For Those Who Can Tell No Tales

Drama | Bosnien-Herzegowina 2013 | 82 Minuten

Regie: Jasmila Zbanic

Eine australische Performance-Künstlerin fliegt als Touristin nach Bosnien-Herzegowina, um Land und Leute kennenzulernen. Dabei kommt sie auch nach Višegrad, wo sie in einem Hotel unerklärlicherweise nicht schlafen kann. Bei ihren Nachforschungen entdeckt sie, dass im Bosnienkrieg hier 200 muslimische Frauen interniert, gefoltert, vergewaltigt und getötet wurden. Einige Monate später kehrt sie in die Stadt zurück, um die Hintergründe der Gräuel aufzudecken. Ein beklemmendes Drama, das aus der Perspektive einer Außenstehenden an das Massaker von Višegrad im Jahr 1992 erinnert. Der sorgfältig inszenierte Film kommt ohne drastische Gewaltszenen aus und legt Stück für Stück die kollektive Verdrängung offen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FOR THOSE WHO CAN TELL NO TALES
Produktionsland
Bosnien-Herzegowina
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Deblokada Prod./The Doha Film Institute/The Post Republic
Regie
Jasmila Zbanic
Buch
Zoran Solomun · Kym Vercoe · Jasmila Zbanic
Kamera
Christine A. Maier
Schnitt
Yann Dedet
Darsteller
Kym Vercoe (Kym Vercoe) · Boris Isakovic (Polizei-Inspektor) · Simon McBurney (Tim Clancy) · Leon Lucev (Veljko) · Jasna Duricic (Edina)
Länge
82 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Sorgfältig inszeniertes Drama um eine australische Künstlerin, die in der bosnisch-herzegowinischen Kleinstadt Višegrad einem Massaker aus dem Bosnienkrieg auf die Spur kommt.

Diskussion

Der Jugoslawienkrieg lässt Jasmila Žbanić, die 1974 in Sarajevo geborene Regisseurin und Drehbuchautorin, nicht los. Schon 2006 hatte sie sich in „Esmas Geheimnis –  Grabavica“ mit seinen Folgen beschäftigt, für den späten Frühling 2021 ist der Kinostart von „Quo Vadis, Aida?“ angekündigt, in dem sie das Massaker von Srebenica filmisch darzustellen versucht.

Das ist die Frage, die die Regisseurin immer wieder beschäftigt: Wie konfrontiert man den Zuschauer mit den wahren Ausmaßen der Gräuel, besonders dann, wenn sie von der Geschichtsschreibung vehement ignoriert werden? Der Film „For Those Who Can Tell No Tales“ entstand im Jahr 2013; er fußt auf den persönlichen, in dem Theaterstück „Seven Kilometres North-East“ festgehaltenen Erfahrungen der australischen Performance-Künstlerin Kym Vercoe. Vercoe spielt auch die Hauptrolle in diesem Film. Sie stellt ihre Erlebnisse noch einmal nach und blickt so als Außenstehende auf die verdrängte Geschichte.

Ein Hotel mit grausiger Geschichte

Ein ganz normaler Urlaub, so erscheint es zunächst. Kym Vercoe reist allein durch Bosnien-Herzegowina. Eine Touristin, wie so viele andere auch. Sie folgt den Tipps ihres Reiseführers, besichtigt die wichtigen Sehenswürdigkeiten, flaniert durch belebte Gassen, besucht Souvenirläden und führt ein Videotagebuch. Wenn sie mal nicht weiterweiß, bittet sie in gebrochenem Bosnisch die freundlichen Einheimischen um Hilfe.

Kym ist eine bewusste Touristin, die das Land und seine Bräuche kennenlernen will. Ihre Reise führt sie schließlich auch nach Višegrad. Hier besichtigt sie vor allem die Mehmed-Paša-Sokolović-Brücke, jenen Brückenschlag zwischen Okzident und Orient, die den jugoslawischen Nobelpreisträger Ivo Andric 1945 zu seinem Buch „Die Brücke über die Drina“ inspirierte. Aus dem Roman ist auch das Zitat entnommen, das dem Film seinen Titel gibt. Abends kommt Kym im Hotel Vilina Vlas unter. Doch eigentümlicherweise findet sie hier keinen Schlaf. Unruhig wälzt sie sich hin und her.

Als Kym nach Sidney zurückkehrt, informiert sie sich über das Hotel und macht eine grausame Entdeckung: Im Vilina Vlas waren während des Krieges 200 muslimische Frauen interniert; sie wurden gefoltert, vergewaltigt und ermordet. In ihrem Reiseführer steht davon nichts. Ganz im Gegenteil: Mit glühenden Worten wird es als Hort der Erholung gepriesen. Auch vor Ort erwähnte niemand etwas von den grausigen Ereignissen. Kym lässt das Trauma nicht mehr los. Einige Monate später fliegt sie nach Višegrad zurück, um sich auf Spurensuche zu begeben.

Die Vergangenheit soll ruhen

Mit der Rückkehr in die winterliche Stadt ändert sich schlagartig die Atmosphäre des Films. War der Beginn noch sonnendurchflutet, waren die Menschen noch freundlich und die Hauptfigur unbeschwert, so ist jetzt, mit Kyms persönlicher Betroffenheit, alles anders. Die Stadt ist neblig und trist, die Bewohner misstrauisch und verschlossen. Nur noch ungern antworten sie auf Kyms Fragen. Einmal wird sie wegen ihrer Nachforschungen sogar von der Polizei verhört; die Vergangenheit soll ein für alle Mal ruhen.

Kym Vercoe spielt sich selbst in einer Mischung aus Authentizität und Unmittelbarkeit; ihre Naivität zu Beginn, ihre spätere Sensibilität, die Trauer und der Schmerz teilen sich sofort mit. So ist man auch bereit, den Moment des Fantastischen zu akzeptieren, wenn die grausige Vergangenheit des Hotels Kym förmlich den Schlaf raubt, obwohl sie noch nichts von ihr wissen kann.

Wider die kollektive Verdrängung

Jasmila Žbanić hat den Film sorgfältig wie ein Puzzle strukturiert, bei dem sich nach und nach ein Stein zum anderen fügt. Während Kym der Wahrheit immer intensiver nachspürt, enthüllt sich Stück für Stück die kollektive Verdrängung, die sich wie ein Schleier über Višegrad legt. Die Kamera von Christine A. Maier streift dabei durch die Topografie der Stadt, so als wolle sie die schlafenden Erinnerungen bloßlegen. Zbanic kommt ganz ohne Gewalt aus; für die grausigen Taten – 1992 wurden beim Massaker von Višegrad über 3000 bosnische Zivilisten ermordet, ihre Leichen einfach von der berühmten Brücke in die Drina geworfen – kann es keine Bilder geben. Doch wenn die Kamera durch die Flure des Vilina Vlas gleitet und Kym im Off von eins bis 200 zählt, um jedem Opfer einzeln zu gedenken, sind diese Bilder stark genug.

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