Billie und Vega ahnen noch gar nicht, was für ein Abenteuer auf sie zukommt, als sie mit ihrem Vater zu einer mehrtägigen Wanderung aufbrauchen. Die Mutter liegt mit großer Erschöpfung im Krankenhaus, die beiden Mädchen, vier und neun Jahre alt, verstehen gar nicht so recht, was mit ihr vorgeht. Aber mit Papa, da sind sie geborgen. Als sie beide Angst haben vor der Hängebrücke über eine kleine Schlucht, nimmt er sie an die Hand und führt sie auf die andere Seite.
Aber am zweiten Tag der Wanderung, sie haben im Zelt übernachtet und laufen weiter in die norwegischen Berge hinein, passiert dann etwas Unerwartetes: Nach einer akrobatischen Aktion will Papa (Thomas Skjørestad) ein Foto von den beiden Schwestern machen, stürzt in eine Felsspalte und verletzt sich. Allein kommt er da nicht mehr raus – was tun?
„Tottori! – Kopfüber ins Abenteuer“ lässt sich geruhsam Zeit, um seine zwei Protagonistinnen in diese Aufregung zu stürzen. Auf einmal soll Vega die kleinere Billie (gespielt von den Schwestern Vega und Billie Østin) unter ihre Fittiche nehmen, den Weg zurücknehmen zum Bauernhof, an dem ihre Wanderung begonnen hat, und von dort aus Hilfe holen.
Ein magisches kleines Abenteuer
Das Szenario, man darf das ja festhalten, könnte natürlich ein Albtraumfilm für Eltern sein: Vater abgestürzt, Mutter in der Klinik, Kinder allein in der Wildnis. Aber Silje Salomonsen und Arild Østin Ommundsen, die gemeinsam das Drehbuch geschrieben und Regie geführt haben, ziehen alle ästhetischen und erzählerischen Register, um die bedrohliche Grundidee in ein magisches kleines Abenteuer zu verwandeln.
Natürlich sind da zuerst die beiden Kinder, die in der distanzierten Totalen als einzige Farbkleckse durch eine einzige Reihe von strichförmigen Nadelbaumstämmen laufen, natürlich zieht sich die Kamera auch mal weiter zurück und platziert die zwei Mädchen vor großer Weite: Wälder, Wasser, Felsen, soweit das Auge reicht. Norwegen ist zweifellos wunderschön und stellenweise menschenleer. Da haben sich die Schwestern bereits verlaufen, die Hängebrücke war für sie ohne Papa unüberwindbar.
Mit großer Gelassenheit
Von Verzweiflung aber keine Spur. Dafür sorgt die feste Erzählstimme von Vega aus dem Off, die die Geschichte offenbar im Rückblick („Der Sommer, in dem wir allein waren.“) und mit großer Gelassenheit wiedergibt. Da ist die ruhige Musik, die sich nur in den gelegentlichen kniffligen Momenten etwas bedrohlicher türmt. Da sind die magischen Momente: ein ruhender Elch mitten im Wald, eine Hütte mit rettenden Vorräten, die Luft voll fliegender Gräsersamen im Licht der tief stehenden Sonne.
Überhaupt fügt sich viel in dieser Geschichte, das macht ihre Geruhsamkeit aus. Ein Feuerzeug, dass Billie bei einem Gespräch über rohen Fisch geschenkt bekommt, erweist sich in der Wildnis plötzlich als sehr nützlich; gefundene Fotos zeigen ein bekanntes Gesicht, und in Papas Rucksack versteckt sich doch wirklich ein Einhorn! (Überhaupt: Einhörner wie „Tottori“, das Billie ihr Totemtier nennt.)
Kleine Superheldinnen
Kleine Superheldinnen wollen diese zwei Kinder sein, jedenfalls nicht sich einfach hinlegen und aufgeben. „Wenn wir zu müde waren, mussten wir uns etwas ausdenken, dass uns zum Lachen bringt“ – so wird, wie ihr Vater es ihnen aufgetragen hat, jede Herausforderung zum Abenteuer. Geht es immer weiter, und sie lernen sich dabei vor allem selbst kennen. Streiten, Vertragen, Helfen und Beschimpfen gehört selbstverständlich dazu.
Das ist ein wenig wie ein Road Movie ohne Straßen, vor allem aber Abenteuer in der Wildnis. Es kommt sogar ein Einsame-Insel-Gefühl auf, wenn Vega „Hilfe“ in den Sand am Flussufer schreibt, als ein Flugzeug über sie hinwegfliegt. Die große Stärke von „Tottori! – Kopfüber ins Abenteuer“ ist dabei aber, dass das alles in realistischen Grenzen bleibt: Billies und Vegas Geschichte bleibt auf Augenhöhe mit dem Publikum, ehrlich und doch ein klein bisschen fantastisch. Die Erwachsenen sind allesamt wohlwollend und freundlich, aber nicht immer Persönlichkeiten, auf die man sich wirklich verlassen kann.
Vor diesem Hintergrund mag die glückliche Wiedervereinigung der Familie in den letzten Minuten des Films (natürlich gibt es ein Happy End) dann aus Vegas Mund ein wenig zu abgeklärt, zu erwachsen klingen, bekommt vielleicht auch etwas viel Pathos und Verklärung – aber das ist wirklich ein nur leise scheppernder Misston in einem geruhsamen, kleinen und berührenden Film, der seine Protagonistinnen ernst nimmt und ihnen etwas zutraut. „Komm, wir retten jetzt Papa!“