Full Contact (2015)

Drama | Kroatien/Niederlande 2015 | 105 Minuten

Regie: David Verbeek

Aus einem Container in der Wüste Nevadas feuert ein US-Drohnenpilot Raketen auf Ziele im Nahen Osten ab. Als eine Schule zum Ziel der Drohne wird, gerät der von jeder Menschlichkeit bereinigte Alltag des Soldaten zum Albtraum. Mit strenger, geradliniger Ästhetik erzählt das in drei klar getrennte Kapitel eingeteilte Drama ohne Figurenpsychologie oder moralische Konflikte von der Entmenschlichung durch Abstraktion, um schließlich die Handlung auf eine Menschwerdung durch die Berührung zu verlagern. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FULL CONTACT
Produktionsland
Kroatien/Niederlande
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Lemming Film/Nukleus Film/Wild at Art/VPRO/Jaako dobra prod.
Regie
David Verbeek
Buch
David Verbeek
Kamera
Frank Van den Eeden
Musik
David Boulter
Schnitt
Sander Vos
Darsteller
Grégoire Colin (Ivan) · Lizzie Brocheré (Cindy) · Slimane Dazi (Al Zaim) · Alain Blazevic (Colonel Hendrix) · Robert Jozinovic (Van Patton)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Streng stilisiertes Drama um einen US-Drohnenpiloten, dessen Dasein nach dem Beschuss einer Schule im Nahen Osten aus den Fugen gerät.

Diskussion

Ivans Kriegseinsatz ist ein Videospiel. Sein Sessel steht an der vordersten Front, der roter Knopf an seinem Joystick schickt den Tod vom Himmel. Dazwischen steht nur der Chat mit der Einsatzleitung. Erfolgt die Freigabe für den Abschuss, lenkt Ivan das Fadenkreuz auf die zum Feind erklärte Menschengruppe und drückt den Knopf seines Joysticks. Ein anhaltender Signalton ertönt, bis der einschlagende Flugkörper wenige Sekunden später die Menschen in Stücke zerreißt, die auf dem Bildschirm hinter einer gewaltigen Rauchwolke verschwinden. Die Explosion bleibt stumm. Allein die Stimme des Computers gibt ein akustisches Signal: „Contact“.

Alles gleicht einer durchgängigen Simulation

Ein Container, der einsam inmitten in der Wüste Nevadas steht, ist der Arbeitsplatz des Drohnenpiloten, der sich permanent im über Bildschirme abstrahierten Krieg befindet. Eine Abstraktion, die auf das Privatleben des Leutnants abfärben. Ivan (Grégoire Colin) ist eine Silhouette. Im Container der Air Force wie in den Umrissen seiner fast möbellosen Wohnung erscheint er fast nur als der Schatten eines Körpers, ein nie ganz präsenter Teil der Umgebung. Die toten Landstriche Nevadas spiegeln sich im Visier seines Motorradhelms, während er auf zwei Rädern von der Arbeitsstelle nach Hause rast. Der einzige Nicht-Arbeitsweg führt in den örtlichen Stripclub. Hier lernt er eine Tänzerin kennen. Er hat Sex mit ihr, ohne eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Ivans Kontakt mit der Außenwelt ist die Simulation eines normalen Lebens, ein Spiegelbild des Bildschirmkriegs, ohne Kontakt zu der Welt, die der junge Soldat vor sich sieht.

„Full Contact“ verharrt in diesem Limbus, bis ein fehlgeschlagener Einsatz das Tor in den nächsten Höllenkreis öffnet. Ivans Drohne nimmt ein weiteres Mal eine Hütte in der Wüste ins Visier. Zwei seiner Raketen töten die umstehenden Männer, die dritte wird auf die Hütte selbst abgefeuert. Bevor Ivan ein letztes Mal den roten Knopf drückt, erscheint ein Kind auf seinem Bildschirm. Das angebliche Ausbildungslager für Terroristen ist eine Schule. Der Chat befiehlt den Abschuss.

Auf das Ende der Mission folgt ein albtraumhaftes Delirium. Der Protagonist steht nackt in einer steinigen Wüste. Er macht ein Feuer, tötet ein paar Krebse, isst sie, übergibt sich. Am Ende des langen, zähen Todeskampfes der Albtraumvision tauchen Ivans Opfer auf.

Das Ringen um Erlösung

Regisseur David Verbeek unterteilt den Film in drei scharf getrennte Kapitel. Auf die abstrakte Hölle des Alltags und das fiebrig-symbolische Delirium folgt im dritten Abschnitt das Ringen um eine Form der Erlösung. Von Nevada verlagert sich die Handlung nach Frankreich. Nicht die Kommandozentrale dient hier jetzt als Arbeitsplatz, sondern ein ziviler Flughafen. Die Stripperin der Vorgeschichte ist nun eine alleinerziehende Mitarbeiterin, die vermeintlichen Terroristen eine Gruppe von Kampfsportlern.

„Full Contact“ folgt einem durch und durch programmatischen Ansatz, der vom berührungslosen Kriegszustand in eine Variation des im Box- oder Martial-Arts-Film beliebten Motivs des Neuanfangs führt. Dabei bildet nicht ein erfolgreicher Kampf oder gar ein Turnier den Rahmen, sondern die Idee der physischen Auseinandersetzung. Ein Mensch lernt, andere Menschen zu berühren. Ein Mensch lernt, wieder ein Mensch zu sein. Verbeek erzählt diese Rückkehr zur Menschlichkeit mit der gleichen strengen Ästhetik wie das digitalisierte Töten.

Das erscheint paradox, wird aber von einer Geradlinigkeit getragen, die statt der Figurenpsychologie und den ethischen Problemen des Drohnenkriegs den Körper selbst zum Gegenstand der Betrachtung macht. Ivans Körper zeichnet die Menschwerdung auf, er zeigt aber auch die Verletzungen auf, die der digital geführte Krieg lange verborgen hat. An die Stelle der toten und aseptischen Räume der Vergangenheit treten die Matten des Dojos, aus der unaufhaltsamen seelischen Zerstörung wird der Würgegriff eines Gegners. Der unmittelbare Körperkontakt ersetzt die gänzlich abstrahierte Vernichtung per Knopfdruck. Ein Mensch lernt, andere Menschen zu berühren – und sei es nur im Kampf.

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