Hände, die über die weißen und schwarzen Tasten eines Flügels fliegen, mal in Großaufnahme von links gefilmt, dann ein Jump Cut nach rechts, ein Gegenschnitt auf die Hämmerchen, die im Bauch des Instruments gegen die Saiten schlagen, und auf das Gesicht des Pianisten, schwitzend und angespannt – das Tempo der Musik steigert sich, das Tempo der Schnitte ebenfalls, als würde das Ganze auf einen dramatischen Kulminationspunkt zurasen: Die expressive Montagesequenz, mit der Regisseur Claude Lalonde seinen Film beginnt, macht aus dem Auftritt des Star-Pianisten Henry Cole (Patrick Stewart) eine Art Actionfilm; der Musiker wird zum Jockey, der das Musikstück wie einen Vollblüter reitet, der ihn jede Sekunde abwerfen könnte.
Danach wird Henry erstmal schwer atmend und mitgenommen von der Bühne fliehen und am Hintereingang des Konzerthauses nach Luft schnappen. Und später sagt er zu seinem Vertrauten und Manager (Giancarlo Esposito), dass Leute sich aus ähnlichen Gründen live Konzertauftritte ansehen würden, aus denen sie gerne bei gefährlichen Sportarten zuschauen – wegen des Kitzels, dass es schiefgehen könnte. Da spricht die Angst aus ihm, die sich zwischen den Akkorden eingenistet hat.
Dabei hat Henry eigentlich reichlich Bühnenerfahrung. Doch der Tod seiner Frau vor einigen Jahren – das erfährt man im Lauf des Films – hat ihn nachhaltig erschüttert; die Konzerttournee, zu der er gerade startet, ist der Versuch eines Comebacks nach einer längeren Auszeit. Die Sicherheit und Selbstverständlichkeit in der Ausübung seiner Kunst, die er früher wohl hatte, wollen sich indes nicht wieder einstellen.
Patrick Stewart und Katie Holmes als ungleiches Freundes-Paar
Mit Angst hat auch die um einiges jüngere Musikkritikerin Helen Morrison (Katie Holmes) Erfahrung, die unter den Journalisten ist, die nach dem Konzert zur Pressekonferenz zusammenkommen: Einst peilte sie selbst eine Pianistinnen-Karriere an, konnte aber ihre Furcht vor den Auftritten nicht meistern und orientierte sich nach dem Scheitern bei einem Musikwettbewerb beruflich um. Vielleicht reagiert sie deshalb empathisch und rettet Henry aus einer peinlichen Situation, als dieser kurz danach beim öffentlichen Testen eines neuen Steinway-Flügels tatsächlich fast vom Pferd fällt, sprich vor Lampenfieber erstarrt. Eigentlich will Helen Henry für einen Artikel im „New Yorker“ interviewen, doch daraus wird bald ein intensiver Austausch über die Musik und das, was sie in ihrer beider Leben bedeutet, und daraus schließlich eine Freundschaft, die Henry sichtlich guttut. Ein weiterer Schicksalsschlag droht allerdings, ihn erneut aus der Bahn zu werfen…
Der alternde Künstler und die jüngere Frau – das könnte eine unerträglich klischeehafte Konstellation werden; doch Regisseur Claude Lalonde und Drehbuchautor Louis Godbout umschiffen das Stereotyp souverän. Das, was sich zwischen Henry und Helen entwickelt, behält etwas Offen-Schwebendes, und es ist nur eine Facette in einem Film, dem es weniger um die Beziehung des Musikers zu einem einzelnen Menschen als vielmehr um sein Verhältnis zur Welt, zum Leben und zur Musik geht, nachdem er durch den Tod seiner Frau des Abgrundes gewahr geworden ist, über dem wir alle uns bewegen: der Vergänglichkeit und der schrecklichen Fragilität des Daseins.
Flüchtig wie die Musik
Um das zu nuancieren, verquickt der Film von der ersten Sequenz an zwei Zeitebenen miteinander – sozusagen die auf Spielfilmlänge ausgedehnte Montage-Poesie, die einst Nicolas Roeg in „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ in jener berühmten Sequenz anwandte, in der er das intime Ineinander eines Ehepaares beim Sex mit den Momenten des Sich-wieder-Trennens unmittelbar danach mischte und so melancholisch dessen Flüchtigkeit akzentuierte. In die Geschichte um Henrys sich anbahnende Freundschaft mit Helen wird ein späterer Handlungsstrang verwoben, in dem Henry allein, noch einmal sichtlich gealtert und mitgenommen eine Reise ins Oberengadin ins legendäre Hotel Waldhaus in Sils Maria unternimmt. Eine melancholische Pilgerfahrt auf den Spuren Helens, die diesen Ort liebte, und des von ihr geschätzten Friedrich Nietzsche, der mehrere Sommer in Sils verbrachte und dort seinen „Zarathustra“ und den Gedanken von der Ewigen Wiederkunft des Gleichen auf die Welt brachte.
Dabei geht Kameramann Guy Dufaux sehr dezent mit den Attraktionen des Schauplatzes um. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht jederzeit der rund 80-jährige Hauptdarsteller Patrick Stewart, seine zwischen Drahtigkeit und Zerbrechlichkeit changierende Physis und seine mimische Ausdruckskraft, die Henrys innere Odyssee zum intensiven Gefühlskino machen, tatkräftig unterstützt von dem ukrainischen Pianisten Serhiy Salov, der die Musik zum Film – von Bach und Beethoven über Schumann und Schubert bis zu Chopin und Rachmaninow – beisteuert. Dabei meidet die Inszenierung nach dem Crescendo zum Beginn weitgehend die melodramatischen Zuspitzungen, sondern entfaltet sich als stilles Drama um Henrys Straucheln in einer abschüssig gewordenen Seelenlandschaft und den Halt der zwischenmenschlichen Begegnungen und Verbindungen, auch wenn sie flüchtig sein mögen wie die Musik.