Dokumentarfilm | USA 2020 | 123 Minuten

Regie: Daniel Lindsay

Trefflich arrangierter Dokumentarfilm über die Karriere-Stationen der Rocklegende Tina Turner sowie die von Gewalt und Vergewaltigung überschattete Ehe mit dem Musiker Ike Turner. Der sehr persönliche Film wartet mit Archivmaterial von stimmgewaltigen Live-Auftritten auf und berührt zugleich emotional, indem er den Star in seinen Verletzlichkeiten vorstellt. Ohne die Erinnerung an kürzlich überwundene Krankheiten oder den Suizid eines Sohns aufzureißen, schafft es der Film, zwischen Huldigung und differenzierter Trauma-Analyse ein Leben nachzuzeichnen, das nicht einfach war, die kraftvolle Musikerin aber nie zum Aufgeben brachte oder ihr die Fähigkeit nahm, selbst zu geben und zu lieben. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TINA
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Lightbox
Regie
Daniel Lindsay · T.J. Martin
Kamera
Megan Stacey · Dimitri Karakatsanis
Musik
Danny Bensi · Saunder Jurriaans
Schnitt
Carter Gunn · T.J. Martin · Taryn Gould
Länge
123 Minuten
Kinostart
13.06.2021
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl.)
Verleih Blu-ray
Universal (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl.)
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Ein trefflich arrangierter Dokumentarfilm über die Karriere-Stationen der Rocklegende Tina Turner sowie die von Gewalt und Vergewaltigung überschattete Ehe mit dem Musiker Ike Turner

Diskussion

„I am waiting in the storm. Ask me how I feel!“, röhrt Tina Turner ins Mikro. Die Löwenmähne wippt im Scheinwerferlicht, in energischen Schritten und im kurzen Silberfummel durchmisst sie die Bühne – schweißüberströmt, von links nach rechts, wieder zurück. Das vollgepackte Stadium tobt, während die kleine Frau mit der überwältigenden Stimme diese Textzeilen heraushaut.

Was für ein Spektakel! Und was für ein Schicksal. Natürlich sind diese Sätze das, was sich auch die Dokumentation von Dan Lindsay und T.J. Martin vornimmt: „Frag mich, wie ich mich fühle!“ Ihr Titel: „Tina“ – kurz, prägnant und völlig ausreichend, schließlich ist die Person hinter der „Marke“ Tina eine Legende: R&B-Ausnahmetalent, unermüdliche Stehauffrau, Königin des Rock’n’Roll und Role-Model für Abertausende Frauen auf der ganzen Welt.

Schatten der Vergangenheit, die Ruhm und Erfolg nicht vertreiben können

Dabei beginnt das Porträt über „Tina“ mit einer doppelten Negation: Da erklärt eine der größten Rock-Ikonen unserer Zeit dezidiert ihren Unwillen, sich selbst in einem Film über ihr Leben darzustellen. Und verneint gleich darauf die Qualität dieses vorangegangenen Lebens an sich. Das Gute habe das Schlechte nie aufgewogen, konstatiert Anna Mae Bullock, so Tinas Geburtsname, aus dem Off. Wenn man die vor Lebensfreude nur so sprühenden Konzertaufnahmen des Beginns mit dieser Aussage abgleicht, dann kann man sich die Abgründe, von denen die Sängerin da spricht, gar nicht tief genug vorstellen. Die Vergangenheit würde für sie so viele schmerzhafte Erinnerungen bereithalten, dass sie sich nicht wieder in sie hineinbegeben möchte. Also tut es diese Doku.

Im Jahr 1981 gab Tina Turner dem US-amerikanischen „People Magazine“ ein Interview, in dem sie ihr Comeback ankündigte und zugleich mit ihrer kürzlich geschiedenen Ehe mit Musik-Produzent Ike Turner abschließen wollte. Tina & Ike, das war eine Einheit. Im Privaten, wo niemand zugucken konnte, glich diese große Liebe jedoch einer von Prügel und Vergewaltigungen geprägten Zwangssymbiose, in der Tina Turner viel zu lange Zeit verblieb. Als Gründe beschreibt sie rückblickend ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl und ständige Furcht. So recht scheint sie es sich jedoch selbst nicht erklären zu können, warum sie so lange gelitten hat – muss sie vielleicht auch gar nicht, spricht sie doch so vielen Frauen aus dem Herzen, die in gewalttätigen Beziehungen verharren.

Neuanfang – ganz unten, aber auf eigenen Füßen

Die Fallhöhe ist schnell etabliert, der Sturz wird nachgezeichnet, bis die Sängerin nahezu mittellos, aber auf eigenen Füßen auf dem Boden landet – da beginnt der Film ein zweites Mal, diesmal mit der Erzählung eines unvergleichlichen Triumphs. Tina Turner rappelt sich nach der Trennung, aus der sie allein ihren Künstlernamen mitnahm, wieder auf. Als sie quasi noch einmal von vorne anfängt und sich zunächst mit Kabarett-artigen Auftritten in Las Vegas oder San Francisco über Wasser hält, ist Turner bereits in den Vierzigern. Sie lernt mit Roger Davies einen neuen Manager kennen. Und bis Ende der 1980er-Jahre wird sie die größten Stadien der Welt füllen.

So leicht wirkt diese Karriere im doppelten Anlauf, wie sie wohl nur einem Naturtalent gelingen konnte: einer einmaligen Entertainerin mit großer Power und noch größerer Stimme. In diesen Belangen ist der Film eine Huldigung, und er lässt nie einen Zweifel daran aufkommen, dass Tina diese Art von Huldigung auch mit jeder Faser verdient – und spart dabei doch wichtige Stationen in ihrem Leben aus.

Schmerzliche Leerstellen

Kein Wort über ihre vergangenen, teils schweren Erkrankungen, kein Wort über den Suizid von Tinas Sohn Craig Anfang 2018. Das schlechte Gewissen, das Tina laut ihrer Autobiografie „My Love Story“ (2018) quälte, weil Craig die auf Tour gehende Mutter als Kind so sehr vermisst habe und diese Erinnerungen ihn auch als erwachsenen Mann mit mentalen Problemen nicht losließen, kommen im zwei Jahre später entstandenen Film nicht mehr vor. Stattdessen scheint kurz das Motiv der Abwesenheit auf, wenn es darum geht, dass Tina Turner zeit ihres Lebens exzessive Tourneen absolvierte.

Der Film erzählt von der Liebe, die Tina von Eltern und Partner so viele Jahre vorenthalten wurde, die sie aber dennoch zu geben imstande war – an dieser Stelle kommt Craig als Kleinkind kurz ins Bild. Zu persönlich sollte die Bebilderung eines Lebenswerkes wohl doch nicht werden. Dabei ist aber auch diese Aussparung nur konsequent hinsichtlich dessen, was Tina zu der gewalttätigen Beziehung mit Ike gleich zu Beginn beschreibt: Zu schmerzhaft sind solche Erinnerungen, um sie hervorzuholen. Der Film respektiert diesen Wunsch hinsichtlich der wohl schmerzhaftesten Erfahrung im Leben einer Mutter: Die Beerdigung des eigenen Kindes.

Ein Abschluss & Abschied von der Öffentlichkeit

Ähnlich wie mit ihrem „People“-Interview oder ihrer Biografie hat Tina wohl auch mit diesem Film eine Art Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollen. Damals resultierten die „Offenbarungen“ noch darin, dass nicht weniger, sondern mehr über Tina und Ike gesprochen wurde. Nun bekennt Tina gegen Ende des Films, dass ihre Gefühle gegenüber dem gewalttätigen Exmann mittlerweile von Vergebung geprägt sind – allein um sich nicht weiter selbst zu verletzen. Was „Tina“ letztlich auch beschreibt, ist der Umgang mit einem Trauma.

Mitreißend, berührend, vor allem sehr persönlich ist diese Doku geraten, die von Tina Turners Ehemann, dem gebürtigen Kölner Erwin Bach, mitproduziert wurde. Dieser Film sei ein Abschluss, und ein Abschied. Das konstatiert das am Zürichsee lebende Paar am Ende. Eine beeindruckende Künstlerin verabschiedet sich hier offiziell von der Öffentlichkeit. Dieser unvergleichlich kraftvoll komponierte, musikalisch, aber vor allem auch emotional mitreißende Film ist ihrer Lebensgeschichte würdig.

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