Nicht alles, was man auf Netflix zu sehen bekommen und nach Netflix Original aussieht, ist auch eine Eigenproduktion. Denn es gibt eine ganze Reihe von Projekten, die zunächst als Kinofilme konzipiert wurden, an deren Potenzial die Studios dann aber massive Zweifel hegen und die schließlich in den Untiefen des Streaming-Giganten landen, ohne dass Netflix auch nur im Geringsten an der Entwicklung beteiligt gewesen ist. Nur braucht das Unternehmen eben Unmengen an Content, und die halbgaren, schnell produzierten Nullnummern werden zum Treibstoff des Streaming-Stroms.
In diesen Kontext finden sich mitunter so großartige Titel wie Jeremy Saulniers „Wolfsnächte“ oder „Annihilation“ von Alex Garland, zwei Filme, die zweifellos erst auf der großen Leinwand zu ihrer wahren Größe gefunden hätten. Es ist manchmal eine durchaus bittersüße Freude, ein fürs Kino erdachtes Werk im Wohnzimmer genießen zu dürfen. Dann aber landen eben auch Projekte auf dem Bildschirm, die offenkundig auf halben Weg zur großen Leinwand verhungert sind. Ein solcher Film ist „The Man From Toronto“, ein seltsames Starvehikel für Woody Harrelson und Kevin Hart.
Jede Menge Pappfiguren
Allein die Grundidee ist bereits dermaßen generisch, dass man beim Lesen der Synopsis wegzunicken droht. Der hibbelige Kevin Hart spielt Teddy, der in seinem Leben offenbar nichts auf die Reihe bekommt. Eingeführt wird seine Figur mit albernen Fitnessvideos, bei denen ihm Fitnessbänder ins Gesicht schnalzen oder Klimmzugstangen auf den Kopf fallen.
Ausgerechnet dieser Teddy wird mit dem gefürchteten Profikiller verwechselt, den alle nur ehrfürchtig „The Man from Toronto“ nennen. Er soll für einen nach Rache dürstenden Colonel aus Venezuela irgendwelche Informationen aus zwei Zielpersonen herauspressen; so will es das FBI. Schließlich gilt es, einen drohenden Anschlag zu verhindern, dessen Bedrohlichkeit sich allerdings zu keinem Zeitpunkt vermittelt. Diese Pappfigur-Gangster glauben nun, dass Teddy dieser Profi ist.
In der Folge stolpert Hart in einen Sumpf voller Schwerverbrecher. Hinzukommt, dass sich der echte Mann aus Toronto (Woody Harrelson) ebenfalls einmischt. Der will zunächst einfach seinen hochdotierten Auftrag trotz aller Widrigkeiten zu Ende führen und gerät schließlich ins Fadenkreuz seiner Auftraggeberin, die ein eigenes Spiel zu treiben scheint.
Heillos zusammengeschusterter Plot
Was sich nach einem kurzweiligen Spaß anhört, ist ein grob zusammengeschustertes Ärgernis. Nicht jeder Film muss Tiefgang haben, und gegen überdrehte Action und albernen Humor ist gar nichts einzuwenden. Doch es will den Drehbuchautoren einfach nicht gelingen, ihrer Geschichte eine logische Basis zu geben. So erschließt sich bis zum Schluss nicht, warum der eiskalte Profikiller den ziemlich nervigen Teddy überhaupt am Leben lässt. Er hätte diese Angelegenheit womöglich ziemlich schnell geradebiegen können. Nur wäre daraus dann kein Buddy-Plot erwachsen.
Das Verhältnis der beiden ist aber mit derart groben Strichen gezeichnet, dass sogar Küchenpsychologie als dramaturgisch wertvolle Errungenschaft erscheint. Denn selbstverständlich besitzt der Killer ein Problem mit Frauen, bei dem ihm der untalentierte Amateur sogar helfen kann. Wie aus dem Nichts schaltet der im Grunde zynische Film in einen leichteren Gang und webt vor allem in den Mittelteil eine moralische Message ein. Ganz plötzlich dürfen sich die bis dahin völlig überzeichneten Figuren verändern. Wer vorher ein Loser war, brilliert nun auf der großen Bühne der Konfrontation. Wir können alle voneinander lernen. Oh, welch’ herzerwärmender Humanismus hier mit großen Projektilen präsentiert wird!
Die Action implodiert
Und wenn man denkt, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte, schüttelt Regisseur Patrick Hughes eine unsägliche „Crank“-Ästhetik aus dem Ärmel, die mit dem zuvor glatten Hochglanz-Look des Films bricht. Über die Gründe kann man nur mutmaßen. Vielleicht liegt es daran, dass die Produktion einige Probleme mit Corona hatte. Möglicherweise glaubt Hughes aber auch, es sei Tarantino-mäßig cool. Neben dem Mann aus Toronto tummeln sich für eine kurze Zeit weitere Superkiller, die willkürlich in den Film hineingeworfen und ziemlich schnell abgemurkst werden. Die bis dahin langweilige, aber handfeste Action implodiert förmlich in sich selbst, und mit ihr jede Form der emotionalen Sorge um die Hauptfigur. Wieso ausgerechnet Woody Harrelson sich für eine solche Rolle hergibt, wo doch Jason Statham kurz vor Drehbeginn ausgestiegen ist, bleibt ein weiteres Rätsel.