Spektakel an den entscheidenden Stellen ins Leere laufen und die Zuschauer unbefriedigt zurückzulassen.

Die Leere & die Wiederholung

Wenn am Ende durch die Gänge eines an das Werk des Fotografen Andreas Gursky erinnernden Supermarktes getanzt wird, ist die dunkle Gegenwart zum Greifen nahe. War die Präsidentschaft von Donald Trump nicht ein solcher Unfall, eine Giftwolke, deren Vorüberziehen alle mit offenem Mund bestaunt haben? Das Spektakel ist noch nicht vorbei. Die Frage ist allerdings: Wie lange wird man dazu noch tanzen können?

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