Drama | Brasilien 2021 | 93 Minuten

Regie: Alexandre Moratto

Thriller-Drama um einen jungen Brasilianer, der mit dem Versprechen auf Arbeit in die Hände eines Menschenhändlers gerät. Unter ausbeuterischen Bedingungen versucht er zu überleben und arbeitet sich schließlich zur rechten Hand seines Besitzers hoch – und beginnt dabei mehr und mehr, vom Opfer zum Mittäter zu werden. Ein eingangs spannender, später in seinem Versuch, korrupte Ausbeutungsstrukturen in der brasilianischen Gesellschaft sichtbar zu machen, arg didaktischer Film, thematisch vielversprechend, aber formal etwas mutlos. Vor allem kurze Einzelsequenzen, in denen originelle (visuelle) Ideen das sozialkritische Thema unterfüttern, bleiben in Erinnerung. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
7 PRISIONEIROS
Produktionsland
Brasilien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Noruz Films/O2 Filmes
Regie
Alexandre Moratto
Buch
Thayná Mantesso · Alexandre Moratto
Kamera
João Gabriel de Queiroz
Schnitt
Germano De Oliveira
Darsteller
Christian Malheiros (Mateus) · Rodrigo Santoro (Luca) · Josias Duarte (Rodiney) · Vitor Julia (Ezequiel)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Thriller-Drama um einen verarmten Teenager, der aus den Fängen eines Menschenhändlers auszubrechen versucht.

Diskussion

Während der Fahrt nach São Paulo sind die jungen Männer noch voller Hoffnung. Gerade erst haben sie sich tränenreich von ihren Familien verabschiedet, von den Großmüttern und Geschwistern, für die sie in der Metropole Geld verdienen wollen. Doch schon bald wird die so offene, freie Welt, die sich erstmals vor ihnen auftut, auf eine einzige kleine Zelle zusammenschrumpfen. Sie werden Schuldknechte sein, fast Sklaven, wie es in der Stadt viel zu viele andere gibt. Nur „7 Gefangene“ kündigt der Titel des zweiten Films von Regisseur Alex Moratto an, zeigt dann aber Dutzende, Tausende – eigentlich universelle Gefangenschaft und universelle Schuld. Der Thriller, der sich mit jeder Minute mehr in ein düsteres Gangster-Drama verwandelt, erzählt von der verführerisch lockenden Fata Morgana der Freiheit. Wobei man sich oft wünscht, der Film wäre selbst ein wenig freier.

Moderne Leibeigenschaft

Hauptfigur ist der achtzehnjährige Mateus (Christian Malheiros). Zum Abschied bekommt er ein neues Hemd und ein Luftfahrt-Magazin geschenkt; er würde lieber Ingenieur werden, als sich auf den Feldern seiner Heimat abzuplagen. Doch der von einem Bekannten vermittelte „Job“ stellt sich bald als moderne Leibeigenschaft heraus. Spätestens als Schrottplatz-Tyrann Mr. Luca (Rodrigo Santoro) der Gruppe die Personalausweise abnimmt, wird Mateus skeptisch. Plötzlich dürfen er und seine Begleiter das Grundstück nicht mehr verlassen, sondern verbringen jede freie Minute mit dem Ausschlachten von Autowracks und dem Freilegen von Kupferdrähten.

Zunächst versucht er mit allen Mitteln auszubrechen. Ob grobe Gewalt oder perfide Pläne, er bleibt erfolglos. Dann dient er sich Luca an, macht sich zuerst nützlich und dann unersetzbar. Steigt auf, gewinnt Privilegien, erlangt so viel Handlungsspielraum, wie es einem Gefangenen möglich ist. Ist auch das nur ein Ausbruchsplan mit anderen Mitteln, oder wird Mateus langsam Teil einer grausamen Maschinerie, die er kaum begreift?

Eine menschliche Black Box

Hauptdarsteller Christian Malheiros lässt sich selten in die Karten schauen. Er ist nicht emotionslos, aber müht sich auch nicht unbedingt um starken Ausdruck. Sein Gesicht bleibt opak, er reagiert, formt sich zur Welt hin. Eine menschliche Black Box. Die Frage des Films an den Zuschauer ist lange, welche Beziehung zwischen seinem Innenleben und seinen Taten besteht. Was er denkt, was in ihm vorgeht. Die immer sanft schwankende Handkamera von João Gabriel de Queiroz rückt nah an ihn heran, bis in seinen Kopf schauen kann sie doch nicht. Was spielt er seinem neuen Boss vor, was seinen neuen „Kollegen“? Wie weit ist das Gift des äußeren Zwangs in seinen Körper vorgedrungen?

Gefangene einer Wirtschaftsordnung, die nur die Optionen Täterschaft und Prekarität anbietet

Schritt für Schritt arbeitet sich der Film durch die Maslowsche Bedürfnishierarchie. Zuerst geht es um ganz konkrete, physische Bedürfnisse: Überlebt Mateus? Wenn er flieht, überlebt dann seine Familie? Wann dürfen er und seine Mitgefangenen endlich wieder einmal duschen? In kurze Szenen gehackt fliegen die Tage nur so vorbei, Lagerkoller setzt ein. Dann werden die sozialen Dynamiken zwischen den Eingekerkerten erprobt. Man streitet sich, solidarisiert sich miteinander, nur um sich doch wieder zu hintergehen. Ein Gefängnisfilm in Miniatur. Dann geht es um Moral und Sinn. Luca ist Menschenhändler, einer unter vielen. Seine Biographie ist der von Mateus nicht unähnlich – auch er ist als junger Mann in die große Stadt gekommen, weil er nicht in der Einöde verenden wollte. Auch er wird als Opfer gezeigt. Ein Gefangener einer Wirtschafts- und Sozialordnung, die nur die Optionen Täterschaft und Prekarität anbietet, und das dann mit zynischer Grausamkeit Freiheit nennt. Er führt ein simples, kleinbürgerliches Leben, doch selbst dieser kleine Aufstieg ist mit einem gewaltigen Preis versehen.

„7 Gefangene“ entkommt nie ganz seiner eigenen Problemfilm-Aura, auch wenn deutlich mit Genre-Logik geliebäugelt wird. Szene für Szene wird weiter herausgezoomt, bis man bei korrupten Politikern angekommen ist. Man kann manchmal die Zeitungsartikel, die sich Drehbuchautor und Produzenten ausgedruckt haben, vor dem inneren Augen sehen. Dass Menschenhandel existiert und ein Problem darstellt, ist schwer zu bestreiten. Schon seit Jahrzehnten kämpft das Schwellenland Brasilien gegen Menschenhandel, Schuldknechtschaft und Sklaverei. Institutionen wie Staat und Kirche führen groß angelegte Kampagnen gegen das offenkundige Übel durch. Es wäre schön, wenn Moratto das pseudo-dokumentarisch Beobachtende öfter mit einem eigenen Stil stören würde. Wo der Künstler formt und verzerrt, da kann er nicht mehr so sehr Lehrer sein.

Der Mensch ist überall Ware

Vor allem einzelne Beobachtungen stechen hervor. Einmal greift Luca zur Handy-App, um für einen ausländischen Gefangenen die Botschaft „Wenn du fliehst, bringt die Polizei dich um.“ zu übersetzen. Plötzlich droht also nicht mehr er selbst, sondern die freundlich-neutrale Übersetzungs-Software. Die neue Distanzlosigkeit der Dinge beseitigt auch manchen Schutzwall. Der Mensch ist überall Ware.

Am eindrücklichsten aber ist eine kurze Sequenz von wenigen Minuten Länge. Mateus ist mit Luca unterwegs, er fragt zögerlich nach den gehandelten Menschen. „Wie viele sind es?“, will er wissen, und der ältere Mann antwortet: „Genug, um die Stadt am Laufen zu halten.“ Die Kamera fährt durch São Paulo, und plötzlich wird sichtbar, was immer da war. Überall sind Kabel, dicke Bündel, tausende, wie Spinnennetze zwischen Gebäuden gespannt. Und: „Der Kupferdraht ist vom Schrottplatz. Deine Arbeit ist in der ganzen Stadt“. Es folgt eine kleine Montage. São Paulo hat Adern und Sehnen aus Kupferdraht, erstreckt sich als elektrisches Stahlmonster nach überallhin. Jeder leuchtende Wolkenkratzer, der das halbe Land widerspiegelt, hängt an diesen Blutbahnen.

Vielleicht ist da für jeden Straßenzug ein Schrottplatz wie der von Luca, vielleicht ist alles auf Gefangenschaft und Sklaverei aufgebaut; und vielleicht sind auch zwischen allen Ländern dieselben Stahlgitter gespannt und halten alles gefangen. Und dann kehrt der Film wieder zu dem kleinen, hilflosen Mateus zurück, fast noch ein Kind. Vielleicht ist seine persönliche Moralfrage ja gar nicht so entscheidend.

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