Eine Blutuntersuchung bei einem Routinecheck stellt das wohlsituierte Leben eines Paares auf den Kopf. Eigentlich wollte Arnold (Samuel Finzi) gerade ein Prestigeprojekt in Angriff nehmen. Obwohl er als Architekt bislang schon recht erfolgreich ist, wäre der Bau eines verdächtig einem Phallus ähnelnden Büroturms, der alle anderen Gebäude vor Ort überragt, der ersehnte Gipfel seiner Karriere. Als jedoch bei seiner Frau (Inka Friedrich) nach der jahrelangen Einnahme eines Migräne-Medikaments eine Niereninsuffizienz dritten Grades diagnostiziert wird, sieht er sich plötzlich mit der Situation konfrontiert, sein Ego zurückstellen zu müssen. Eine Nierenspende muss her, und natürlich erwartet Kathrin, dass er ihr beispringt, zumal die beiden die gleiche Blutgruppe haben. Doch Arnold zieht es vor, in Selbstmitleid zu verfallen und nach abenteuerlichen Ausreden zu suchen, warum er angeblich der falsche Spender sei.
Mit Trotz und Sarkasmus
Er könnte ja zu den wenigen Fällen gehören, die an Komplikationen des Eingriffs sterben. Seine Mitarbeiter würden ohne ihn das Turm-Projekt nicht auf die Beine stellen, und warum frage sie eigentlich nicht ihre Mutter oder ihre Schwester? Für die Pilates-Lehrerin Kathrin, Mutter einer erwachsenen Tochter, ist der zaudernde Gatte eine herbe Enttäuschung. Sie reagiert zunächst mit Trotz und Sarkasmus. Währenddessen diskutiert Arnold mit seinem besten Freund Götz (Thomas Mraz) die Möglichkeiten, eine illegale Niere zu besorgen. Kein Trick erscheint ihm zu unmoralisch, wenn er nur seine Unversehrtheit gewährleisten könnte.
Götz geht diese skrupellose Selbstliebe zu weit, weshalb er bei einem gemeinsamen Essen seine eigene Niere anbietet. Das ist für den plötzlich eifersüchtigen Arnold Grund genug, dem Freund sein Übergewicht und seinen Bluthochdruck vorzuhalten und ihn damit als Spender zu disqualifizieren. Auch Götz’ Frau Diana (Pia Hierzegger) fühlt sich überrumpelt; es könnte ja sein, dass sie selbst irgendwann in die gleiche Notlage komme und Anspruch auf Götz’ Niere erheben würde. Er heuchle doch nur Hilfsbereitschaft vor; eigentlich möchte er nur von allen geliebt werden.
Wer springt in die Bresche?
Jeder Satz, der von da an in dem auf optische und inszenatorische Eskapaden gänzlich verzichtenden Kammerspiel fällt, kratzt an der Oberfläche eines längst von Routinen erstickten Ehelebens. Bei beiden Paaren fliegen Seitensprünge auf, es wird gelogen, getäuscht und zum Angriff übergegangen, wenn der Druck, sich zu positionieren, zu groß wird. Zunehmend kristallisiert sich bei zwei der Beteiligten die fehlende Bereitschaft heraus, für den anderen Risiken einzugehen. Auch mit der Diagnose verhält sich freilich nicht alles so, wie zuerst gedacht. Dramaturgisch dient sie als Brandbeschleuniger, um die versteckten Disharmonien hinter perfekten Wohnfassaden ans Tageslicht zu bringen.
Der österreichische Regisseur Michael Kreihsl nutzt die Vorlage des Theaterstücks „Die Niere“ von Stefan Vögel, um ein pointiertes Wortgefecht zu entfachen, das seine Darsteller zu meisterlichen Leistungen anpeitscht. Vor allem Inka Friedrich als unterschätzte Menschenkennerin und Samuel Finzi als hypochonderhafter Angsthase übertreffen sich im komödiantischen Timing. Und selbst der kurze Auftritt von August Zirner als Oberarzt, der eine Laborpanne eingestehen muss, glänzt durch minimalistischen Witz.
Der braucht keine Feinde mehr
Die zwischen Chabrol, Haneke und „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ angesiedelte Adaption behält durch die Spielfreude der Schauspieler einen leichtfüßigen Ton und vermag sich dennoch zur Gesellschaftskritik zu verdichten. Denn wer in solchen Krisenzeiten einen nur auf den eigenen Komfort bedachten Ehepartner hat, braucht keine Feinde mehr.