Lisey's Story
Literaturverfilmung | USA 2021 | 401 (8 Folgen) Minuten
Regie: Pablo Larraín
Filmdaten
- Originaltitel
- LISEY'S STORY
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- Bad Robot/Warner Bros. Television
- Regie
- Pablo Larraín
- Buch
- Stephen King
- Kamera
- Darius Khondji
- Musik
- Clark
- Schnitt
- Cedric Nairn-Smith · Rebecca Valente · Nathan Easterling · Sebastián Sepúlveda
- Darsteller
- Julianne Moore (Lisey Debusher Landon) · Clive Owen (Scott Landon) · Clark Furlong (Paul Landon) · Joan Allen (Amanda) · Dane DeHaan (Jim Dooley)
- Länge
- 401 (8 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Literaturverfilmung | Serie | Thriller
Pablo Larraín und Stephen King machen sich gemeinsam an die Verfilmung von Kings Roman „Lisey’s Story“. Eine blutige Schnitzeljagd, sehr nah an der literarischen Vorlage.
Von seinen schriftstellerischen Anfängen an war Stephen Kings Amerika immer schon ein Land, in dem der Schmerz herrscht. In seinen zahlreichen Romanen, Stories und Verfilmungen widmet sich der wohl berühmteste Horrorautor der Welt den Bewohnern dieses Landes und ihrer ganz speziellen Versehrtheit. Nirgendwo pocht der Schmerz schriller und gewalttätiger als hier, nirgendwo klaffen die Abgründe tiefer hinein in den Anschein der Wirklichkeit. Ganz egal, ob in „Carrie“, „Es“ oder „Shining“ – seinen wohl berühmtesten Arbeiten – oder in späteren Büchern wie dem erst kürzlich verfilmten „The Outsider“. Selbst wenn einer seiner Dämonen, wie das titelgebende Wesen in „Es“, aus einer anderen Welt kommt, wurzelt das Grauen doch immer in der Realität; das Monströse, das von außen kommt, funktioniert nur als eine Art Verstärker dafür. Die Ausformungen des Bösen kommen bei King stets aus einem Schmerz heraus, den wir so lange bereit sind, gewöhnlich oder alltäglich zu nennen, bis er uns selbst irgendwann ereilt.
Ein persönliches Trauma Stephen Kings lieferte den Anstoß
„Lisey’s Story“ entstand aus einem Schicksalsschlag heraus, den der Autor im Jahr 1999 in Form eines Verkehrsunfalls erfuhr. Aufgrund der Schwere seiner Verletzungen blieb eine spätere Lungenerkrankung Kings unentdeckt – sie brachte den Autor an den Rand des Todes. Im Jahr 2006 verarbeitete er die Grenzerfahrung in seinem sehr persönlichen Roman „Lisey’s Story“. Das Buch handelt vom Tod eines erfolgreichen Schriftstellers und der Lücke, die sein Sterben in das Leben seiner hinterbliebenen Ehefrau reißt. Gewidmet ist der Roman Kings Ehefrau, Tabitha. Gemeinsam mit dem chilenischen Regisseur Pablo Larraín („Jackie“, „Neruda“, „Ema“) hat sich Stephen King nun an die filmische Umsetzung dieses Buches gemacht, das er in Interviews gerne als sein liebstes und gelungenstes Werk bezeichnet. Es nimmt daher nicht Wunder, dass er die Drehbuchfassung seiner ziemlich ausschweifenden Story gleich selbst übernommen hat, anstatt sie einem serientypischen Writer’s Room anzuvertrauen.
Julianne Moore als trauernde Witwe
Die Geschichte von Lisey (Julianne Moore) beginnt mit einem Rückblick auf den Anschlag auf das Leben ihres Ehemanns Scott Landon (Clive Owen). Bei den Feierlichkeiten zur Einweihung einer Schulbibliothek schießt ein glühender Fan des Erfolgsautors den Berühmten nieder. Es ist Lisey selbst, die den Angreifer mittels eines Spatens niederstreckt und ihren Mann so vor weiteren Schusswunden bewahrt. Scott wird in der Brust getroffen, überlebt jedoch das Attentat. Seine Heilung schreitet weitaus schneller voran als es ihm seine Ärzte prophezeien. „Die Landons waren immer schon schnelle Heiler“, gibt der Patient lapidar zu Protokoll. Ein bisschen mehr als einer günstigen Veranlagung hat es mit der wundersamen Genesung allerdings schon auf sich.
Liseys Flashback auf die einschneidenden Ereignisse erfolgt zwei Jahre nach dem tatsächlichen Tod ihres Ehemanns. Woran Scott schlussendlich sterben wird, wissen die Zuschauer zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht. Die Witwe jedenfalls plagt sich mit gierigen Nachlassjägern herum sowie mit den Folgen der psychischen Erkrankung ihrer Schwester Amanda (Joan Allen). Diese verletzt sich immer wieder auf schreckliche Weise selbst. Nach ihren Anfällen verfällt sie in einen apathischen Zustand. Sie ist Dauerpatientin auf der psychiatrischen Station. Amandas Akte der Selbstverstümmelung wecken in Lisey ein altes Trauma. Denn auch Scott legte einst ein ähnliches Verhalten an den Tag. Nach einem Streit des jungen Paares schnitt Scott sich die Handflächen auf; im Anschluss weihte Scott Lisey in seine Familiengeschichte und in eine Kindheit geprägt von der Gewalt seines Vaters (Michael Pitt) ein. Er war es, der seine beiden Söhne, Scott und seinen Bruder Paul, in ein perfides Spiel einführte: eine blutige Schnitzeljagd, mit dem Ziel, seinen Jungen das Böse auszutreiben.
Ein Zufluchtsort vor den Gewalttätern
Das Böse verbleibt nicht in der Vergangenheit und hält bald schon erneut Einkehr in Liseys Leben. Es erscheint in Form eines weiteren wahnhaften Verehrers Landons, Jim Dooley (Dane DeHaan). Der Psychopath tyrannisiert Lisey zunächst mit Drohanrufen – er verlangt die Freigabe von Landons Nachlassschriften –, eines Nachts fällt er im gemeinsamen Haus des Ehepaares brutal über die Witwe her. Scheinbare Hinweise ihres toten Mannes führen Lisey aus den Fängen ihres Peinigers, an einen geheimen, magischen Ort, den Scott bereits als kleiner Junge gemeinsam mit seinem Bruder besuchte, um dem Bösen im väterlichen Heim zu entgehen.
Kings Stil reibt sich mit der Seriendramaturgie
Bereits diese Schilderung des weitverzweigten Plots von „Lisey’s Story“ macht deutlich, vor welchen immensen Herausforderungen das Kreativteam rund um Regisseur Pablo Larraín angesichts der Bändigung der mehr als 600 Seiten langen Romanvorlage gestanden haben muss. In vielerlei Hinsicht verzettelt sich die Produktion in einer Reihe von erzählerischen Schlenkern, Rückblenden und Redundanzen, die ihre Ursache in der Nähe zur literarischen Vorlage haben; das irritiert zuweilen, entwickelt aber gerade in seiner Abkehr von stromlinienförmigen Seriendramaturgien auch einen großen Reiz. Stephen King war nie ein Erzähler, der Wert auf inhaltliche Verknappung oder eine besonders straffe – für die heutige Serienlandschaft übliche – Erzählökonomie legt; im Gegenteil: Seine Figuren entfalten sich erst in der erzählerischen Überfülle, die so typisch für seine Romane ist. In der inhaltlichen Verausgabung und in scheinbar überflüssigen Details findet der Horror-Meister zu sich, und mit ihm auch seine Charaktere.
Eine Frau zwischen Nervenwrack und entschlossener Rächerin
Schauspielerisch kann Pablo Larraíns Verfilmung für die Umsetzung der Figuren aus dem Vollen schöpfen. Bis in die Nebenrollen hinein ist „Lisey’s Story“ hochkarätig besetzt. Es dürfte aber Julianne Moores Überlebenskampf sein, an dem die Zuschauer am meisten Anteil nehmen. Ihr präzises Spiel zwischen den Polen eines Nervenwracks und einer entschlossenen Rächerin trägt durch die acht Folgen der Mini-Serie hindurch. Clive Owen gibt an Moores Seite souverän das vielschichtige Mastermind Scott Landon, Dane DeHaan – der personifizierte Bad Guy der Inszenierung – interpretiert seine Rolle als fragiles Jungmänner-Ich etwas sehr überspannt. Mit der Besetzung der beiden Schwestern Liseys, Joan Allen als Amanda und Jennifer Jason Leigh als Darla gelingt der Serie ein kleiner Clou. Mit schauspielerischer Finesse agieren sie auf dem erzählerischen Höhepunkt der Serie und werden zum emotionalen Überlebensanker für Lisey.
„Boo’ya Moon“ heißt jener transdimensionale, geheime Ort, an den Stephen King seinen Protagonisten Scott Landon seit seiner frühen Jugend immer wieder fliehen lässt. Und mit ihm die Zuschauer. Es ist ein Raum der Sicherheit und der Gefahr zugleich. Die Parallelwelt verspricht Heilung und konfrontiert ihre Besucher gleichermaßen mit ihren schlimmsten Dämonen. Im Laufe der Handlung wird auch Lisey Boo’ya Moon aufsuchen, auf der Suche nach Erlösung von ihrer Trauer um Scott. Pablo Larraín und seinem Kameramann Darius Khondji (zuletzt „Uncut Gems“, „Okja“, „The Lost City of Z“) setzen diese imaginäre Welt, die nicht mal einen Steinwurf von unserer entfernt zu liegen scheint, mit gestalterischer Verve in Szene. Es ist eine Welt, die weder Tag noch Nacht kennt. Alles ist in ein Zwielicht getaucht, Mond und Sonne strahlen gleichzeitig übergroß am Himmel und tauchen den wundersamen Ort mitsamt seiner Seenlandschaft in die Kontraste Rot und Blau. Unwirklich und doch real wirkt diese Fantasie, so irreal wie auch die Verlusterfahrung, die Lisey durchmacht. Pablo Larraín vermag es mit seiner Verfilmung, ihrer Trauer eine treffende Gestalt zu verleihen. Wie Stephen King weiß auch er um die Schmerzhaftigkeit dieses Prozesses: Er ist das wahre Monster, das jeden noch so fiesen Dämon blass aussehen lässt. Und so rundet sich „Lisey‘s Story“ zur gelungenen King-Verfilmung!