The Humans
Drama | USA 2021 | 108 Minuten
Regie: Stephen Karam
Filmdaten
- Originaltitel
- THE HUMANS
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- A24/IAC Films
- Regie
- Stephen Karam
- Buch
- Stephen Karam
- Kamera
- Lol Crawley
- Musik
- Nico Muhly
- Schnitt
- Nick Houy
- Darsteller
- Richard Jenkins (Erik) · Jayne Houdyshell (Deirdre) · Amy Schumer (Aimee) · Beanie Feldstein (Brigid) · Steven Yeun (Richard)
- Länge
- 108 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Theaterverfilmung um eine Familie, bei der anlässlich einer Thanksgiving-Feier zahlreiche Konflikte aufbrechen.
Irgendwo auf einem fernen Planeten leben Wesen, die auf der Erde als fürchterliche Monster gelten würden, und erzählen einander am Abend Gruselgeschichten, in denen der Schrecken von den Menschen ausgeht. Dies ist die Konstellation eines Comics aus seinen Kindertagen, an die sich Richard (Steven Yeun) erinnert fühlt, als er an Thanksgiving die Familie seiner Lebenspartnerin Brigid (Beanie Feldstein) in der gemeinsamen neuen Wohnung in New York empfängt; als Außenseiter in der Runde liegt es wohl nahe, dass ihm der Gedanke an eine Welt mit gänzlich anderen Perspektiven in den Sinn kommt.
Es ist nicht so, dass Brigids Familie ihm unfreundlich begegnen würde; doch die Barrieren zwischen seiner und ihrer Herkunft sind immer wieder spürbar, und insbesondere Brigids Eltern Erik (Richard Jenkins) und Deirdre (Jayne Houdyshell) schweigen sich darüber auch nicht aus. Richards wohlhabender Familie stehen Abkömmlinge der Mittelschicht gegenüber, die ihr Leben lang gearbeitet haben, ohne sich je ihrer Geldsorgen entledigt zu haben. Auf sie wirkt es seltsam, dass es sich jemand leisten kann, mit Mitte dreißig noch in der Ausbildung zu stecken, nachdem er zuvor erst einmal eine Depression überwinden musste. „In unserer Familie haben wir das nicht“, meint Erik, was seine ältere Tochter Aimee (Amy Schumer) rasch kontert: „Nein, wir haben nur eine Menge stoischer Traurigkeit.“
Thanksgiving ohne Grund zur Dankbarkeit
Tatsächlich ist es eine alles andere als fröhliche Gesellschaft, die Stephen Karam in seinem Theaterstück „The Humans“ und in der von ihm selbst übernommenen Verfilmung versammelt. Das Fest mag sich Thanksgiving nennen und die Bereitschaft, es gemeinschaftlich zu feiern, aufrichtig sein, doch allzu viele Gründe für wirkliche Dankbarkeit finden sich bei den fünf Mitgliedern der Familie Blake nicht. Die Eltern Erik und Deirdre halten überdies eine schlechte Neuigkeit zurück, die sie erst gegen Ende des Abends bekanntgeben wollen, um die Stimmung nicht zu verderben.
Bis dahin findet Erik reichlich Muße, um die Wohnung zu kritisieren, von der Lage in einer „überschwemmungsbedrohten“ Ecke New Yorks bis zum offensichtlich maroden Zustand des Mietshauses. Deirdre hadert mit der Abkehr ihrer Töchter von der katholischen Religion und drängt Brigid zum Einzug als Geschenk eine Marienstatue auf, während die Versuche der jungen Frau, Schriftstellerin zu werden oder überhaupt eine Arbeit zu finden, Ziel unbeabsichtigt spitzer Bemerkungen werden.
Ihre andere Tochter ist zwar eine etablierte Anwältin, hat aber jüngst ihren Job verloren, eine Trennung von ihrer langjährigen Partnerin hinter sich und leidet obendrein an einer chronischen Darmkrankheit. Eriks Mutter schließlich dämmert die meiste Zeit in ihrem Rollstuhl vor sich hin und hat nur gelegentlich einen klaren Moment inmitten ihrer Demenz.
Ein Gefühl der Verlorenheit
Themen, die während dieses Abends auf den Tisch kommen, sind die Gräben zwischen den Generationen, unaufgearbeitete Vorwürfe, Vorurteile, Ängste, alte Rivalitäten (vor allem zwischen den Schwestern) und auch Differenzen der Eltern, die doch seit Jahrzehnten an einem Strang ziehen. Das allgemeine Gefühl der Verlorenheit ist das Fundament des mit Theaterpreisen überhäuften Theaterstücks, das seine fein charakterisierten Figuren in prägnanten Dialogen näherbringt.
Der Tonfall ist durchweg ernst, auch wenn der Film nicht auf Pointen verzichtet und die Auslotung der conditio humana in den USA des frühen 21. Jahrhunderts – nach 9/11 und der Finanzkrise, aber vor Trump – abmildert, weil die Charaktere trotz Schwächen und negativen Persönlichkeitsanteilen im Grunde sympathisch bleiben. Das macht „The Humans“ zur dankbaren Vorlage für Darsteller, auch wenn Karam sie eher zum solidarischen Ensemblespiel angehalten hat, als ihnen „große Szenen“ zu erlauben.
Nichtsdestotrotz sind alle sechs Schauspieler des Films beeindruckend: Richard Jenkins als Vater mit lebenslang in sich hineingefressenen Sorgen, die aus der Theater-Urbesetzung übernommene Jayne Houdyshell als äußerlich muntere und scherzende, dabei innerlich aber gequälte Deirdre, Amy Schumer und Beanie Feldstein, die sich jenseits ihres Comedy-Images bewähren, Steven Yeun als Fels in der Brandung und June Squibb durch bloße Präsenz, bis ihre vermeintlich teilnahmslose Figur unvermutete Vitalitäts-Eruptionen zeigt.
Spiel mit Horror-Elementen
Den stärksten Eindruck hinterlässt als heimliche Hauptfigur jedoch die Wohnung selbst, ein Duplex-Apartment, das durch die beständige Aufmerksamkeitsverschiebung zwischen oberer und unterer Ebene schon bei der Bühnenfassung viel beachtet wurde. In seiner Verfilmung nutzt Karam die zusätzlichen formalen Möglichkeiten und gibt der Wohnung und dem umgebenden Gebäudekomplex eine Quasi-Körperlichkeit der bedrohlichen Sorte. Durch neue Kameraeinstellungen zwischen beinahe unwirklicher Ferne und äußerster Nähe scheinen sich die Größenverhältnisse innerhalb des Apartments fast unmerklich zu verschieben, die Gänge und Zimmer von normalem Maß auf extreme Enge zu verschmälern. Die an einem trüben Novemberabend ohnehin gegebene Dunkelheit steigert sich über durchgebrannte Glühbirnen in eine geradezu monströse Schwärze, die Geräusche hinter den Wänden gehen weit über die erwartbaren Zumutungen in einem hellhörigen Altbau hinaus.
Karam spielt offensiv mit Elementen des Horrorfilms, die er mehr und mehr intensiviert, je länger „The Humans“ dauert. Dass der Regiedebütant dabei am Ende etwas übers Ziel hinausschießt, wenn dröhnendes Sounddesign und äußerste Schwärze Dialoge und Set zu verschlucken drohen, ist bedauerlich, weil sich damit plötzlich ein Effektgewitter einstellt, wo Karams Stärken an sich in der Reduktion liegen. Für die seelische Pein der Figuren sind es allerdings auf der Hand liegende Sinnbilder: Keine Horrorvorstellung kann so groß sein wie die, dass Menschen nur einen Schritt von einer grauenhaften Leere entfernt sind und diese durch die Wände bereits eindringt.
Stephen Karam verkauft dies allerdings nicht als pessimistische Gewissheit, sondern nutzt die Kraft seiner Bildsprache für eine gegenteilige Deutung. Im Nebeneinander von dunklen Gedanken und Trost reicht ein einziges wiederaufflackerndes Licht, um der Hoffnung die Tür zu öffnen.