Sozialhygiene
Experimentalfilm | Kanada 2020 | 75 Minuten
Regie: Denis Côté
Filmdaten
- Originaltitel
- HYGIÈNE SOCIALE
- Produktionsland
- Kanada
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- Inspiratrice & Commandant
- Regie
- Denis Côté
- Buch
- Denis Côté
- Kamera
- François Messier-Rheault
- Schnitt
- Nicolas Roy
- Darsteller
- Maxim Gaudette (Antonin) · Eve Duranceau (Cassiopée) · Eleonore Loiselle (Aurore) · Kathleen Fortin (Rose) · Larissa Corriveau (Solveig)
- Länge
- 75 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Experimentalfilm
- Externe Links
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Experimenteller Sprachfilm um einen Dandy, der fünf Mal hintereinander im Wald unterschiedliche Frauen trifft und sich mit ihnen verbale Duelle liefert, in denen die Widersprüche seines Lebensmodells zutage treten.
Die Abstandsregeln werden in „Hygiène Sociale“ fast schon akademisch eingehalten. Fünf Mal hintereinander findet sich der Dandy Antonin (Maxim Gaudette) auf einer Wiese wieder, gut drei oder vier Meter neben ihm jeweils eine andere Frau: seine Schwester Solveig (Larissa Corriveau), seine Gattin Eglantine (Evelyne Rompré), eine andere Frau namens Cassiopée (Eve Duranceau), die er begehrt, die Finanzbeamtin Rose (Kathleen Fortin) und eine Frau (Eleonore Loiselle), die von ihm beklaut wurde und in die er sich verlieben könnte.
Das Gezwitscher der Vögel
„Wir leben frei, aber wir brauchen Struktur“, heißt es in den fünf Rededuellen einmal. Auch „Hygiène Sociale“ braucht die Struktur. Eingespannt in fünf Akte, die allesamt auf Wiesen und in Begleitung von Vogelgezwitscher stattfinden, ist der Film ein hochdialektischer Text. Es wird diskutiert und gestritten, es werden scheinbar scharfsinnige Argumente vorgebracht und komplette Unsinnigkeiten vom Stapel gelassen.
Der kanadische Filmemacher Denis Côté, der mit fast jedem seiner Filme das Register wechselt und sich spielerisch zwischen fiktionalen, dokumentarischen und experimentellen Formen bewegt, hat in seiner neuen Arbeit aus der Not (der Pandemie) eine Tugend gemacht. Wenn sich die Körper schon nicht nahekommen dürfen, so tun es die Worte umso mehr. Die Sprache ist Kontakt, Reibung, Kollision. Côté und sein Ensemble, das mal in historischen Kostümen, mal in zeitgenössischer Kleidung im Grünen abgestellt wird, hat sichtlich Freude am Text. Der Einsatz der Sprache ist reine Performance. Es geht um Tonfall, Klang und Diktion, darum, die Sprache von der Leine zu lassen, ihr bei ihren Kapriolen zuzuhören und sich darin zu verfangen.
Wovon „Hygiéne Sociale“ im Detail handelt, ist schwer zu greifen. Als zentrales Thema schält sich immer wieder der Konflikt zwischen gesellschaftlicher Anpassung und Widerstand heraus. Der Dandy Antonin ist mittellos; er lehnt Arbeit ab, schlägt die Zeit tot und schläft im Volkswagen eines Freundes, der ein Hygieneproblem hat. Auf Flughäfen raubt Antonin Reisende aus, bevorzugt solche aus Tokio. Antonin schreibt auch, und eigentlich ist er Filmemacher, wenn er auch noch keinen Film gemacht hat. In der Geschichte, an der er gerade arbeitet, geht es um einen arbeitslosen Mann, dem beim Öffnen einer Kaffeepackung die Schere hinter den Ofen fällt, worauf er die Freundschaft zu einem Kind mit dünnen Armen sucht, das die Schere wieder hervorholen soll.
Die Widersprüche des Dandytums
Antonin sagt aber auch andere absurde Dinge wie zum Beispiel: „Ich gehe ins Kino, setze mich in die erste Reihe, so sehe ich den Film vor allen anderen.“ Die Frauen lassen sich von seiner Rede wenig beeindrucken. Sie machen ihn auf die zahlreichen Widersprüche aufmerksam und lassen ihn mit seinem halbgaren Dandytum nicht davonkommen.
In die meist gedrechselten Texte platzen mitunter zeitgenössische Begriffe wie „Facebook-Account“ und „korrekte Sprache“ hinein, aber auch Kalauer wie die Zwillinge Clitorin und Masturbin. Es gibt auch eine fantastische Tanzszene zu Dark-Wave im Wald. Nicht zuletzt ist „Hygiène Sociale“ eine Reflexion über das Kino. Antonin bekennt sich zu einer romantischen und idealisierten Vision. Das Kino schaffe eine Brücke zwischen dem, was real ist und dem, wie die Welt sein solle. Nur: „Ich finde diese Brücke nicht.“