Drama | Angola 2020 | 72 Minuten

Regie: Fradique

In Angolas Hauptstadt fallen plötzlich die Klimaanlagen aus den Häuserblocks. Ein reicher Anwalt will den Verlust nicht akzeptieren und beauftragt seine Haushaltshilfe, den Lüfter reparieren zu lassen. Während das Gerät im Laden eines Mechanikers verschollen bleibt, folgt die Kamera den Protagonisten durch die Nischen und Gassen von Luanda. In kurzen Begegnungen und surrealen Exkursen entwickelt der Film nicht nur eine Vision der Gegenwart, sondern wirft mit seiner grellbunten, avantgardistischen Ästhetik einen Blick in Richtung einer bereits von der Klimakatastrophe geprägten Zukunft. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
AR CONDICIONADO
Produktionsland
Angola
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Geração 80
Regie
Fradique
Buch
Ery Claver · Fradique
Kamera
Ery Claver
Musik
Aline Frazão
Schnitt
Zeno Monyak
Darsteller
Filomena Manuel (Zézinha) · José Kiteculo (Matacedo) · David Caracol (Mino) · Tito Spyck (Tito) · Sacerdote (Kudurista)
Länge
72 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Zwischen magischem Realismus, Science-Fiction und einem elegischen Stadtporträt von Luanda mäandernder Film, der einen Blick in eine von der Klimakatastrophe geprägte Zukunft wirft.

Diskussion

In Luanda fallen die Klimaanlagen aus den Häusern. Wie überreife Früchte klatschen sie auf den Asphalt. Zézinha (Filomena Manuel) hört davon im Radio und kurz darauf noch einmal von ihrem Chef, einem wohlhabenden Anwalt, der nicht einsehen will, dass auch für ihn die Zeit des gemäßigten Klimas vorbei ist. Wie alle anderen der knapp vier Millionen Einwohner der angolanischen Hauptstadt soll auch er auf den urbanen Luxus der Luftkühlung verzichten. Doch er denkt nicht daran und schickt sein Hausmädchen los, die Lüfter zu reparieren.

Der Hausmeister Matacedo (José Kiteculo) hilft Zézinha bei dem hoffnungslosen Unterfangen. In langen Sequenzen dreht er seine Runden durch Korridore, belebte Straßenecken, Treppenhäuser und Dachterrassen. Die Steadycam von Ery Claver schleicht ihm hinterher. Das Sounddesign fängt im Rauschen der letzten funktionstüchtigen Klimaanlagen und den Hip-Hop-Versen der Straßenecke die Gegenwart ein; in Matacedos pathologischem Ohrensausen – womöglich eine Anspielung auf seine Vergangenheit im Krieg – und den melancholischen Jazztrompeten klingt auch die Vergangenheit mit.

Samen, der nicht mehr keimt

Der politische Subtext ist tief mit der Ästhetik des Films verwoben, die das dystopische Szenario nicht in Bilder der Hoffnungslosigkeit verpackt, sondern die dazugehörige kollektive Stimmung einzufangen versucht. Matacedo teilt seine Mahlzeiten mit den Hausbewohnern, hält an der Straßenecke für ein Dame-Spiel und hilft dem Mechaniker Mino (David Caracol), Bildschirme anzuschließen. Die Hauptstadt verschwindet nie in der Anonymität, sondern ist stets als komplexes Geflecht aus Einzelschicksalen sichtbar, die alle eine tiefe Melancholie teilen.

Der Fall der Klimaanlagen ist nicht der Beginn eines sich in die moderne Gesellschaft einschleichenden Endes; es ist seine Fortsetzung. In winzigen Gesten zeigt Regisseur Fradique eine Gemeinschaft, die sich wehmütig an die Flora und Fauna erinnert, die aus dem Moloch Luanda längst verschwunden ist. Zézinha erzählt von einem Traum aus der Zeit, bevor sie mit ihrer Familie fliehen musste. Ein Traum, der Wasser zu Sand und Holz zu Feuer werden ließ. Matacedo streichelt derweil zärtlich die langen Blätter einer Zimmerpflanze, die einsam zwischen den reparaturbedürftigen Elektrogeräten in Minos Laden steht. Der Mechaniker schenkt ihnen zum Abschied eine Handvoll Samen. Eine rein symbolische Geste, denn das Saatgut ist nicht mehr fruchtbar.

So vehement der Film das rätselhafte post-apokalyptische Szenario vertritt, so sehr geht ihm die sonst so selbstverständliche Tristesse ab. Immer wieder drängen sich surreale und fantastische Momente in die Handlung, die ihm eine neue Richtung geben oder ein zeitweiliges Refugium bieten. Die Menschen von Kap Verdes, die in Matacedos Gebäude wohnen, führen ihre Unterhaltungen telepathisch, was via Untertitel sichtbar gemacht wird, und Mino lädt seine Gäste, bevor er sich an die Reparatur der Klimaanlage setzt, in sein „Auto“ ein, eine alte, mit Platinen, Lichterketten und Kabeln bestückte Karosserie, das für ein paar Sekunden die Luft herunterkühlt und Matacedo den Traum einer Fahrt bei kühlem Wind schenkt.

In der Gegenwart längst eingenistet

Mino baut eine Science-Fiction-Maschine aus den Resten des Elektronik-Schrotts, so wie Regisseur Fradique eine Zukunftsvision aus den Trümmern seiner Heimat baut. Aus der tiefen Erschütterung des kolonialen Erbes und eines noch sehr frisch im Gedächtnis verbliebenen Bürgerkriegs findet „Air Conditioner“ zu einer grellbunten und zu gleichen Teilen avantgardistischen Vision einer Zukunft, die sich längst in den Alltag der Gegenwart eingenistet hat und mit unverhohlenem Optimismus die Frage stellt: Was kommt, wenn die Zeit der Kontrolle über das Klima ein Ende hat?

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